Mitangepackt! Regie über die Komfortzone hinaus

Jens Dornheim und Eva Zitta
im ziemlich unfrisierten Gespräch.

Text und Foto: Astrid Becker

 

isso.: Das Wesen der Regie?

Eva Zitta: Da fangen wir ja gleich mit dem Leichtesten an.

Jens Dornheim: Jemand hat mir einmal gesagt, ich hätte ein zu gutmütiges Naturell, um Regisseur zu sein, aber das glaube ich nicht.

Was die Aufgaben des Regisseurs angeht, ist es in der freien Szene ein bisschen anders als im Stadttheater. Eva hat es im Dokumentarfilm (zu 15 Jahren theater glassbooth, gedreht von den Gelsenkirchener Filmemachern Dirk Gerigk und Stefan Bahl, Anm. d. Red.) schon benannt: In Bereichen, die im Stadttheater von anderen abgedeckt werden, muss der Regisseur in der freien Szene noch selbst tätig werden, dazu gehört beispielweise, dass man auch als Regisseur beim Auf- und Abbau des Bühnenbildes mit anpacken, die Logistik in den Finanzierungsplan aufnehmen und die Transporte selbst organisieren muss.

Das musst Du bei einer Produktion des Jugendclubs am Stadttheater Duisburg nicht machen, richtig, Eva?

Eva Zitta: Stimmt, ich habe einen Vertrag, der besagt, wie viel Ausstattungshonorar- und Etat es beispielsweise für das Bühnenbild oder die Kostümassistenz gibt. Das ist schon noch ein gemachtes Nest am Stadttheater, obwohl die Kassen natürlich auch dort knapp sind.

Jens Dornheim: Du hast es im Film so nett formuliert: ‘Man kann so ressourcenschonender produzieren.‘

Eva Zitta: Ja, die eigenen Ressourcen schonend.

Jens Dornheim: Damit man sich auf das Regieführen konzentrieren kann.

Eva Zitta: Ich habe dieses Arbeiten in der freien Szene auch kennen und schätzen gelernt, die Tatsache, dass alles aus einem Guss kommt, dass man ein hohes Maß an Eigen- und Gruppenverantwortlichkeit hat, weil die Funktionen eben nicht so aufgeteilt sind. Es ist andererseits aber künstlerisch sehr anstrengend. Denn eigentlich gibt es den Beruf des Bühnen- und des Kostümbildners und diese Aspekte einer Produktion werden von diesen Berufen eben anders gelöst, als von mir als Regisseurin. Natürlich könnte ich auch als Regisseurin sagen, wo es langgeht, aber diese Leute haben ein eigenes Konzept und deren kreatives Arbeiten kann somit eine Produktion ganz anders befruchten, damit sich das Ganze dann auch auf eine andere Ebene hebt.

Im Übrigen bin ich müde davon zu sprechen, dass der Etat knapp ist und alles minimalistisch gelöst werden soll.

Jens Dornheim: Genau das führt ja in der freien Szene zur Selbst – Kannibalisierung und bevor das passiert, sagt man dann eben: Wir machen einen schwarzen Hintergrund und spielen nur mit einigen Requisiten.

Eva Zitta: Und erschaffen so Produktionen aus dem Nichts. Das kann man sich aber auch nur wenige Produktionen lang leisten, danach wäre es sinnvoll, auch einmal aus dem Vollen schöpfen zu können.

isso.: Noch einmal zurück zur künstlerischen Freiheit des Regisseurs. Wird diese an einer städtischen Bühne nicht durch die Menge mitredender Profis stärker eingeschränkt als in der freien Theaterszene?

Eva Zitta: Ich habe in noch keiner Zusammenarbeit erlebt, dass ich mich hätte zurückhalten müssen, sondern es ist eher so, dass ich sage, passt auf, in meinem Regiehirn spielt sich gerade dieses und jenes unter ästhetischen Aspekten ab, beispielweise, wenn wir so etwas wie Weite brauchen, wie stellt Ihr Euch das vor? Da gibt es dann also so einen Menschen, bei dem ein kreativer Prozess anders abläuft und so ersteht dann das Projekt im Miteinander.

Jens Dornheim: In der freien Szene habe ich natürlich oft weitaus weniger Mittel zur Verfügung. Der „Weibsteufel“ war jetzt allerdings einmal ordentlich durchfinanziert. Das passiert nicht immer und so etwas muss ich auch alles selbst in die Wege leiten, sprich Finanzierungsanträge schreiben. Dafür muss ich natürlich wissen, was die Dinge kosten und was realistisch ist. Man darf sich einerseits nicht selbst kannibalisieren, aber auch nicht, dass man Unsummen für ein Bühnenbild angibt, das wird beides nicht gerne gesehen. Es muss also ein Mittelweg gefunden werden: Was würde mich ein Bühnenbild nebst Möbel kosten? Beispielsweise, wenn ich die Bühnenbildnerin dafür gewinnen könnte, für etwas weniger Geld als üblich zu arbeiten. Als Regisseur in der freien Szene habe ich nach erfolgter Finanzierung auch nur einen Aufschlag. Das heißt, wenn ich dann plötzlich merken sollte, das Bühnenbild passt doch nicht, was ich zuweilen aus dem Stadttheater höre, wo dann das Bühnenbild geschreddert wird – diese Möglichkeit habe ich nie. Beim „Weibsteufel“ war es jetzt ein klassischer Paravent, der von Sabine Bachem nach Rücksprache mit mir – unter Beachtung ihrer künstlerischen Freiheit – bemalt wurde, aber sie hat beispielsweise nicht den Stundenlohn bekommen, den sie sonst als Malerin verdient. Die Proben vorher fanden nur vor nackter Kulisse statt und nachdem das Bühnenbild fertig war und wir dazu die naturalistischen Möbelstücke hineinstellten, merkten wir, das geht nicht. Berthold Meyer vom Theater im Depot in Dortmund kam ‘rein und sagte: „Was ist das denn, Gelsenkirchener Barock?“ Er hatte leider Recht. Und dann kommt das Wunderbare der freien Szene zum Tragen: Mein Hauptdarsteller im Stück, Carl Bruchhäuser, sagt plötzlich, dass er mir expressionistische Möbel schreinern könne.  Sowas ist natürlich phantastisch!

