Architektenverband (BDA) mahnt Stadt zu Qualitätssicherung
von Denise Klein
Fast sieht es so aus, als hätte ein Riese mit bunten Bauklötzen gespielt und sie anschließend mitten auf der Wiese vergessen… Es ist ein verspielter Entwurf für das neue Kita-Gebäude an der Schulstraße in Gelsenkirchen-Erle – und genau deswegen könnte er nicht besser passen für einen Ort, an dem seit Mitte 2014 fast 100 Kinder spielend ihre kleine Welt entdecken.“
Es ist ein nettes sprachliches Bild, das die Gelsenkirchener „gemeinnützige wohnungsgesellschaft mbh“, kurz ggw, auf ihrer Homepage zeichnet.
Quadratisch, praktisch, gut; auch so könnte die Überschrift lauten, unter der die hiesigen Kitas der letzten Jahre geplant und gebaut wurden. Mit insgesamt acht Kitaneubauten durch die ggw hat die Stadt Gelsenkirchen auf den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz reagiert, der 2013 in Kraft trat.
Nun steht die Stadt wieder in Baustartposition, diesmal geht es nicht um Kindergärten, sondern um Schulen. Obwohl die Stadt bereits einen Schulentwicklungsplan 2018 – 2026 hatte, beauftragte sie nun die Agentur Dr. Garbe, Lexis & von Berlepsch, die einen aktuellen Schulentwicklungsplan erstellte mit dem Ergebnis: die Schüler*innenzahlen steigen – zum einen durch deutlich mehr Geburten in Gelsenkirchen, zum anderen durch den Quereinstieg, sprich: durch mehr zugezogene Kinder, die ihre Schullaufbahn nicht in GE begonnen haben. Insgesamt spricht das Gutachten von 1.200 Kindern, die künftig zusätzlich beschult werden müssen. Den Neubau von zwei Schulen empfiehlt die Studie, drei Grund- und drei Gesamtschulen. Was nicht nur einen enormen Kostenfaktor für die zukünftigen Stadthaushalte bedeutet, sondern auch ein hochsensibler politischer Akt werden kann und wird. Schon bei der Vorstellung des Gutachtens durch Bildungsdezernentin Annette Berg ließ sich erkennen, dass dieser Weg kein leichter sein wird. Der Vorschlag der Verwaltung, die ggw als Baupartner mit der Planung und dem Bau zu beauftragen, stieß bei der Opposition nicht auf Gegenliebe. Sie einte das geplante Vorgehen, die ggw als Entwicklungspartner mit der Aufgabe zu betrauen.
Jetzt hat der Bund Deutscher Architekten (BDA) Gelsenkirchen in einem Brief an Oberbürgermeister Baranowski und den neuen Stadtbaurat Christoph Heidenreich seinen großen Unmut über die geplante Vorgehensweise bekundet. Kritisiert wird die beschleunigte Umsetzung durch ein verkürztes Verfahren, das nicht nur die Wettbewerbsfreiheit einschränke, sondern auch den Willen zum bestmöglichen Ergebnis fehlen lasse.
„Es gibt ja eine Menge Best-Practice-Beispiele aus anderen Städten, an denen sich Gelsenkirchen orientieren könnte. Wir reden hier über Bauten, die mindestens für die nächsten 80 Jahre die Baulandschaft dieser Stadt prägen werden und die Generationen von Schülerinnen und Schülern und natürlich auch von Lehrkräften beherbergen wird“, so Monika Güldenberg, Architektin und erste Vorsitzende für den BDA Gelsenkirchen.
Dass weder Öffentlichkeit noch bestmögliche Expertise durch offene Wettbewerbe seitens der Stadt geplant sind, hält die SPD aber für das Gebot der Stunde: „Noch einmal: Das Gutachten spricht eine sehr eindeutige Sprache. Wir haben nicht die Zeit für aufwändige Verfahren. Die Kinder, die bis 2024 einen Schulplatz brauchen werden, sind jetzt schon in den Kitas, und sie werden in den kommenden Jahren ganz real funktionierende Gebäude, Klassenzimmer und Fachräume brauchen“, so Bürgermeisterin Martina Rudowitz.
