SPD: Zu wenig Interesse
CDU/Grüne: Geduld und Wille
von Denise Klein
„Falsches Signal“ – „Mogelpackung“ – „Nebelkerze“ – „Blödsinn“ – „Klientelpolitik“ – „Überfallartig“
All diese Worte fielen in der bisweilen hitzigen Diskussion zum Ende des Bürgerhaushalts in Gelsenkirchen. Den will die SPD-Fraktion aber so nicht nennen, sondern legte die Beschlussvorlage zur „Verbesserung der Bürgerbeteiligung im Haushaltsverfahren vor“, die auch mit dem Stimmen der Linken und des parteilosen Jürgen Hansen beschlossen wurde.
Im März 2014 ging der Bürgerhaushalt (BHH) an den Start. Unter der Überschrift „Meine Stadt – Meine Ideen“ orientierte man sich an anderen Städten und Kommunen, die diesen Schritt in Richtung Bürgermitbeteiligung schon vorher gegangen waren. Mit ganz unterschiedlichen Erfolgen. So hatte sich im Sommer letzten Jahres Mülheim mit Zustimmung aller Fraktionen für die Abschaffung entschieden. Hier hatte übrigens die führende SPD lange die Hand über den BHH gelegt, die Opposition immer wieder auf das Scheitern aufgrund von immer geringeren Beteiligungszahlen verwiesen.
Dieses Schicksal ereilte auch den Gelsenkirchener Bürgerhaushalt. Hatten noch für das Haushaltsjahr 2015 482 Vorschläge die Stadt erreicht, gingen zuletzt für 2017 nur noch 182 ein. Eindeutig zu wenig, nach Meinung der SPD. Das sahen letztlich alle Parteien so, allerdings zogen CDU, Grüne, AUF und WIN andere Schlüsse. Man müsse das Ganze attraktiver machen für die Bürger, weiter ausbauen. Einen richtigen Wunsch zur Beteiligung der Gelsenkirchener sah CDU-Fraktionssprecher Wolfgang Heinberg bei der SPD nie: „Der Bürgerhaushalt war immer nur geduldet, aber ‚geduldet‘ wächst nicht, ‚geduldet‘ geht ein.“
Für die SPD sei der Weg über die Bezirksvertretungen der richtige Weg. „Das abstrakte Verfahren hat bisher keinen Erfolg gezeigt. Wenn wir es an die Nachbarschaften koppeln, ist die Chance größer, die Menschen zu gewinnen, sich mit Vorschlägen einzubringen“, so SPD-Fraktionsgeschäftsführer Dr. Günter Pruin. Mit einer Beteiligung von gerade mal 0,07 % im letzten Jahr sei das Konzept offensichtlich nicht aufgegangen.
Monika Gärtner-Engel von AUF-Gelsenkirchen sieht in der Abschaffung eine vorhersehbare Entwicklung, da die SPD schon „bei den damaligen ersten Diskussionen zum Bürgerhaushalt Bedenken angebracht hat, der Bürger könne falsche Erwartungen haben, seine Wünsche würden einfach so erfüllt werden können.“ Sie sieht den Grund für die rückläufige Beteiligung der Bürgerschaft auch im Umgang der SPD-Ratsmehrheit und der Verwaltung mit den Vorschlägen. Gerade in Zeiten größer werdender Politikverdrossenheit sei das ein falsches Signal.
Fakt ist, dass der Bürgerhaushalt immer nur ein Vorschlagswesen war, das an den originären Haushalt der Stadt gebunden war. Es standen also keine separaten Mittel für eine gesonderte Verwirklichung zur Verfügung, sondern Bürgeranregungen wurden gesammelt und letztlich vom Rat der Stadt beschlossen oder verworfen. Schaut man sich die Vorschläge der letzten drei Jahre an, so haben die Gelsenkirchener das Instrument meist gewissenhaft genutzt. Dort stehen unter anderem Vorschläge zur Energieeinsparung im öffentlichen Raum, alles rund um den Hund und seine Hinterlassenschaften, Fahrradwege, natürlich Müllprobleme, Bepflanzungen, Busverbindungen, Schwimmbad-Öffnungszeiten oder niedrigere Preise für den Zoo auf den Wunschzetteln. Zumindest auf die Einreichungen, die es auf die Bestenliste geschafft haben, hat die Verwaltung für alle einsehbar den Stand der Dinge erläutert. Viele Anregungen seien schon heute Teil der Agenda oder schlicht nicht durchsetzbar, da hier nur auf Landes- oder Bundesebene entschieden werden kann.