Eva Zitta: Wir sprechen die ganze Zeit darüber, was nicht das Wesen der Regie im eigentlichen Sinne ist. Für mich ist Regie der Job, einen Kosmos für ein bis zwei Stunden zu erschaffen und je nachdem, was für eine Produktion man hat, mit den entsprechenden Grundpfeilern etwas auferstehen zu lassen, das in einem Text, einer Idee oder Improvisation angelegt ist.

isso.: Sieht man das dann vor sich? Im Interview mit den Hauptdarstellern aus dem „Weibsteufel“, Alexandra Lowygina und Carl Bruchhäuser, wurde ihnen die Frage gestellt, ob man Schauspieler ist oder wird. Entsprechend hier die identische Frage. Bringt ein/e Regisseur/in also die Fähigkeit zum Visualisieren schon mit?

Eva Zitta: Ja, ich sehe das vor mir. Allerdings kann ich schwer sagen, ob das mit der Zeit gekommen ist oder schon vorher da war. Ich weiß, dass ich in der Schule mit Dramentexten meist mehr anfangen konnte als mit Romanen oder Prosa, die besprochen wurden, weil ich eine relativ kurze Aufmerksamkeitsspanne habe, wenn mir zu viele Informationen gegeben werden. Wenn mich ein Romanautor mit allen Informationen, mit denen er Atmosphäre und eine Story erschaffen will, bombardiert, dann ist schnell mein Limit erreicht. In Dramentexten ist für mich genau das möglich, dass es Figuren gibt, die sprechen, und dazwischen kann sich etwas entspinnen, was nicht oder nicht implizit vorgegeben ist. Ich habe da also schon eine rein literarische Nähe zu der Textsorte gehabt.

isso.: Wie detailliert sind dann die Vorgaben, die die Regie macht – Gestik, Mimik?

Jens Dornheim: Ich gebe etwas vor, wenn ich etwas Bestimmtes sehen oder transportieren will. Für den „Weibsteufel“ kann ich das ganz gut an dem Darsteller des Schmugglers, Ulrich Penquitt, illustrieren. Mit ihm habe ich ja schon zweimal gearbeitet und so kennt man dann die Wesenheiten eines Schauspielers nach einer gewissen Zeit ganz gut. Bei Schauspielern, die man im Film sieht, weiß man auch, dass diese bestimmte Merkmale oder Techniken zeigen, die man immer wieder gerne sieht oder eben nicht. So war es auch bei Uli. Ich wollte aber bei diesem Schmuggler im „Weibsteufel“ nicht das sehen, was Uli sonst gerne transportiert. Er bringt immer gerne eine Leichtigkeit in seine Figuren, indem er zum Beispiel, das ist so eine Eigenheit von ihm, dies mit einer kleinen Nuschelei kommentiert, was irgendwie auch sehr ruhrgebietstypisch ist und was Uli dann oft einen sympathischen Charakter- oder Wesenszug gibt. Im „Weibsteufel“ habe ich diesen Mann aber als absolut unsympathischen, fast schon bedauernswerten Typen gesehen, der sich ja für den Schlauesten überhaupt hält und ein ganz ganz antiquiertes und schlechtes Frauenbild hat. Deswegen habe ich ihm gesagt, dass er dementsprechend agieren muss, damit die Leute ihn unsympathisch finden.

Die andern beiden (Alexandra Lowygina und Carl Bruchhäuser, Anm. d Red.) kannten mich noch nicht in der Zusammenarbeit und hatten erst Befürchtungen, ob sie ins Spiel kommen, weil ich so oft unterbrochen habe. Ich gebe viele Freiheiten, aber gute Leute bieten ja auch viel an und das nehme ich dann gerne dankbar auf. In einer Szene mit Uli sind wir vor Lachen fast vom Stuhl gefallen…Er sagt dem Soldaten, nachdem sich die Frau vorgeblich beruhigt hat: „Wird auch Zeit, dass es endlich wieder hell wird im Weiberhirn.“ Solche Angebote kommen dann von den Schauspielern, aber manchmal möchte ich eben auch eine ganz bestimmte Haltung oder Stimmung, man kann mich also auch im Spiel meiner Schauspieler erkennen.

Eva hat vielleicht eine andere Sicht.

Eva Zitta: Auf die Frage, wie stark Vorgaben eine Rolle spielen? Das Großartige ist ja, dass ich nichts weiß. Denn ich mache ja nicht den Job der Schauspieler, sondern sie. Es ist ein Aufeinanderzugehen von Regie und Schauspiel, ein Herausfinden, was die Figur in diesem Moment umtreibt und ich würde nie eine äußere Form wollen, solange nicht klar ist, mit welcher Absicht dies geschieht. Meistens arbeiten wir an den Absichten und dann ergibt sich etwas und wenn ich sehe, dass es nicht passt, gebe ich einen Input. Aber ich sage nicht ‚Geh mal von A nach B‘, wenn niemand weiß, warum.

