„Ich sehe wunderbare Dinge.“

Vor hundert Jahren entdeckte man
in Ägypten das Grab Tutanchamuns

„Der sieht aber schön aus“, dachte ich vor mehr als 40 Jahren, als ich als Siebenjährige mit meinen Eltern die Tutanchamun-Ausstellung in Köln besuchte. Ich stand vor der berühmten goldenen Maske, die der Mumie des Pharaos über den Kopf gezogen worden war, als man ihn auf seine letzte Reise schickte. Leider erinnere ich mich heute nur noch an diese Maske des jung gestorbenen Pharaos und an die Büste der wunderschönen Nofretete, die seine Mutter gewesen sein soll. Auf der Rückfahrt werde ich wohl meine Eltern mit Fragen zu Mumien, Pharaonen und Ägypten gelöchert haben. Vermute ich zumindest. Google gab es damals noch nicht, da mussten eben die Eltern als Informationsquelle herhalten.

Doch viel über das Leben von Tutanchamun weiß man nicht, da zu seinen Lebzeiten über seine Regentschaft über Ägypten nur wenig niedergeschrieben wurde, weshalb die Geschichtswissenschaftler und Ägyptologen meinen, seine Zeit auf dem Thron sei nicht sehr bedeutend gewesen. Lange war er auch nicht König, nur etwa zehn Jahre, dann starb er. Und da war er erst 19 Jahre alt. Rechne, rechne, richtig: Er wurde schon mit neun Jahren Pharao über das große Reich am Nil, das seinerzeit kulturell schon sehr weit entwickelt war.


Geboren ist Tutanchamun ungefähr 1341 vor Christi Geburt, das ist 3363 Jahre her. Vor hundert Jahren endete seine Ruhe. Denn am 4. November 1922 entdeckte der Engländer Howard Carter das Grab des Pharao Tutanchamun, und das glich fast einem Wunder. Eigentlich hätte er diese Ausgrabung gar nicht mehr machen können, denn sein Geldgeber, der englische Lord George Herbert Carnarvon, hatte schon so viel Geld in die Suche nach Tutanchamun gesteckt, dass er Carter nur diese einzige und letzte Grabung bezahlen wollte. Carter hatte schon viele Jahre im ganzen Tal der Könige, einer großen Senke in einer kargen Steinwüste, gesucht. Das Tal der Könige ist eine Begräbnisstätte, in der bis heute 63 Gräber gefunden wurden. In Zeiten vor der Herrschaft Tutanchamuns wurden die Pharaonen in beeindruckend großen Pyramiden begraben. Das verlieh ihnen auch über ihren Tod hinaus Ruhm und Glanz, doch immer wieder wurden die Pyramiden von Grabräubern geplündert. Klar, wenn man schon von weitem sehen konnte, wo die Herrscher und das Gold zu finden waren. Die späteren Herrscher wählten nun einen schwer zugänglichen Ort, und dies war das Tal der Könige gegenüber der Hauptstadt Theben am linken Nilufer.


Die alten Ägypter waren überzeugt, dass nach dem Tod das Leben weiterging. Und so statteten sie ihre toten Herrscher mit üppigen Beigaben aus: Essen für die Reise ins Jenseits, kostbare Öle, Tinkturen und Kräuter, Gold, Tücher und edelste Möbel, damit der Pharao auch standesgemäß weiterleben konnte. Dieser Glaube an das Leben nach dem Tod spiegelt sich auch in der Haltbarmachung der Leiche wieder. Der tote Körper wurde von sehr kenntnisreichen Priestern vorsichtig geöffnet und die meisten Organe, die am schnellsten verwesen, entfernt. Das Gehirn, das sich zuerst zersetzt, wurde durch die Nase mit einem Haken herausgeholt. Wie genau das vonstattenging, erspare ich dir hier. Im Laufe der Jahre änderte sich das Ritual der Einbalsamierung immer wieder. Zu Zeiten Tutanchamuns wurden beispielsweise die entnommenen Organe in eigene kleine Särge, die sogenannten Kanopen, gelegt. Jeder einzelne sollte von den vier Horus-Söhnen Amset, Hapi, Duamutef und Kebechsenuef als Schutzgeister bewacht werden.

