Das „Eiserne Dreieck” – Über Sportverwaltung und „Effektive Opposition”

Von Joachim Sombetzki

Jüngst hat der Stadtsportbund
„Gelsensport” im Rathaus zweifach negativ auf sich aufmerksam gemacht.

Die Ausgangslage
Die beiden Fälle betreffen jeweils Auskunftsverlangen von Stadtverordneten an Gelsensport, einen Stadtsportbund mit rechtlichem Sonderstatus, der zugleich als Verwaltung und Beirat im Sportausschuss agiert. In dem einen Fall geht es um Informationen rund um den Präventions- und Rehasport in Gelsenkirchen.
In dem anderen Fall geht es um Informationen rund um das geförderte Präventions- und Rehaprojekt „ProVital”.
In beiden Fällen wurden die Informationen seitens Gelsensport quasi verweigert. Das muss die Frage nach dem Beziehungsgeflecht des „Eisernen Dreiecks” zwischen organisiertem Sport, Sportverwaltung und Kommunalpolitik nach sich ziehen. Oder wie es das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil im Jahr 2016 festgestellt hat: Es geht um einen Neuen Dualismus von Mehrheitsfraktion und Verwaltung, der die Demokratie beeinträchtigt, und eine Gegenreaktion, ein Gegenkonzept, schlicht eine „effektive Opposition” erfordert.

Die Fälle im Einzelnen
Fall 1: Ein Stadtverordneter der AfD stellt im Sportausschuss Fragen zum Reha- und Präventionssport in Gelsenkirchen. Die Auskunft von Gelsensport – Hr. Kinner – lautet auf einen Nenner gebracht: Keine, nichts, weiß nicht!
Meine Anfrage beim Landessportbund (LSB) fördert zutage, dass man das als Stadtsportbund, der Gelsensport ist, eigentlich besser können sollte. Der LSB beantwortet mir auf telefonische Nachfrage ganz allgemein – die Fragen des AfD-Stadtverordneten später schriftlich. Das Schreiben hat – trotz seines allgemein gehaltenen Inhalts – dennoch mehr Informationsgehalt als die Null-und-Nichts-Antwort von Gelsensport. Telefonisch wird mir seitens des LSB zudem versichert, dass das negierende Auskunftsverhalten von Gelsensport dort auf Unverständnis stößt.

Fall 2: Der Stadtverordnete der GRÜNEN, David Fischer, stellt im Sportausschuss die Frage, wie es um ProVital, die seit 2010 Fördergelder für ihre Arbeit im Präventions- und Rehasport erhalten haben, bestellt ist, da er gehört habe, dass der Betrieb eingestellt werden soll. Mit Hinweis auf einen kommerziellen Betrieb von ProVital durch Gelsensport wird dem Stadtverordneten die von ihm geforderte detailreiche Darlegung der Entwicklung von ProVital verweigert. Obwohl Gelsensport dem Stadtverordneten Fischer zuvor eine Auskunft – immerhin im nichtöffentlichen Teil der Sitzung des Sportausschusses (warum eigentlich nichtöffentlich?) – zugesichert hatte, lehnt die SPD-Mehrheitsfraktion den Tagesordnungspunkt mit der oben genannten Begründung ab. Seine Fragen werden nicht beantwortet. Das Schreiben von Gelsensport mit der Zusicherung, die Fragen zu beantworten, liegt der Redaktion vor. Der LSB antwortet mir auf Nachfrage ausweichend.
Das Ausmaß der Krise

Die Gelder für die Geräte zum (kommerziellen!?) Betrieb von ProVital wurden seitens der Stadt Gelsenkirchen im Rahmen ihrer öffentlichen Aufgabe bereitgestellt. Das, so David Fischer (GRÜNE), sei völlig unstrittig. Ein Blick in die Dokumente zur Sitzung des Sportausschusses vom 19. Mai 2010 bestätigt dies. Dort hatte Dr. Pruin als Geschäftsführer von Gelsensport zur Einrichtung von ProVital gesagt:

„Gelsensport wird den gesamten Bereich des Komplexes „Sport und Gesundheit“ zentralisieren und unter einem eigenständigen Label „proVital–Sport- und Gesundheitszentrum“ präsentieren. Der Bereich der Prävention gewinnt einen immer höheren Stellenwert, auch im Gesundheitsbewusstsein der Menschen in Gelsenkirchen. Durch die eigene Marke wird Gelsenport die gemeinnützigen Angebote auch in Abgrenzung zu kommerziellen Anbietern am Markt platzieren. Gelsensport hat aus Eigenmitteln eine halbe Stelle für eine Fachkraft zur Verfügung gestellt und über das Bildungswerk wird ab dem 01.07.2010 eine Sport- und Fitnesskauffrau eingestellt.“
Der wesentliche Punkt von Pruins Ausführungen wird im Protokoll dieser Sitzung noch einmal unterstrichen: „Bei der neuen Ausrichtung müsse allerdings bedacht werden, dass Gelsensport als gemeinnütziger Verein nicht gewinnorientiert tätig werde. Dies sei ein wichtiges Kriterium, das Gelsensport zu anderen Anbietern unterscheide.“
ProVital sollte also als non-profit-Unternehmen am Markt mitspielen. Doch die Antwort Lukas Günthers, sportpolitischer Sprecher der SPD, auf die WAZ-Frage, weshalb seine Fraktion den Oppositionsantrag zur Behandlung der Causa im Sportausschuss von Tisch wischte, spricht Bände. Günther argumentiert, dass ProVital als kommerzieller Betreiber nur im Auftrag Gelsensports agiert habe. Und durch diese Gewinnorientierung sei der Fachausschuss der Stadt formaljuristisch nicht zuständig.
Doch hätte das Finanzamt ProVital nicht anders eingestuft, wenn es von der kommerziellen Aufgabenstellung von Anfang an gewusst hätte? Die Kontrollinstanz der Öffentlichkeit scheint bei dieser Sache zu wirken und vielleicht zu einem Einsehen zu führen, künftig die Dinge anders zu handhaben. Denn diesem Kontrolljob kann die Opposition im Rat derzeit nicht nachkommen, wird sie doch immer wieder von der übermächtigen Mehrheitsfraktion daran gehindert.

