Ein Kommentar von Michael Voregger
Am 16. September hat Oberbürgermeister Frank Baranowski erklärt, dass er zur Kommunalwahl 2020 nicht mehr antreten wird. Seit 16 Jahren ist er jetzt dabei – Zeit genug für ein Resümee. Der Anfang war etwas holprig, die öffentlichen Auftritte unsicher und die Reden noch steif. Schnell hat er seine Rolle gefunden und sein Auftreten kann in der Folge als „smart“ bezeichnet werden. So ist es kein Zufall, dass er bei den diversen Krisen seiner Partei immer wieder als Hoffnungsträger genannt wurde. Das gilt für die Landes- und Bundesebene. Geblieben ist er in Gelsenkirchen. Das hat seinem Ansehen nicht geschadet, obwohl die Stadt in der Regel schlechte Nachrichten produziert und bei allen Rankings auf dem letzten Platz liegt. In seiner Abschiedserklärung betont der Oberbürgermeister sein Ziel, „dann aufzuhören, wenn die Mehrheit der Menschen „Schade“ sagt und nur eine Minderheit endlich“. So einfach ist es natürlich nicht. Im Rückblick bleibt es lobenswert, dass er sich immer eindeutig gegen rechte Parteien und Tendenzen stark gemacht hat. Zu Bündnissen mit allen gesellschaftlichen Gruppen – auch den linken – ist es aber erst in letzter Zeit gekommen. Der Umgang mit Flüchtlingen ist ebenfalls eine Erfolgsgeschichte, da die Stadtspitze versucht hat, die Angekommenen dezentral in Wohnungen unterzubringen und Ghettos zu vermeiden. Das hat nicht verhindert, dass Gelsenkirchen bei den Wahlergebnissen mittlerweile die Hochburg der AfD im Westen ist. Die Vertreter der „autoritären Nationalradikalen“ wie der Soziologe Wilhelm Heitmeyer sie bezeichnet, tauchen in der Stadt nicht auf, organisieren keine Veranstaltungen, aber sie werden dennoch gewählt.
Daran haben die Sozialdemokratie und der Oberbürgermeister ihren Anteil. „Alle große politische Aktion besteht in dem Aussprechen dessen, was ist, und beginnt damit“, wusste schon Ferdinand Lassalle, der Mitbegründer der deutschen Sozialdemokratie. „Alle politische Kleingeisterei besteht in dem Verschweigen und Bemänteln dessen, was ist“.
Gelsenkirchen ist die ärmste Stadt Deutschlands und die Haushaltseinkommen sinken real. Die Arbeitslosigkeit ist trotz des wirtschaftlichen Wachstums weiter zweistellig, die Zahl der Schulabbrecher ist hoch und die Kinderarmut erreicht Rekordwerte. Von den im Grundgesetz formulierten gleichwertigen Lebensverhältnissen ist Gelsenkirchen weit entfernt. Jedoch die Verantwortung dafür liegt nicht allein bei der kommunalen Politik. Die Sozialdemokratie muss sich vorwerfen lassen, die Probleme schönzureden, die Beteiligung der Bürger zu vernachlässigen und keine Lösungen anzubieten. Die aktuelle Währung bei den Wählern heißt Glaubwürdigkeit und da hat die Sozialdemokratie wenig zu bieten. Wer die Probleme seiner Stadt beständig leugnet und beschönigt, der hat an der Wahlurne keinen Erfolg. Das gilt auch für die Armutszuwanderung aus Osteuropa nach Gelsenkirchen.
Die ankommenden Menschen wohnen in Schrottimmobilien, werden von Geschäftemachern ausgenutzt, und es kommt zu regelmäßigen Konflikten mit den Nachbarn im Stadtteil, die hier schon länger leben. Oberbürgermeister und Partei haben das zu lange geleugnet. Inzwischen ist kaum ein Stadtteil davon ausgenommen. Die Ökonomen des Weltwirtschaftsinstituts in Hamburg rechnen damit, dass die Immobilien
in Gelsenkirchen bis 2030 jährlich 1,9 Prozent an Wert verlieren. Es gibt zu wenig Arbeitsplätze für Akademiker, Jugendliche wandern ab und die schrumpfende Stadt hat eine überdurchschnittlich alte Bevölkerung.
So macht es die SPD der AfD zu leicht. In Gelsenkirchen ist man immer Ideen hinterhergelaufen, die woanders schon probiert wurden. Das gilt für die Solarwirtschaft, die Dienstleistungsgesellschaft und
aktuell für die Ansiedlung von Logistikunternehmen. Es werden keine neuen Ideen ausprobiert, die der Stadt ein Alleinstellungsmerkmal verschaffen. Dazu passt, dass in der Verwaltung Führungsposition regelmäßig mit verdienten Parteifreunden und langjährigen Mitarbeitern besetzt werden. Kreative Köpfe von außen und neue Ideen haben so keine Chance. Frank Baranowski hat in den letzten Jahren gelernt, kluge Entscheidungen zu treffen. Der Zeitpunkt für den Ausstieg ist gut gewählt, denn bei der nächsten Kommunalwahl droht der SPD in Gelsenkirchen eine historische Niederlage. Die kann sehr bitter ausfallen, da zum ersten Mal die Generation „Fridays for Future“ zur Wahlurne geht. Den ökologisch bewegten Erstwählern hat die Partei nicht nur in Gelsenkirchen wenig anzubieten. Dabei hätte Frank Baranowski gute Chancen für eine Wiederwahl gehabt. 2014 hat er 67,4 % der abgegebenen Stimmen erhalten und das war das beste Ergebnis für einen SPD-Kandidaten in Nordrhein-Westfalen. Wer sein Nachfolger wird, ist nicht abzusehen, aber das lokale Personal der Partei gibt nicht viel her. Sein Rücktritt ist für die Genossen ein Desaster. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass selbst die größten Kritiker dem Oberbürgermeister
schon bald nachtrauern werden. Das schließt den Autor dieser Zeilen ausdrücklich mit ein.