Es ist eher mein Job zu forschen, was will diese Szene, in welche Geschichte bettet sie sich ein, wo wird die Story weitergedreht. Der andere Aspekt ist aber auch, für die Schauspieler einen Rahmen aufzumachen, damit sie herausfinden können, was in diesem Moment die Absicht der Figur sein kann. Warum sagt die das, was will die und in welchem Zustand befindet die sich, wie agiert und reagiert die. Das drückt sich dann natürlich in einer Äußerlichkeit aus, aber ich arbeite nicht so, dass ich mit der Äußerlichkeit anfange.

Jens Dornheim: Mit Äußerlichkeiten fange ich auch nicht an, da würde ich Dir recht geben. Eva und ich sind, glaube ich, beide sehr textaffin, wir kommen beide aus der Literatur und haben wohl gleichermaßen ein sehr gutes Gespür für Texte. Man muss ein tiefes Textverständnis haben, den Text für sich begreifen, auch wenn jemand anders die Figur oder deren Absicht ganz anders sieht. Das ist rein subjektiv, aber dafür ist man dann eben auch Regisseur und daher muss ich auch immer eine Erklärung parat haben, denn meine Schauspieler haben viele Fragen an mich. Aber ich glaube, ich konnte es immer auf den Punkt bringen, was in der Szene jetzt wichtig ist. Das hat auch noch nie zu Missverständnissen oder Irritationen geführt, im Gegenteil war es gegenseitig sehr befruchtend. Manchmal kam auch von einem Schauspieler ein Input, auf den ich mich eingelassen habe.

Ich habe ja auch von Eva einiges gelernt, denn als ich 2009 angefangen habe, mit Eva zu arbeiten habe ich ja noch nicht Regie geführt. Über einen gemeinsamen Bekannten haben wir uns nach Gordons (Gordon Stephan, Weggefährte und Regisseur des theater glassbooth von 2003 – 2008, Anm. der Red.) Weggang nach Berlin kennengelernt. Ich konnte mir damals gar nicht vorstellen, Regie zu führen, denn das Schauspielen hatte mich seit jeher fasziniert. Das Regieführen kam erst später, quasi aus der Not geboren. Mittlerweile habe ich zum Schauspiel so etwas wie Flugangst entwickelt. Damals wollte ich immer unbedingt auf die Bühne und jetzt ist es so, – ich habe Uli einen Gefallen getan und in Georg Taboris „Mein Kampf“ eine kleine Nebenrolle, den Tod, gespielt-, dass ich damit auch gleich vermutlich meine Schauspielkarriere begraben habe. Früher habe ich mich in die Rolle hineinfallen lassen können, das gelingt mir überhaupt nicht mehr so gut. Wenn ich merke, dass ich einen Satz vergessen habe, ärgere ich mich darüber und ich bin dann nicht mehr in der Lage, darüber hinweg zu spielen. Mich zieht es aber auch nicht mehr so auf die Bühne, ich habe tolle Rollen gespielt.

isso.: …Unter anderem als Pontius Pilatus in den Gelsenkirchener Passionsspielen unter der Regie des Anfang 2016 verstorbenen Elmar Rasch.

Jens Dornheim: Ich erinnere mich an eine schöne Szene, bei der Alexandre Welp, der damals (2013 im Rahmen der ersten „Passion“ in der evangelischen Kirche Rotthausen, Anm. der Red.) den Judas spielte, nach seinem Verrat den Zusammenbruch darstellte. Er ging im Kirchenschiff durch die Reihen und kniete und weinte. Da klopfte ihm plötzlich eine alte Frau auf die Schulter und sagte: ‚Is‘ jut mein Junge, has‘ gut gespielt.‘ Ganz groß. Das sind so Szenen, bei denen Eva, glaube ich, die Haare zu Berge stehen. Aber das ist halt Volkstheater, wie man so schön sagt. Passionsspiele sind kein klassisches Theater, es war schon Oberammergau in Gelsenkirchen. Und Dominik Hertrich hat natürlich (in einer Produktion des theater glassbooth, 2017) einen vielschichtigeren Pilatus als ich gespielt, ich hatte ja quasi den Original-Bibeltext. http://www.glassbooth.de/?dir=repertoire_pilatus

isso.: Gibt es einen Unterschied zwischen der weiblichen und männlichen Regie?

Jens Dornheim: Das Geschlecht.

Eva Zitta: (lacht) Danke, nächste Frage. Großartig, das möchte ich bitte so drinstehen haben: ‚Eva nickt zustimmend.‘ Ich tue mich schwer, das überhaupt zuzuordnen. Es gibt aber vielleicht einen Regiestil, der eher männlich ist und einen eher weiblichen, was nichts mit Mann und Frau zu tun haben muss, da jeder Prinzipien umsetzt, die unterschiedlich verankert sind.

Jens Dornheim: Ich glaube, dass ich im „Weibsteufel“ ein paar weibliche Energien freigesetzt habe. Es gab durchaus unterschiedliche Meinungen darüber, ob man dieses Stück überhaupt unter einem gewissen feministischen Aspekt betrachten solle. Es gab Szenen, die ich mit Alexandra Lowygina herausgearbeitet habe. Man muss bedenken, dass es eine andere Zeit in den 1920er Jahren war, eine Zeit, in der man den Ehemann nicht verließ und schon gar nicht als angeheiratete Russin. Dieser Befreiungsschlag aus dem Patriarchat geht absolut in Ordnung. Was sie zum Schluss betreibt, ist natürlich böse, das ist klar. Ich glaube, dass selbst wenn man den Stoff beim Weibsteufel nicht mag, sehr viel Herzblut damit schwingt und dieses Team einfach mit unglaublichem Enthusiasmus dabei war.