Politische Lösung und Fazit
Ein Aufklärungsausschuss, den David Fischer begrüßen würde, würde an dieser Stelle nichts nützen. Er würde wieder von der SPD-Mehrheitsfraktion dirigiert.
Der erklärtermaßen entstandenen „Krise der Sportpolitik” in Gelsenkirchen ist somit dringend anderweitig zu begegnen, um die allzu verschmolzene politische Konstellation von Gelsensport, über die sich ein Buch schreiben ließe, mit Blick auf das Ende der Ära Dr. Günter Pruin und des Gelsensport-Chefs Jürgen Deimel im Jahr 2020 zu hinterfragen.
Das Ausscheiden der beiden (Dr. Pruin/Deimel) aus ihren Ämtern sowie die Veränderungen bei der SPD (Baranowski/Haertel) in 2020 bieten letztlich eine große Chance für einen echten Neuanfang der Sport- und Kommunalpolitik in Gelsenkirchen, die zur Herstellung demokratischer Strukturen und einer kooperativen Zusammenarbeit mit dem Rat erklärtermaßen dringend notwendig ist.
Allein die Lobrede von Oberbürgermeister Frank Baranowski in der Ratssitzung am 23. Mai 2019 anlässlich des 70-jährigen Verfassungsjubiläums auf die Kommunale Selbstverwaltung des Art. 28 GG reicht nicht aus. Es bedarf erheblicher örtlicher politischer Anstrengungen, die Kommune in Gelsenkirchen im Sinne des Demokratieprinzips nach dem Grundsatz der „effektiven Opposition” mit einer vollständigen Berücksichtigung in der Geschäftsordnung des Rathauses zu gestalten, was eine komplette Umgestaltung der Rechte nach dem Quorumsprinzip – wie es in Bund und Ländern bereits der Fall ist – mit sich bringt. Erst mit den damit verbundenen, an die Grundprinzipien der Verfassung angepassten Veränderungen beim Kommunalen Aufklärungsausschuss, wonach der Vorsitz dann bei der Quorumsminderheit liegt, und die Quorumsminderheit die Themen im Detail bestimmt, die von der (SPD-)Mehrheitsfraktion nicht mehr abgewählt oder anderweitig abgemildert werden können, wäre das Rathaus in Zukunft ein Stück weit eher demokratiefest.
Im Zuge der Personal- und Geschäftsordnungsumstrukturierung wäre es naheliegend, die derzeit an Gelsensport abgestellten städtischen Mitarbeiter und ihre Bezahlung seitens der Stadt wieder in ein Referat Sport im Dezernat der Beigeordneten Annette Berg zurückzuholen, um die mit Gelsensport entstandene Krise der Sportpolitik und der Demokratie in Gelsenkirchen mit einem durchgreifenden Einschnitt nachhaltig demokratisch zu beenden.

 

Kommentar

Im Zuge zweier Anfragen von Stadtverordneten im Sportausschuss, die von Gelsensport gelinde gesagt „ungenügend” beantwortet wurden, muss die Frage erlaubt sein, ob Gelsensport der ihr zugekommenen Aufgabe im Gefüge der Stadtgesellschaft noch annähernd gerecht wird, oder ob die Konstellation des „Eisernen Dreiecks” – „im Sinne eines neo-korporatistischen Beziehungsgeflechts zwischen organisiertem Sport, Sportverwaltung und Kommunalpolitik” (Stefan Eckl) – die Stadt deutlich erkennbar erreicht hat und eine „Krise der Sportpolitik” in Gelsenkirchen festzustellen ist.
Der Nachweis, dass Steuergelder richtig eingesetzt wurden und der öffentliche Zweck von ProVital sinnvoll erfüllt wurde, kann seitens des Stadtverordneten gegenüber der Öffentlichkeit – zumal gegenüber betroffenen BürgerInnen – somit nicht ansatzweise erbracht werden. David Fischer wird um seine pflichtgemäße politische Aufgabenerfüllung gebracht. Sein grundgesetzlich geschütztes Freies Mandat wird torpediert. Die Bürger werden um eine demokratische Kontrolle geprellt, die ihnen zusteht, weil sie auch ein wesentliches Element der demokratischen Meinungsbildung im Hinblick auf die nächste Wahl darstellt.

Der Autor ist ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter der WIN-Ratsfraktion und hat zuletzt in einem Beitrag für die Nordrhein-Westfälischen Verwaltungsblätter, Zeitschrift für öffentliches Recht und öffentliche Verwaltung, (NWVBl.), August-Heft 8/2018, S. 319 bis 321, mit dem Titel „Minderheitenrechte der Opposition beim Aufklärungsausschuss nach § 55 Abs. 3 GO NRW“ über den Grundsatz der Effektiven Opposition auf der Kommunalen Ebene ebenso fachgesimpelt, wie auf seinem Rathaus-Blog:

rathausgelsenkirchen.wordpress.com

 

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