Diese Argumentation kann WIN-Stadtverordneter Ali-Riza Akyol nicht nachvollziehen: „Eine Ausschreibung ist eigentlich selbstverständlich. Man muss bedenken, dass eine Schule jahrzehntelang genutzt wird und mit wichtigen, prägenden Erinnerungen verbunden ist. Vor diesem Hintergrund sind eine gründliche, kreative und pädagogisch sinnvolle Planung und Umsetzung unerlässlich. Da kann man nichts übers Knie brechen und das Thema quasi verwaltungsintern behandeln. Darüber hinaus können und sollen von Schulen städtebauliche, innovative, zukunftsweisende Impulse ausgehen, was nur gewährleistet wird, wenn man städteübergreifende, nationale oder gar internationale Ideen einfließen lässt, was nur möglich ist, wenn man in einer Ausschreibung unterschiedliche Ansätze einbezieht.“
Doch die Stadt ist klamm und hat die Kosten gerne niedrig und im Griff. Die ggw ist in dieser Hinsicht mehr als erprobte und standsichere Partnerin. Doch sind Kitas nun mal eine andere Hausnummer als Schulen für mehrere Tausend Kinder und Jugendliche. „Wenn wir nicht wollen, dass Kinder unversorgt bleiben, dann können wir uns schlichtweg keinen Zeitverzug leisten, und ich bin an dieser Stelle sehr froh, dass wir mit der ggw hier ein Unternehmen in Gelsenkirchen haben, das in der Lage ist, die notwendigen Gebäude in der nötigen Geschwindigkeit und Qualität zu errichten. Das hat die ggw bei den Kita-Neubauten in den letzten Jahren bewiesen. Auch hier ist teilweise auf Fertigteile oder Module zurückgegriffen worden, als sehr schnell neuer Raum geschaffen werden musste, und mir sind bisher keine Beschwerden über die Gebäude bekannt, weder von den Erzieherinnen noch von Eltern oder von Nachbarn“, so Bürgermeisterin Martina Rudowitz.
Für temporäre Ergänzungen mit Modulen für bestehende Schulen hat Markus Karl, bildungspolitischer Sprecher der CDU-Ratsfraktion, durchaus Verständnis. Aber das dürfe nicht das Maß bleiben: „Es wäre schön gewesen, wenn die Verantwortlichen ein wenig progressiver handeln würden. Ich habe schon vor Jahren eine Montessorischule ins Spiel gebracht. In Vier-Augengesprächen mit der Verwaltung hat das immer Anklang gefunden, aber letztlich hat wohl immer der Mut gefehlt, etwas Neues anzustoßen“, beklagt Markus Karl.
Doch auch aus eigenen Reihen bekommt Rudowitz Widerspruch. Parteikollege und Gelsenkirchener Architekt Albert Ude äußerte sich auf Facebook enttäuscht zum Vorhaben:
„Nicht überraschend, gleichwohl peinlich: Neubauten von Schulen ohne Qualitätswettbewerb! Die Wohnungsbaugesellschaft wird das unaufgeregt und frei von Gedanken an Planungskultur, Öffentlichkeit oder Beteiligung fachlicher Expertise mit den gewohnten Methoden und Partnern erledigen. Die Beispiele für dieses Vorgehen sind allerorts in Gelsenkirchen zu besichtigen. Langweilige Zweckbauten, ernüchternd emanzipiert von Gestaltungsansprüchen, sicher zweckdienlich, schnell und billig. Wenn es das ist, was wir richtig finden für die Lern- und Arbeitsplätze unseres Bildungswesens… Herzlichen Glückwunsch, Gelsenkirchen.“
Ein Post, für den Ude breite Zustimmung und zuhauf unterstützende Kommentare bekam. Auch die Grünen halten von der Lightvariante nichts. Für den grünen OB-Kandidaten David Fischer gehören neben der obligaten Ausschreibung auch weitere Expertisen dazu: „An den Schulentwicklungsprojekten sind Eltern, Schüler*innen, die Stadtgesellschaft, die Politik sowie die bestehenden Bildungseinrichtungen zwingend zu beteiligen. Konkrete Beispiele hierfür sind die Einbeziehung der Gertrud-Bäumer-Realschule. Die Schulkonferenz hatte schon vor zwei Jahren beschlossen, dass die Realschule zu einer Gesamtschule werden soll“, so sein Vorschlag.
Es gibt also noch eine Menge zu bereden. Dass diese große Entscheidung nicht einfach durchgewunken wird von Mehrheiten, die es schlicht können, bleibt zu hoffen. Schließlich hat die Stadt erst kürzlich gezeigt, dass sie „out of the box” denken will und kann. Mit dem Vergabewettbewerb zum Bau der neuen Gesamtschule auf dem Gelände des ehemaligen Schalker Vereins West haben dies die Entscheider*innen bewiesen. Hier hat die Stadt ausgelobt, und das Rennen machte das Büro Hascher Jehle Architektur Berlin mit einem nicht nur in in der Fachwelt hochgelobten Entwurf.
Stellungnahme des BDA: https://isso-online.de/neubau-von-fuenf-schulbauten-ohne-anwendung-des-vergaberechts-fuer-oeffentliche-auftraggeber/
Stellungnahme Dezernentin Annette Berg: https://isso-online.de/eilbeduerftigkeit-besteht/