Eva Zitta: Ich würde dazu gerne noch etwas peripher antworten. Meiner Erfahrung nach, braucht es unterschiedliche Qualitäten oder Fertigkeiten, um ein Projekt vom Startpunkt bis zur Premiere durchzuführen und die nehme ich als eher weibliche oder männliche Fähigkeiten wahr. Beispielsweise braucht es Klarheit und Entscheidungskraft. In jedem Moment der Inszenierung ist Wachheit gefordert für ein „Stopp!“ oder „Nicht so!“. Es ist aber auch eine Klarheit zu sagen, wir wissen es einfach noch nicht. Und das hat eine andere Energie als zu sagen, jetzt fahren das Maximum an Empathie für diese Figur auf und schauen, wo es sich hinschwingt. Oder wir schauen, wo es emotional oder zerbrechlich wird, wo der Berührungspunkt ist. Das ist vielleicht etwas, das man eher einer weiblichen Energie zuschreiben könnte. Für mich muss das ineinandergreifen. Ich greife da auf unterschiedliche Qualitäten zurück. Insofern gibt es vielleicht Regisseure, die dann sehr viel stärker den männlichen Stil fahren, weil sie vorn vornherein ein klares Bild mit der Prämisse ‚und das wird so und so umgesetzt‘ haben. Es gibt aber auch welche, die den Raum noch größer machen, die sagen, wir improvisieren und lassen uns in das, was passiert, ganz hereinfallen und gucken darauf dementsprechend mit einer größeren inneren Sensibilität. Das würde ich tatsächlich von dem biologischen Geschlecht abkoppeln wollen.

Jens Dornheim: Es gibt natürlich Unterschiede im Regiestil von Eva und mir, die sehe ich aber nicht geschlechterspezifisch. Eva kommt aus dem Theaterbereich und ist nicht so Film-vorgeprägt wie ich, viele sagen mir, sie würden bei mir auch immer noch einen Film ablaufen sehen. Was ich an Eva total bewundere ist, dass sie, wie kaum eine andere Regisseurin, Räume auf der Bühne inszenieren kann und das in einem ganz weichen, homogenen Übergang, so dass es sehr organisch wirkt. So etwas kann ich nicht gut, das beherrscht Eva wirklich fabelhaft.

Die eigenen Kollegen sind untereinander immer die kritischsten. Ein Regisseur sagte mir neulich, er könne sich gar kein Stück mehr anschauen, ohne dass ab der ersten Sekunde eine Maschinerie in seinem Kopf losgeht, was er alles anders inszeniert hätte. Da bin ich noch nicht, ich lasse mich noch gerne inspirieren und manche Sachen nehme ich mit und anderes mag ich eben nicht, zum Beispiel, wenn 20 Minuten chorisch vom Ensemble gesprochen wird.

isso.: Was ist das Schöne an der Regietätigkeit und was unterscheidet dies möglicherweise im Vergleich zu anderen Berufsbildern am Theater?

Eva Zitta: Ich finde das ebenso Schöne wie Beängstigende am Regiehandwerk ist, dass man es nicht allein machen kann. Im Unterschied zu anderen kreativen Berufen ist beim Theater und in der Regie sowohl der Prozess als auch das Ergebnis nur herbeizuführen, indem ein Team miteinander Kräfte vereint. Ich halte es auch für eine gute Ausgangsposition, nicht davon auszugehen, dass man alles als Regie selber wissen muss oder selber am Reißbrett vorbereitet haben kann. Und das ist schön, weil es ein Zusammenwirken von Kräften ist, aber für mich eben auch beängstigend, weil es natürlich eine Kontrollabgabe ist. Ich kann zwar die Probe vorbereiten und mir Gedanken machen, wo das hingehen kann, aber am Ende stehe ich dann in diesem Moment, halte den Rahmen für die Proben und muss gucken, was passiert, quasi aus dem Nichts heraus sehen, wo es hingehen soll.

isso.: Also ausgeliefert?!

Eva Zitta: Ja.

Jens Dornheim: Ja, aber im besten Falle geht es natürlich gut aus, wenn das Team auch mit dir an einem Strang zieht. Das habe ich damals bei Eva auch mitgenommen: Diese Offenheit, das Verständnis vom Stück und die Absicht dahinter zu erkennen und eine Vision zu haben. Ich lebe also diese Offenheit und lege meinen Schauspielern nicht das starre Korsett an, von dem sie durchaus aus anderen Produktionen berichten. Auch bei Eva gab es das nie.

Eva Zitta: Es ist immer die Frage, wieviel Mut man zum Nichtwissen hat. Klar kannst du aus dem ‚ich weiß es schon‘ inszenieren, vielleicht liegt das auch manchen und die kreieren dann etwas, das mehr dem eigenen Kosmos entspricht und weniger aus der Wechselwirkung entstanden ist. Für mich, und ich kenne ja nur mich selbst, wäre das kein Weg, das würde wahrscheinlich eine Totgeburt werden.

isso.: Eva Zitta strahlt viel positives Selbstbewusstsein und eine authentische Selbstsicherheit aus, das wirkt möglicherweise auch mit hinein?

