von Karsten Jahn
Vor einem halben Jahr wurde Markus Weinzierl Trainer beim FC Schalke 04. Inzwischen ist viel passiert.
Das System
Zwei Tiefs wurden durch ein Hoch unterbrochen, die komplette Hinrunde der Bundesliga-Saison 2016/2017 ist gespielt, in der Gruppenphase der Europa League wurde nur ein Freundschaftsspiel nicht gewonnen, die Pokalspiele gegen unterklassige Gegner wurden souverän gewonnen, und großteilig spielte Schalke sogar mitreißenden Fußball. Vor allem aber fällt auf, dass trotz all dessen was nicht lief auf Schalke, es insgesamt recht ruhig blieb. Jede Mannschaft die in der Tabelle unter Schalke steht hat in dieser Saison bereits den Trainer gewechselt. Schalke war in der Vergangenheit immer ein Kandidat für sowas. Das hat Christian Heidel allerdings geändert. Nachdem Weinzierl im 4-2-3-1 anfing und das System langsam drehte, steht das 3-3-2-2 inzwischen fest. Die beiden Flügelspieler, meist Kolasinac und Schöpf, stehen je nach Gegner mal höher mal tiefer. So ergab sich in einigen Partien eine echte 5er-Kette, manchmal waren es pendelnde Außenverteidiger und manchmal eine reine 3er-Kette. Immer aber schalteten sie sich auch direkt in die Angriffe mit ein.
Die Außen sind auch immer das Ziel. Der Spielaufbau wird meist von den Halbverteidigern direkt auf die Flügel geleitet. Der 6er, eigentlich immer Geis, unterstützt sie zwar dabei, spielt aber keine so zentrale Rolle wie etwa in der letzten Saison. Zu vielen Ballkontakten kam es hier meist nur, wenn Schalke zu viel Ballbesitz hatte und der Gegner hinten versuchte Beton anzurühren. Dann hilft der 6er, besonders mit Spielverlagerungen und weiten Diagonalpässen.
Ganz vorne bewegen sich zwei Offensivkräfte relativ frei im Raum. Oft, aber natürlich abhängig vom eingesetzten Personal, welches durch die vielen Verletzten hier stark variierte, also oft gab einer der beiden den Zielspieler und der andere ließ sich etwas fallen um den Ball zu behaupten und zu verteilen. Letzteres war besonders bei Meyer immer wieder stark zu sehen.
Der eigentliche Kern des Systems ist allerdings das offensive Mittelfeld. Hier tummeln sich die beiden 8er, meist Bentaleb und Goretzka in ihren jeweiligen Paraderollen. Die Aufgabe ist einfach: Überall sein. Sie bewegten sich gern in den Halbräumen, zur Unterstützung der Flügelspieler und zur Verbindung mit den Angriffsspielern. Meist spielten sie auch Box-to-Box, also defensiv weit fallen lassen und offensiv vorne mit dabei sein. Wenn sie an den Ball kamen versuchten sie immer wieder mit Schnittstellenpässen den Ball durchzustecken, gerne über gleich mehrere Reihen. Sie sorgten aber auch dafür die Flügelspieler zu füttern und den Ball auf den Flügeln zirkulieren zu lassen. Defensiv war es ihre Aufgabe gemeinsam mit dem 6er das Zentrum dicht zu machen und wiederrum die Flügel abzusichern. Dort war ja jeweils nominell nur ein Spieler zugegen. Das alles gelang auch recht gut. Nicht umsonst hat Schalke in der Liga die zweitmeisten Bälle abgefangen.
Der Plan: Konter und Zweikämpfe
Weinzierls Ziel wurde selbst in den schlechten Spielen klar: Überfallartige Konter und viele Zweikämpfe. Das streben danach ist klar, doch viel zu häufig blieb es beim Bemühen. In der ersten Saisonphase blieben Konter oft stecken, weil die Abstimmung untereinander noch nicht gut passte. So kam es zu individuellen Fehlern. Es wurde improvisiert, Gruppen-Kombinationen sind dann meist Glückssache. Später fand Schalke seinen Groove, spielte die Konter gut aus und war eine Zeitlang sogar recht effizient im Abschluss.
Damit war es zum Schluss wieder vorbei. Die Mannschaftsteile fielen sprichwörtlich auseinander, es fehlte Verbindung. Auch, weil die Gegner sich natürlich auf das System eingestellt haben und gezielt unterbrachen. So wurden die beiden 8er in den letzten beiden Partien des Jahres komplett aus dem Spiel genommen. Damit waren die Flügelspieler oft auf sich gestellt, ließen sich an die Kante drängen und der Ball kam nur noch selten in die gefährlichen Zonen.
