Das Schalthaus und der Schalker Verein in Gelsenkirchen warten noch auf eine neue Nutzung. Etwa 800 Meter vom Hauptbahnhof Gelsenkirchen entfernt, liegt im Stadtteil Bulmke der ehemalige Hochofenstandort Schalker Verein. Laut der Wirtschaftsförderung der Stadt Gelsenkirchen soll hier nicht weniger entstehen, als ein „Ein neues Stück Innenstadt“. Davon ist allerdings bisher nichts zu sehen, denn das riesige Gelände mit einer Fläche von 140 Fußballfeldern ist weitestgehend verwaist. Die aufwendig gestalteten Plätze dienen Skatern als zusätzliche Spielfläche, das Unkraut hat hier keine natürlichen Feinde und ist am Wochenende ein idealer Ort für die Vorführung getunter Kraftfahrzeuge. Inmitten des Platzes steht die verfallende Ruine des Schalthauses, der ehemaligen Kraftzentrale des Industriegeländes.
Dabei sollte alles ganz anders kommen und die Beteiligten hatten eine Erfolgsgeschichte geplant. In Gelsenkirchen wurde im Süden mit öffentlichem Geld seit vielen Jahren Stadtteilerneuerung betrieben. Der Schalker Verein sollte mit dem Schalthaus einen ähnlichen Stellenwert bekommen, wie das Consol-Gelände im benachbarten Stadtteil Bismarck. Beteiligt sind Wirtschaftsförderer, diverse Politiker, kommunale Stadtplaner, verschiedene Ministerien, die Landesentwickler erst von der LEG und jetzt von NRW.Urban.
„Es ist eine gastronomische Nutzung genauso vorstellbar, wie der Einzug von Büros oder Kulturbetrieben. Im Bebauungsplan für das gesamte Gelände ist das Gebäude gesichert und für den Ausbau der 779 Quadratmeter nutzbarer Fläche kann eine öffentliche Förderung beantragt werden, wenn es eine für den Standort spannende Nutzungsidee gibt“, heißt es in den Informationsbroschüren der Stadtplaner zum Schalthaus.
Dabei bewegt man sich auf sehr historischem Gebiet, denn der Begriff der „Stadt der 1000 Feuer“ ist hier entstanden. Der Schalker Verein liegt in Bulmke und wurde als Gruben- und Hüttenverein 1872 von Friedrich Grillo und Fritz Friedrich Funke gegründet. Die Verwaltung befand sich damals in Schalke und daraus ist der Name Schalker Verein entstanden. Der erste Hochofen wurde 1875 in Betrieb genommen und später produzierten hier sechs Hochöfen Roheisen – das Eisenerz kam damals über die Bochumer Erzbahn. Über viele Jahrzehnte war der Schalker Verein mit seinen Hochöfen, der Rohrgießerei und der Kesselfabrik für die Wirtschaft der Stadt ein wichtiger Standort. Zu den Hochzeiten arbeiteten hier mehr als 5000 Menschen. 1982 wurden die Hochöfen endgültig stillgelegt. Die ehemalige Schaltzentrale ist neben dem Möllerbunker und den Torhäusern an der Wanner Straße das einzige erhaltene Gebäude auf dem Gelände. Bis zur Stilllegung versorgten hier große Transformatoren den Betrieb mit Strom. Das Industriegebäude aus den 20er Jahren ist in die Denkmalliste eingetragen.
Vor drei Jahren wurde verkündet, dass ein Investor für 2 Millionen Euro eine Gastronomie, Gewerbe und ein besonderes Energiekonzept plant. Der Baustart in dem Industriedenkmal war für Mai angesetzt und bis zum Jahresende sollte alles im neuen Glanz erstrahlen. „Schön, dass es nun einen Neuanfang für dieses Eingangsgebäude gibt. Das ist ein Glücksfall und zeigt, dass Strukturwandel Geduld braucht“, erklärte Oberbürgermeister Frank Baranowski damals. Die Projektenwickler von NRW.Urban versprachen sich einen „Energieschub für die weitere Entwicklung“ des Geländes. Der Unternehmer Sascha Neuburger wurde als „First Mover“ mit großer Geste vorgestellt. Die Außenwand am Schalthaus bekam ein kleines Solarpaneel angepappt, als Vorgriff auf die neue und solare Energienutzung. Allerdings brachte die Verbindung des Investors in die Solarbranche die ganze Konstruktion zu Fall. Die Branche ist in der Krise und da sind riskante Investitionen nicht mehr möglich. Im Jahr 2009 gab es nicht nur einen Investor, sondern die Pläne für Nutzung waren bereits gezeichnet. In die rund 800 qm sollten ein Redaktionsbüro, eine Fernsehproduktionsgesellschaft, ein Designer und ein Solarunternehmen einziehen. Gescheitert ist das Vorhaben dann unter anderem an den langwierigen Verhandlungen mit den Beteiligten aus Kommune und Landesentwicklung.