Eva Zitta: Es ist schwierig zu beantworten und an diese Fremdwahrnehmung anzudocken, auch, da ich ja über die Selbstwahrnehmung agiere.

isso.: Sie hat nichts Kokettes…

Eva Zitta: Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich keinen Bock auf Bullshit habe. Das ist, glaube ich, etwas, das mir relativ stark mitgegeben worden ist. Ich habe ein recht gut ausgeprägtes Sensorium für die Absichten in Menschen. Und ich habe keine Lust, mit vorgetäuschten Absichten zu kommunizieren. Wenn ich beispielsweise sage „Ich habe keine Ahnung“, dann ist das auch so. Mir sind Integrität mit sich selbst und der Situation und Transparenz und eine Verletzlichkeit wichtig. Deswegen sage ich nichts, wovon ich weiß, dass ich es nicht durchdrungen habe. Es ist aber natürlich ein tougher Weg, den ich auch forciert habe. Eine Zeitlang hatte ich einen großen Leidensdruck dadurch, dass die Welt nicht generell auf diese Weise funktioniert, und sich die Gesellschaft oder auch der einzelne Mensch nicht mit dem, was er wirklich beabsichtigt oder ist, aufs Tableau bringt. Und ich habe nur eine Ahnung davon, dass es damit zu tun haben könnte, dass meine Ausstrahlung so ankommt. Es liegt mir also sehr fern, so zu tun „als ob“ oder eine Schiene zu bedienen, von der ich weiß, dass sie aus einem Kalkül heraus funktioniert oder vielleicht aus einem Schutz heraus. Natürlich habe ich auch Schienen, aber wenn ich sie entdecke, versuche ich, sie abzubauen. Es ist möglicherweise gefährlicher, aber birgt auch viel mehr innere Qualität. Denn in welche Art von Gesprächen komme ich, wenn ich so ein Bild vor mir hertrage? Dann komme ich zu genau den Kontakten, die mit diesem Bild kommunizieren.  Ich möchte aber doch gerne Kontakte ermöglichen, wo es um mich und den anderen im Wesenskern geht. Und ich glaube, das ist auch meine Regiearbeit, das herauszufinden – wo berühren sich tatsächlich Wesen? Eine Fähigkeit, die ich tatsächlich bewusst übe, ist, Angst auszuhalten.

Jens Dornheim: Ich weiß nicht, ob das wirklich eine Angst ist, aber wenn ich jetzt tief genug grabe, vielleicht doch. Und die Frage: Warum setze ich nicht alles auf das, was mich so erfüllt – die Theaterarbeit? Warum gehe ich nicht raus aus der Tätigkeit, in der ich fest angestellt bin, gehe diesen Schritt ins eisige Wasser und mache nur noch das? Ich bin zufrieden mit der Zuschauerzahl beim „Weibsteufel“, aber es bereitet mir arge Bauchschmerzen, wenn ich darüber nachdenke, dass ich mich eventuell für ein halbes Jahr beim Amt melden muss. Ich war da mal kurz nach dem Studium und ich will das nicht mehr. Ich arbeite lieber. Und es ist nicht so, dass ich ungern als Ausstellungsleiter arbeite, im Gegenteil. Weil ich dort innerhalb meiner organisatorischen Arbeit in Kontakt mit vielen Künstlern komme, zum Beispiel besuchte uns gestern der Künstler Eckart Hahn aus Reutlingen, so etwas freut mich dann natürlich sehr oder Sabine Bachem, die das Bühnenbild gemalt ist, ist gleichzeitig Vorsitzende des Kunstvereins in Dorsten.

isso.: Also ist es eine existentielle Angst?

Jens Dornheim: Ja.

Eva Zitta: Ich habe mich gerade selbständig gemacht und bin maximal in der existentiellen Angst.

Jens Dornheim: Wie fühlst Du Dich jetzt damit?

Eva Zitta: Dadurch bin ich mit etwas konfrontiert, das mich gerade wachsen lässt. Ich habe den Luxus, dass mich die Finanzfrage nicht so in einer wirklich existenziellen Form triggert. Nicht, weil ich Geld hätte, sondern weil ich kein Gefühl von Bodenlosigkeit habe. Wenn ich wollte, könnte ich mich wieder anstellen lassen.

Jens Dornheim: Also hast Du irgendwie Vertrauen….

Eva Zitta: Ja, aber was tatsächlich passiert ist, dass sich plötzlich sehr viel mehr die Frage aufdrängt: Was willst Du eigentlich machen? Jetzt hast du dir den Freiraum kreiert, sozusagen ein weißes Blatt Papier genommen. Wenn Geld keine Rolle spielen würde, was ist es, das Dich erfüllt? Nehme ich also den Transkriptionsjob an der Uni an – ich bin ja Linguistin (Sprachforscherin, Anm. der Red.) und habe bestimmte Skills, die mir Jobs verschaffen – oder leiste ich mir die Frage, ob ich das wirklich will? Und das ist jetzt anders, als wenn du sagst, ok, das ist eine tolle Anstellung mit ein paar klasse Seiten, bist krankenversichert und das ganze Pipapo. Aber ich stehe gerade eher in der Angst: Habe ich den Mut zu sagen, ich kümmere mich nur noch um Jobs, die quasi eine innere Verheißung sind? Neben der Regie bin ich ja auch im Coaching-Bereich tätig und bin diesbezüglich gerade in Planungen mit einer Kollegin für ein besonderes Angebot. Wir haben das im vergangenen Jahr (2017) schon während der Festivalsaison gemacht, keine Musikfestivals, sondern alternative Festivals zur inneren Erweiterung wie New Healing, Ancient Trance oder Blaue Blume. Wir bieten da die „SPÜRBAR“ an. Das ist ein Zelt, in das man mit einem inneren Anliegen welcher Art auch immer hineingehen und Möglichkeiten finden kann. Dort kann man sich dann versorgen mit dem, was gebraucht ist – von Augenkontakt über Gespräche bis hin zu Workshops und Kommunikationsübungen. Das planen wir also gerade und ich merke, da ist Energie drin. Aber dann kommt natürlich die Geldfrage. Wer bezahlt das? Hat es genug Sog, dass es aufschlägt und eine Strahlkraft kriegt? Das fordert mich gerade heraus. Das Bequeme wär, zu sagen: Ok, ich habe die und die Zertifikate und Fertigkeiten und damit könnte ich Geld akquirieren. Aber ist es das, was ich möchte?