Doch zurück zur Entdeckung im Jahr 1922. Man wusste, dass im Tal der Könige die Pharaonen vor allem der 18. bis 20. Dynastie beigesetzt worden waren, und schon einige Gräber hatte man gefunden. Tutanchamun gehörte der 18. Dynastie an. Carter, der viele Jahre Erfahrung in archäologischer Grabung hatte und das Tal der Könige bestens kannte, verließ sich auf seinen Instinkt. Auch wenn ihm viele Kollegen abrieten, entschied er sich, an einer Stelle zu suchen, die als schon erkundet galt, weil sie direkt an ein anderes Grab grenzte.


Als der kleine „Wasserjunge“ Hussein Abd el-Rassul den Arbeitern Wasser bringen wollte, grub er eine kleine Senke, um seinen Krug abzustellen. Dabei entdeckte er die erste Stufe zum Grab Tutanchamuns. Für diesen Fund bekam der Junge zum Dank von Howard Carter später eine Kette aus dem Grab des Pharaos, die mit Skarabäen und Sonnenscheiben verziert war.
Als Carter an jenem Morgen von der Entdeckung Husseins hörte, wusste er, dass sich alle Mühen gelohnt hatten und er am Ziel angekommen war. Er legte die 16 Stufen frei und fand sich vor einer versiegelten Tür. Bevor er sie öffnete, telegrafierte er seinem Chef Carnarvon von dem Fund und versprach, das Grab erst nach seiner Ankunft gemeinsam zu öffnen. Carter verschüttete zur Sicherheit den Eingang wieder, er wusste ja nicht, wie lange es dauern würde.
Am 23. November trafen Carnarvon und seine Tochter im Tal der Könige ein, und die Arbeit konnte endlich weitergehen. Wieder wurde der Eingang freigelegt, und der alte Schriftzug unter dem königlichen Siegel verscheuchte sämtliche Zweifel, wessen Grab sie gefunden hatten. Neb-cheperu-Re stand dort, das war der Thronname Tutanchamuns.


Hinter der schweren Steintür befand sich ein langer Gang, zugeschüttet mit Schutt und Geröll. Mühsam mussten die Arbeiter alles freiräumen, und zwei Tage später stießen sie erneut auf eine versiegelte Tür. Es war schon fast Abend, als Carter, begleitet vom Lord, seiner Tochter und dem Freund Arthur Callender, mit einem kleinen Meißel vorsichtig ein Loch in die Gipstür schlug. Er durfte als erstes hineinschauen. Doch bevor er das konnte, schwallte ihm muffige, warme Luft entgegen, die nach mehr als 3000 Jahren nun ins Freie entglitt. Als seine Kerze wieder ruhig flackerte, hielt er sie in den Raum und schaute hinterher. Es muss für die hinter ihm Wartenden wie eine Ewigkeit vorgekommen sein, bis er endlich auf die Frage antwortete, was er denn nun sehen würde. „Alles, was ich herausbringen konnte, war: ‚Ja, wunderbare Dinge’“, wird er später erzählen. Erst langsam gewöhnten sich Carters Augen an die Dunkelheit, langsam zeichneten sich Gegenstände im schwachen Kerzenschein ab: seltsam lang gezogene Tierfiguren, Hocker, Truhen, Stauen. „Überall schimmerndes Gold“. utanchamuns vorgedrungen war. Die Mumie des jungen Königs lag, wie in einer Matrjoschka, in drei Särgen, die ineinandergelegt waren. Jeder kunstvoll und üppig verziert. Ein würdiger Ort für einen Pharao.
Mit ihrem Fund machten sich Howard Carter und Lord Carnarvon unsterblich, niemand, der beim Namen Tutanchamun nicht auch an die Entdeckung denkt, die schon damals in allen Zeitungen rund um den Globus Schlagzeilen schuf. Der Lord George Herbert Carnarvon hatte nicht lange etwas von seinem Ruhm. Er starb am 5. April 1923 in Kairo an einer Blutvergiftung. Er war von einem Moskito in die Wange gestochen worden, der Stich entzündete sich beim Rasieren mit dem Messer.
Heute ziehen die Schätze aus der Grabkammer jedes Jahr fast fünf Millionen Besucher ins Ägyptische Museum in Kairo. Der junge Pharao fasziniert die Menschen immer wieder auf´s Neue. So bleibt er wirklich unsterblich.

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