Die Anwohner in Bulmke betrachten die Planungen mit Skepsis und auch das hat inzwischen eine lange Geschichte. „Die Bürger zweifeln mittlerweile, ob die versprochene attraktive Umgestaltung des Geländes noch kommt“, befürchtete Gebietsbeirat Werner Skiba schon 2007. „Dieses „Leuchtturm-Projekt“ muss fertig gestellt werden, damit man auch mit den Augen sieht, dass sich in Südost etwas tut“.
Im Dezember letzten Jahres brachte Ingo Stapperfenne von der Stadtverwaltung einen neuen Investor ins Gespräch. Wieder soll eine gastronomische Nutzung die Lösung bringen – jetzt allerdings eine Sportsbar mit Außengastronomie. „Die Bürgerinnen und Bürger sind die Experten“ war mal das Motto der Stadtteilerneuerung. Es gab Beteiligungsverfahren und Möglichkeiten der Bürger ein wenig Einfluss zu nehmen – inzwischen werden die aktuellen Planungen der Verwaltung lieber verkündet. Gastronomische Angebote haben es in Gelsenkirchen schwer und das belegen die geschlossenen Lokale in der Innenstadt. Die von der Verwaltung favorisierte Systemgastronomie mit vorgefertigten Gerichten ist nicht jedermanns Sache und funktioniert auch nur an bestimmten Standorten, wie zum Beispiel im Arena-Park am Berger Feld. „Es gibt Investoren und wir werden im Juni bekannt geben, wie die neue Nutzung des Schalthauses aussieht“, sagt Rainer Schiffkowski, Leiter des Referats Wirtschaftsförderung. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel und das gilt nicht nur im Fußball.
Die LEG, der schnelle Minister und Heuschrecken in NRW
Vor 20 Jahren hat die Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) mit der Entwicklung des Schalker Vereins begonnen. Die LEG ist 1970 aus dem Zusammenschluss der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen „Rheinische Heim GmbH“, „Rote Erde GmbH“, „Westfälische Lippe Heimstätte GmbH“ und der „Rheinische Heimstätte GmbH“ entstanden. Zu ihren Aufgaben gehörte das Flächenrecycling im Ruhrgebiet und 1987 übernahm die LEG 38 000 Wohnungen der gewerkschaftseigenen „Neuen Heimat“. Das Unternehmen wurde nach Bereicherungen des Vorstands und hohen Verlusten abgewickelt. Ein Schicksal, dass die LEG später selber ereilen sollte, wenn auch unter anderen Umständen. Im Jahre 2008 wurde sie von der Landesregierung aus CDU und FDP gegen den Widerstand der Mieter privatisiert. Den Zuschlag bekam ein Konsortium aus dem Private Equity Fonds „Perry Capital“ und dem amerikanischen Immobilienfonds Whitehall, hinter dem sich die Bank Goldman Sachs verbirgt. Der Kaufpreis belief sich auf 3,4 Milliarden Euro, aber da 2,6 Milliarden Euro Schulden übernommen wurden, landeten nur 787,1 Millionen Euro in der Landeskasse – anschließend folgte der Börsengang. Heute leben 350 000 Menschen in den 130 000 Wohnungen. „Wir stellen damit sicher, dass der Erwerb der LEG-Wohnungen nur für Investoren interessant ist, die sich langfristig engagieren wollen“, erklärte der damalige Bauminister Oliver Wittke (CDU). „Ziel sei es, privates Kapital zu mobilisieren, um die Wohnungen der LEG im Interesse der Mieter zukunftsfähig zu machen“. Goldman Sachs hat die Aktienpakete der LEG inzwischen gewinnbringend abgestoßen. Seit der Übernahme gehören Klagen der Mieter über überhöhte Mieten, zu lange Bearbeitungszeit bei Beschwerden und unnötige Mahnungen zum Alltag. In vielen Siedlungen haben sich Mieterräte gebildet und für besonderen Ärger sorgt immer wieder, dass steigende Dividenden für die Aktionäre in Verbindung zu höheren Mieten gebracht werden. Im März 2009 wurde Lutz Lienenkämper zum Bau- und Verkehrsminister im Kabinett Jürgen Rüttgers ernannt, nachdem Oliver Wittke wegen eines Führerscheinentzugs von dem Amt zurücktrat. Unter dem Namen NRW.Urban wurde die Stadtentwicklung und damit die LEG neu organisiert. „Wir wollen mit der Neuaufstellung wichtige Zukunftsziele unseres Landes besser erreichen, wie beispielsweise die Belebung der Innenstädte, das Flächenrecycling, die Modernisierung unserer Stadtquartiere sowie die Verhinderung der Zersiedelung in der Peripherie der Städte“, erklärte Lienenkämper (CDU). Das der neue Name auch etwas gegen das inzwischen schlechte Image der LEG tun sollte, ist dabei mehr als ein Gerücht. Was das reale Leben betrifft, war NRW.Urban auf dem Gelände des Schalker Vereins nicht erfolgreich und hat die beschriebenen Zukunftsziele nicht erreicht.