Isso.: Da verschwindet sofort das Strahlen aus dem Gesicht….

Eva Zitta: Genau. Aber das ist ja die Arbeit daran, mit der größtmöglichen Integrität sich selbst gegenüber zu agieren und sich zu fragen: Was möchte ich tun? Und nicht aus einem Egoismus, sondern in meiner Weltsicht ist es tatsächlich so, dass es das Altruistischste ist, was man tun kann, seine Energie dahin zu bringen, was einem wirklich entspricht.

Jens Dornheim: Um noch einmal auf die existentielle Angst zurückzukommen: Ich weiß von Kollegen, die rein in der freien Theaterszene unterwegs sind, was sie alles für Schwierigkeiten haben und ich weiß, welche Stoffe Geld bringen, aber die möchte ich alle nicht machen.

isso.: Wir (der Interviewte und die Redakteurin, Anm. der Red.) sind ja nun ein Jahrzehnt älter, auch vielleicht noch eine andere Generation, als Eva Zitta, das macht sich möglicherweise hinsichtlich der inneren Ressourcen für derartige Kraftanstrengungen bemerkbar?

Jens Dornheim: Die Energie entsteht bei einer Arbeit wie beispielsweise aktuell beim „Weibsteufel“, wenn ich merke, dass ich die Leute auch mit meinem Enthusiasmus anstecken kann. Wenn ich mir ein Stück aussuche, dann geschieht das aus einem bestimmten Grund und dann bin ich davon auch überzeugt. Dann will ich das machen und dann rollt das Ding. Auch wenn die Finanzierung nicht steht. Wenn ich das unbedingt machen will, dann hält mich schwer etwas zurück, es auch umzusetzen. Das ist dann manchmal, die eigenen Ressourcen betreffend, nicht so ressourcenschonend, aber es gibt mir wiederum viel, wenn ich merke, dass die anderen das nicht nur als Auftragsjob machen, sondern eine wirkliche Begeisterung dahintersteht. Das bestärkt mich in meinem Tun und wenn dies bei vielen Zuschauern auch noch ‘rüberkommt, macht mich das besonders glücklich. Bei glassbooth speziell war es schon eine Überraschung, dass „Luther“ so phänomenal durch die Decke gegangen ist. Man kann aber nicht erwarten, dass man mit „Kosmetik des Bösen“ zum Abräumer der Essener Theatersaison wird. Die Liebe zum Literaturtheater ist für ein Stadttheater in Ordnung, aber nicht für die freie Szene. Die Förderer verlangten da lange Zeit etwas anderes und sagten, da müsst ihr eine Mischform finden zwischen Performance, Musik, Tanz und ein bisschen Schauspiel. Ich habe aber trotzdem an meinem Konzept festgehalten und mittlerweile ist es zumindest so, dass bei der Bezirksregierung erkannt wurde, dass, wenn man mit einer gewissen Beständigkeit dabei ist und keine Projekte hat platzen lassen, auch das kommt öfters mal in der freien Szene vor, wir uns also bemühen, eine Verlässlichkeit zu bieten und an unterschiedlichen Spielstätten auch ein möglichst breites Publikum zu generieren. In einigen Städten klappt das mittlerweile ganz toll, in Gladbeck haben wir uns das gut aufgebaut, ich war aber auch am gestrigen Abend in Essen (Katakomben-Theater, 17.11.2018, Anm. der Red.) mit 60 Zuschauern total zufrieden. Wenn man also eine gewisse Nähe zur Region schafft, ist auch Literaturtheater in Ordnung. Diesen Bogen haben wir dann mit dem Weibsteufel jetzt geschlossen. Ein befreundeter Kollege, der nur an Stadttheatern beschäftigt ist, echauffiert sich geradezu darüber, dass man sich in der Freien Szene von Fördern hereinreden lassen muss. Beim Weibsteufel fiel mir das jetzt leicht, da konnte ich sagen, wir verlegen das jetzt ins Ruhrgebiet, legen das Ruhrgebiet sozusagen als Folie drauf. Wenn wir aber nun weitergehen und weiterhin Geld erhalten wollen, muss etwas Neues überlegt werden. Also fusionierten Ulrich Penquitt vom Trias Theater und Theater glassbooth jetzt, das wurde uns auch nahegelegt, so dass wir jetzt drei weitere Projekte zusammen angehen werden. Die Bezirksregierung hat uns gesagt, wir müssten den kleinen Streifen des Ruhrgebiets abdecken, die Städte Bottrop, Gelsenkirchen und Gladbeck, wo ja nichts sei, da sollten wir uns zusammentun und etwas konzeptionieren. Also habe ich überlegt, was könnte denn interessant sein, es muss ja auch passen und nicht mit Lokalkoloritstoff und „Glück auf“ daherkommen.

Eva Zitta: Warum nicht? Man kann es doch mal umdrehen, gegeninszenieren.