Dazu wurde Schalke immer weniger die Chance zum Kontern gegeben, indem die meisten Mannschaften versuchten ihnen den Ball aufzudrängen. Ein Konter funktioniert nur nach Umschaltspiel. Wenn Schalke mit Ball am Fuß aber versuchte sinnvoll aufzubauen und sich die Gegner einigelten, dann war das ein Problem. Ballbesitzspiel, so weit ist Weinzierl noch nicht…
Defensiv investierte Schalke viel, baute ein gutes Pressing auf. Gegen die Bayern war das Pressing sehr intensiv und Mannorientiert. Später ließ das etwas nach. Schalke spielt zwar immer noch eine Manndeckung aber viel deutlicher Raumorientiert. Damit bricht Weinzierl klar mit dem was Breitenreiter letzte Saison versuchte und generell der Trend in der Bundesliga ist. Weinzierl legt Wert darauf in Zweikämpfe zu kommen. So wird der Ballführende unter Druck gesetzt, gleichzeitig aber werden ihm kollektiv die Anspielstationen zugestellt. So arbeitet Schalke mit Deckungsschatten und staffelt sich im Raum. Wenn ein Pass gespielt wird, dann besteht die Möglichkeit den Ball abzufangen. So hat Schalke, wie bereits erwähnt, die zweitmeisten Interceptions der Liga. 23,8 pro Spiel, fast genauso viele wie Mainz (24) und ein abgefangener Ball mehr pro Spiel als der drittplatzierte Frankfurt (22,5). Womit wir bei den Statistiken wären…
Ein Blick auf ein paar Daten
Mit dem Flügel-Fokus, wie oben beschrieben, schaffte Schalke es immer wieder an die Grundlinie zu kommen und hereingaben zu spielen. Viele Flanken. Sehr viele. Mit 18 sogar die zweitmeisten der Liga, hinter den Bayern (20). Leider hing dort dann das Problem. Die Stürmer wurden oft nicht gefunden oder waren in so ungünstigen Situationen, dass sie den Ball kaum verwerten konnten. Darüber hinaus erzielte kein Team weniger Tore nach Standardsituationen als Schalke. Und nur beim HSV steht ebenfalls nur ein einziges mickriges Törchen zu Buche.
So gibt Schalke pro Spiel 13,4 Schüsse ab. Nur Bayern, Dortmund, Hoffenheim und Leipzig schießen häufiger. Allerdings gehen nur 4,2 davon tatsächlich aufs Tor. Das ergibt eine Zielgenauigkeit von 31,3%, nur Augsburg (31,0%), Hamburg (27,5%) und Darmstadt (24,2%) sind schlechter. Wir sind hier wieder beim Angriffsproblem. Es wird zu häufig aus ungünstigen Situationen geschossen, weil die Stürmer den Ball nur unzureichend verwerten können. Dabei benötigte Schalke 10,7 Schüsse pro Tor, fast einer mehr als der Durchschnitt (9,9).
Die Defensive steht typischer Weise relativ gut. Die Endverteidigung wackelte nur selten und der Strafraum blieb weitestgehend sauber. Schalke ließ lediglich 10,8 Schüsse pro Spiel auf das eigene Tor zu und liegt damit auf Platz 6 in der Liga, der Durchschnitt liegt bei 12,4.
Interessant dabei ist der TSR. Der Total Shot Ratio beschreibt das Verhältnis zwischen abgegeben Schüssen und Schüssen aufs eigene Tor (Details). Mit 55,4 stellt Schalke zwar bei weitem keinen überragenden Wert, aber immerhin den viertbesten der Liga, hinter Dortmund (58,3), Leipzig (59,8), München (70,1).
Problemfall Angriff
Schalke schaffte es also relativ erfolgreich und häufig nach vorne, und hielt hinten den Laden relativ dicht, doch mit dem Tore schießen wollte es nicht so recht klappen. Die letzte Angriffsreihe hatte, mit Ausnahme von Kontern hier und da, eigentlich immer ein Problem. Die Abstimmung klappte nicht gut, die Mitspieler wurden nicht gefunden, Bälle blieben im Pressing stecken, Spieler schossen aus ungünstigen Situationen, und all sowas. Dadurch das Schalke sehr auf Konter fokussiert war, hatte es ein Problem mit Ballbesitz, wenn der Gegner sich tief hinten reinstellte und Schalke das Spiel machen ließ. Kreativ die Verteidigung aushebeln, das ist der große weiße Fleck, das klappte nur in Ausnahmefällen.
Schalke hat einen qualitativ sehr dünnen Kader. Dazu gab es viel Fluktuation, verletzte Spieler und Formschwankungen. Nicht zu vergessen Olympia zu Saisonbeginn und jetzt eben der Afrika Cup. Neue Spieler kamen erst sehr spät dazu und ein voller Spielplan mit vielen Nationalspielern bescherte wenig Zeit. Schalke hat es nicht leicht in dieser Saison in Tritt zu kommen. Was aber offensichtlich wird ist, dass der Einsatz stimmt. Immerhin. Dennoch, plötzlich wird ein Spieler Di Santo schmerzlich vermisst, der unter normalen Umständen kaum im Kader wäre.
Schalke kommt nur über die Flügel und kann da leicht isoliert werden, wie beim Spiel gegen Freiburg gesehen. Im Zentrum ist eigentlich viel Qualität für Kombinationen vorhanden, doch das wird noch zu selten genutzt. Beim Spiel gegen Leverkusen zu zehnt hat das allerdings ganz gut geklappt, schnelle Kombinationen durchs Zentrum, die Flügel waren ja überbevölkert.
Ich gehe davon aus, dass sich die Wintervorbereitungen genau darum drehen werden, die Abläufe im letzten Spielfelddrittel. Schalke arbeitet weiter an seinem Groove.
Viel mehr Informationen über Schalke 04 und die richtige Taktik gibt es im Internet auf dem Blog „www.halbfeldflanke.de“.
Karsten Jahn
Karsten ist auf Kohle geboren, in Europas weltschönstem Herten nämlich, der Stadt, die mal die höchste Fördermenge in Europa hatte. Aufgewachsen in einer Familie von Püttologen studierte er an der FH Gelsenkirchen irgendwas mit Computern. Später zog es ihn in die Ferne zu den Wikingern, wo ihm erst bewusst wurde, wie viel Ruhrpott in ihm steckt. Jetzt ist er mit Dauerkarte in Block 5 wieder zurück und in der Saison 2013/2014 gründete er das Internetblog Halbfeldflanke.
Layout? www.halbfeldflanke.de/stats/datenblatt-10.html