Ja, und dennoch kann es frustrierend sein, wenn die eigenen Ideen gegen die Wand laufen. Doch Transparenz ist sicherlich einer der größten Pluspunkte des öffentlich zugänglichen Bürgerhaushalts. Denn den meisten Bürgern fehlt nun mal naturgemäß die Innensicht. Wer weiß schon, welche Dinge schon auf den Weg gebracht wurden, nicht finanzierbar sind oder aufgrund von rechtlichen Hürden zum Scheitern verurteilt sind?
Hier ein Beispiel: Im Jahr 2015 schlug ein Bürger vor, die Sanitäranlagen, sprich: die Toiletten, in den Gelsenkirchener Schulen zu erneuern: „Wer kennt das nicht. Marode Toiletten ungepflegt und unschön, zudem kalt, und die Toiletten haben meist die 30 Jahre schon voll. Ich finde, für den Erhalt der Schulen sind vernünftige neue Toiletten sinnvoll! Es sollte mehr in den Bauerhalt investiert werden. Es sollte warmes Wasser auf den Toiletten vorhanden sein, sowas ist z.B. bei der Gemeinschaftsgrundschule Kurt-Schumacher-Straße nicht der Fall“, ist dort in der Begründung zu lesen.
Die Antwort der Verwaltung: „Im Rahmen eines Sonderprogramms werden seit mehreren Jahren die Schultoiletten schrittweise grundsaniert. Die hierfür erforderlichen Mittel sind gesondert auch für die folgenden Jahre im Entwurf des Haushaltsplanes enthalten. Darüber hinaus notwendige Reparaturen werden unverzüglich im Rahmen der Gebäudeunterhaltung durchgeführt. Der Wunsch nach warmem Wasser an den Handwaschbecken ist aus hygienischen bzw. gesundheitlichen Gründen (Legionellenproblematik) sowie aus finanziellen Gründen nicht umsetzbar. Ein entsprechendes Angebot ist gesetzlich nicht vorgesehen und würde zu erheblichen Folgekosten (Energie, Wartung, Unterhaltung) führen.“
Ali Akyol, Fraktionsvorsitzender der WIN Ratsfraktion, sprach sich für eine Modifizierung und Beibehaltung des Bürgerhaushalts aus. Für ihn bräuchte die Idee Zeit, um mehr Akzeptanz in der Bürgerschaft zu erlangen: „Man kann nicht erwarten, dass man ein Instrument der Bürgerbeteiligung einsetzt, und alle laufen Sturm. Das braucht Zeit, da ist schon viel Interesse und Willen seitens der Bürgerinnen und Bürger verloren gegangen. Das müssen wir mit Geduld wiedererlangen. Das braucht Zeit und keine Abschaffung. Vor allem nicht ohne Ursachenforschung“, so Akyol. Auch die monetäre Begrenzung von 200.000 € für die Bezirke sieht er kritisch. „Was ist, wenn super Vorschläge kommen, die uns als Stadt nach vorne bringen, aber mehr Geld kosten, als im Plan veranschlagt?“, fragt er in Richtung Antragsteller. Klaus Haertel, Vorsitzender der SPD-Ratsfraktion, verweist auf den Auftrag seiner Fraktion an die Verwaltung, bis Mai dieses Jahres die Eckpunkte auszugestalten. Man habe eben extra keinen Antrag als fertige Vorlage formuliert.
Also doch noch Spielraum für mehr Bürgerbeteiligung auf gesamtstädtischer Ebene? Damit ist kaum zu rechnen. Fest scheint zu stehen, dass Bürgerinnen und Bürger sich künftig an Parteien in den Bezirken wenden müssen, um Vorschläge zu machen. Inwieweit die Bezirksverordneten dann Entscheidungsbefugnis haben, ob ein Lenkungskreis beibehalten wird, wie man Anregungen, die über das eigene Quartier hinausgehen, anbringen kann – darüber grübelt wohl derzeit die beauftrage Verwaltung.
Für Sascha Kurth (CDU) ist dieser SPD-Antrag die denkbar schlechteste Lösung:
„Damit werden die 200.000 € an alte Bekannte fließen, die heute schon mit den bestehenden Beteiligungsinstrumenten in den Bezirksvertretungen vertraut sind und die vielfach mit den politischen Akteuren eng verbunden sind. Wir werden keine Initiativen mehr von normalen Bürgerinnen und Bürgern erleben, wie sie am bisherigen Bürgerhaushalt teilgenommen haben. Im neuen Verfahren werden wir stattdessen die 52ste Ferienfreizeit der Falken oder den 39sten Integrationskurs der AWO erleben – das ist Klientelpolitik vom Feinsten.“
Schelte bekam die SPD im Übrigen von fast allen Oppositionsfraktionen für den spät eingereichten Antrag, ganze drei Tage vor der Ratssitzung. „Ich kann mir vorstellen, was hier los gewesen wäre, wenn wir das gemacht hätten“, empörte sich Marion Gärtner-Engel.
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