Jens Dornheim: Darüber habe ich auch schon einmal nachgedacht.

Eva Zitta: Die Schattenwelt der Schwänke aufdecken.

Jens Dornheim: Ja oder mal im Ruhrgebietsdialekt ein ernstes Stück durchziehen. In Bayern wird das ja auch gemacht.

Eva Zitta: Ich muss so kotzen dabei, dass es normal ist, sich für Förderanträge dermaßen zu verbiegen!

Jens Dornheim: Ja, ich weiß, ich auch eigentlich. Uli, der das Ruhrgebietlerische – als einzige Figur im „Weibsteufel“ – so ein bisschen durch das breite Sprechen transportiert, hat das am Anfang sehr stark, fast schon einen Hauch zu viel rübergebracht.

Es gibt aber Kompromisse, bei denen man sich nicht verbiegen muss. Die Region einbeziehen und trotzdem einen anspruchsvollen Stoff zu realisieren. Es gab ja diesen Visconti-Film, der die Verstrickung der Krupp-Familie im Nationalsozialismus zum Thema hat, obwohl sie namentlich nicht genannt werden. Er hat das ziemlich intelligent gemacht, als Folie ein Shakespeare’sches Königsdrama darübergelegt – der Aufstieg und Fall eines Angeheirateten – und nachher gewinnen doch die Nazis. Kein wirklich optimistischer Film, aber er passt auch ganz gut in unsere Zeit und es ist ein regionales Thema. Das fand ich spannend und bei einem Interview zu einem Trailer bin ich von Peter Ortmann gefragt worden, was wir denn als Nächstes machen und so erzählte ich ihm von diesem Stoff. Da meinte er nur, gab es doch neulich, um die Ecke, in Essen, im Grillo. Und tatsächlich, unter „Der Fall der Götter“ ist es im März erst am Grillo-Theater aufgeführt worden. hat gesagt: So, what?! Und David Bösch zeigt es jetzt auch in Berlin. Aber wir wollen das trotzdem machen.

isso.: Um wieder einmal den Bezug zu Gelsenkirchen herzustellen, mit welchen Stücken ist glassbooth in der Schauburg aufgetreten?

Jens Dornheim: „Kubus“, das war das erste, dann „Kosmetik des Bösen“ „Das Produkt“ und zuletzt „Zeit der Kannibalen“.

Eva Zitta: Ich fand die ganze Aktion ausreichend abenteuerlich, um mich zu begeistern, schon rein logistisch und aufgrund der Vorbedingungen – es ist ja keine Theaterbühne, sondern eine Vorbühne für eine Filmtheaterprojektion. Es ist rund, es gibt kein Off, es ist alles plüschig, akustisch der Horror. Aber es war dann auch wieder grotesk genug, dass ich es charmant fand. Wir teilten uns das Off – die Gänge hinter der Leinwand – mit einer lebensgroßen Kung Fu – Panda – Figur. Ich fand es irgendwie nett.

Jens Dornheim:  Es ging ja dann auch irgendwie akustisch. Meine Mutter hat „Kosmetik des Bösen“ dort gesehen, denn damals haben wir nicht in Gladbeck gespielt und so ist sie an den nächstgelegenen Ort gekommen und es ist bis heute das Lieblingsstück meiner Mutter.

Eva Zitta: Die Zusammenarbeit mit Ralf Kolecki, dem Theaterleiter der Schauburg, war mega angenehm. Ich bin mit ihm nicht näher befreundet, aber es war einfache eine Zusammenarbeit, die funktioniert hat. Es gibt durchaus Profi-Locations, wo wir als Theater hinkamen, wo die Überschrift lautete: Es geht alles nicht, weil das hier kein Theater ist. In der Schauburg dagegen lief immer alles unter dem Aspekt der Ermöglichung. Ich weiß, dass wir mal in Bottrop gespielt haben – ohne jetzt Bottrop bashen zu wollen – das war eigentlich ein professionell ausgestatteter Saal und dann hat uns der Herr, der da verantwortlich war, unter technisch-logistischen Aspekten durchgeführt, während wir Fragen bezüglich der Beleuchtung und Ausgänge gestellt haben. Das erste, was er nach jeder Frage sagte, war: Aber datt geht ja nich, datt is ja nich für Theater gemacht – und so ging das dann die ganze Zeit. In der Schauburg war es eben schön, dass es anders war.

isso.: Die Bühne im Kulturraum „die flora“?

Jens Dornheim:  In der flora gibt es wesentlich mehr Auflagen, es gibt auch eine Liste, die man vorher ausfüllen muss, das betrifft dann das Bühnenbild und die Bestuhlung und es gibt die Möglichkeit, die Bühne in der flora vorne durch einen Anbau zu erweitern. Beim „Kalten Kind“ damals war es sehr beengt, wir waren ja zu acht…

Eva Zitta: Und der Kinderwagen ist fast abgestürzt…

Jens Dornheim:  Das Bühnenbild bestand aus geometrischen Formen, Quadern aus Styropor und dafür war die flora-Bühne eigentlich zu schmal. Wir haben es dann tatsächlich irgendwie geschafft…

Eva Zitta: Es war halt ein bisschen grotesk, denn es gibt in dem Stück unterschiedliche Locations. Die Grundausstattung ist eine Café–Situation, wo die Paare und die Familie an unterschiedlichen Tischinseln sitzt. Die ursprüngliche Bühne im Katakomben-Theater war breit genug zu vermitteln, dass man einen Abstand hat, der auch glaubhaft wirkt. In der flora saßen die einander fast auf dem Schoß während man behaupten musste, dass sie einander in der Weite der Bühne nicht bemerken. Es hat, glaube ich, eine andere Art von grotesker Szenerie aufgemacht, die aber in dem Fall nicht beabsichtigt war.

Jens Dornheim:  Bei dem kürzlich aufgeführten Stück „Das Interview“ war es leichter, denn die Bühne ist vorgegeben, egal wo wir spielen. Was ich in der flora schwierig finde ist, dass man in diesem Mehrzweckraum, so will ich ihn mal nennen, immer ebenerdig sitzt und die Bühne nicht hoch genug ist. Wenn die Schauspieler auf der normalen Bühne sitzen, beim „Totenschiff“ wurde mir das ab und zu gespiegelt, dann hat die vorletzte Reihe schon nichts mehr gesehen.  Beim „Interview“ haben wir zumindest die Bühne durch den Boxring erhöhen können. Man kann in der flora nicht alles spielen. Genauso wie wir damals im Malakow – Turm in Bottrop –

Eva Zitta: Sternstunden der Gastspiele…(lacht)

Jens Dornheim: Ja, Sternstunden der Gastspiele…(lacht ebenfalls) Kosmetik des Bösen“ gespielt haben. Das sind dann die Herausforderungen der Locations. Ich könnte zum Beispiel in der flora nicht den „Weibsteufel“ spielen, mit dem Bühnenbild geht das auf keinen Fall.

Eva Zitta: Ich fände ja den Raum, wenn man an der Bühne rechts vorbei geht, dort wo man die Verladung machen kann, einen geeigneten Spielort.

Jens Dornheim: In dieser Garage?

Eva Zitta: Ja, aber das können oder wollen die wahrscheinlich nicht machen aufgrund von Auflagen.

Jens Dornheim: Ja, und auch dort ist es meistens so, dass ich das Gefühl habe, man kann nicht so viel möglich machen, da sind einfach viele Auflagen mit verknüpft. Aber Tetiana (Tetiana Sarazhynska, Anm. der Red.) hat da eine gute Art der Kommunikation und einen guten Draht, da gab es dann beim „Interview“ wirklich gar keine Schwierigkeiten.

isso: Ein Abschlussfazit?

Eva Zitta: Kommt ins Theater!

Jens Dornheim: Kann ich nur unterschreiben. Gestern war meine Nachbarin mit ihrer Schwester da und die gehen normalerweise nicht ins Theater, meinten aber, dass sie nun öfter gehen würden. Das sind positive Rückmeldungen, die mich besonders freuen, Menschen an so einem Abend glücklich machen zu können.

isso: Thema Ruhrpott: Fühlt sich der Gladbecker eigentlich dem Ruhrgebiet oder dem Münsterland näher?

Jens Dornheim: Eine Schippe mehr dem Ruhrgebiet, würde ich sagen.

Eva Zitta: Kleiner Exkurs noch einmal zu „Kommt ins Theater!“ und warum es mich so schmerzt, dass man sagen muss: Dann machen wir dieses Stück auf Ruhrpott, damit es eine Förderung kriegt. Ich finde es wirklich schmerzhaft zu sehen, dass nicht automatisch gesehen wird, was Theater kann, wie Menschen bewegt werden können. Und selbst, wenn es keine Theatergänger sind, sich einer Sache auszuliefern und dieses Angebot wahrzunehmen. Und ob das dann Ruhrgebietsdeutsch ist und ob das jetzt einen regionalen Bezug hat oder nicht – wenn es den einen Moment gibt, der mir sagt: Krass, das habe ich vorher noch nie gesehen, ich bin ergriffen von dem, was vorher überhaupt nicht in meiner Welt aufgetaucht ist, oder ich sehe etwas Bekanntes auf eine neue Art, dann ist doch etwas gewonnen. Und das macht mich wütend und traurig, dass man quasi rechtfertigen muss, warum man dafür Geld bekommen möchte.

Jens Dornheim:  Das tut mir auch manchmal sehr weh. Ich wollte ja „Das wilde Schaf“ machen und ich habe das immer noch in meinem Kopf und irgendwann werde ich das umsetzen, am liebsten mit Eva als Regisseurin. „Das wilde Schaf“ ist eine Transkription eines Romy Schneider Films aus den 70er Jahren, ein ganz toller Stoff und Eva wäre dafür super, denn es hat sehr viele Ortswechsel. Ich habe das noch nicht abgetippt, weil sie damals gesagt haben, das fördern wir nicht.

Eva Zitta: Ich kannte den Film nicht und wusste damit auch nichts Genaueres vom Inhalt. Wenn es nur die Filmvorlage gibt, dann möchte ich es mir vorher nicht angucken, um unvoreingenommen zu sein. Ich kann es also noch nicht lesen, weil es das noch nicht als Text gibt?

Jens Dornheim: Genau, ich hätte mich sonst sofort drangesetzt und es abgetippt, aber ich wurde ja direkt ausgebremst: warum sollen wir einen französischen Stoff fördern? Dabei gefällt mir der pervertierte Plot von „Cyrano de Bergerac“ so gut: Das Pendant des tumben Christian von Neuvillette, dem Cyrano die poetischen Briefe schreibt, kommt in der Verfilmung mit seiner Masche durch, wird am Ende stinkreich und bekommt auch noch die Frau.

Eva Zitta: Das gefällt Dir! (Lacht)

Jens Dornheim: Ja. (Lacht auch)

 

Vorhang.

 

Die isso. dankt Eva Zitta und Jens Dornheim

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