Im Gespräch mit Paul Erzkamp (Falken NRW) über ein Erlebnis auf der Fahrt zum G20-Gipfel in Hamburg
Interview: Michael Voregger
Im Juli des letzten Jahres machte sich ein Bus mit Mitgliedern der Falken, der alevitischen Jugend, der Gewerkschaftsjugend und der Grünen Jugend aus Nordrhein-Westfalen auf den Weg nach Hamburg zur Demonstration gegen den G20-Gipfel. Kurz vor dem Ziel beendete die Polizei die Anreise, und für die Demonstranten endete die Fahrt in einer Zelle. Im Anschluss klagten Mitglieder des Landesvorstands der Falken vor Gericht gegen die Polizeiaktion. Wir haben mit Paul Erzkamp, dem Vorsitzenden der Falken in Nordrhein-Westfalen, über die Erlebnisse und die Zeit danach gesprochen.
Was ist auf der Fahrt zur Demonstration in Hamburg passiert?
Der G20-Gipfel war schon lange Zeit ein Thema für uns. Wir hatten schon im Jahr 2016 beschlossen, dass wir zu der Großdemonstration fahren, und zwar alle Falken aus ganz Deutschland. In der Nacht von Freitag auf Samstag sind wir mit 44 Jugendlichen aus unterschiedlichen Städten aufgebrochen und wollten zu der Großdemonstration am Samstag. Ungefähr ab Bremen verfolgten uns Polizeifahrzeuge und sorgten dafür, dass wir die Autobahn nicht mehr verlassen konnten. Das geschah nicht mit einem freundlichen Hinweis über eine Leuchtschrift, sondern sie stellten sich quer in die Abfahrten der Autobahn. Wir wurden dann kurz vor Hamburg auf eine Raststätte geführt, wo etwa vierzig Polizisten uns schon erwartet haben.
Wie ist es dann weitergegangen?
Es hieß dann, dass noch nicht genügend Kräfte da seien. Das hat uns bei 44 verschlafenen Jugendlichen schon sehr verwundert. Wir sind nachts um drei losgefahren und auch davon ausgegangen, dass es bei einer großen Demonstration Kontrollen gibt. Aus Hamburg kamen uns dann 20 bis 30 Polizeifahrzeuge von „Beweissicherung- und Festnahmeeinheiten“ entgegen. Die Polizisten sind hochgerüstet und vermummt in unseren Bus eingestiegen. Das Erste, was uns gesagt wurde, war, dass wir ab sofort keine ruckartigen Bewegungen mehr machen sollten. Da war uns klar, dass hier etwas schiefgelaufen ist.
Ich habe mehrmals versucht, die Kommunikation herzustellen und zu sagen, dass wir ein Kinder- und Jugendverband sind. Der Einsatzleiter hat das wohl auch geglaubt und angekündigt, uns in ein gesichertes Objekt zu bringen. Das war dann die Gefangenen-Sammelstelle in Hamburg-Harburg, und hier sind wir insgesamt viereinhalb Stunden festgehalten worden. Einige Jugendliche mussten sich ausziehen, wurden durchsucht und in die Zellen gesteckt. Das passierte alles, ohne dass wir einen rechtlichen Status hatten. Wir haben mehrmals darum gebeten, Anwälte anrufen zu können, aber das wurde uns allen verweigert.
Wer auf die Toilette wollte, wurde gezwungen, die Tür offen zu lassen. Es gab Durchsuchungen – auch bei Minderjährigen – bei denen sogar Körperöffnungen überprüft wurden. Auch ich war in einer Zelle, und das ist ein wahnsinniges Ohnmachtsgefühl. Erst nach viereinhalb Stunden brach die Polizei diese Maßnahmen ab. Zu diesem Zeitpunkt gab es kein Wort der Entschuldigung, sondern es wurde nur lapidar gesagt: Sie können ja klagen.
Jetzt ist der G20-Gipfel schon länger her. Es hat im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen eine Reihe von Verfahren und Verurteilungen gegeben. Was ist bei Ihnen seitdem passiert?
Wir waren erstmal schockiert und sind relativ ratlos gewesen. Dann haben wir vor allem den Minderjährigen angeboten, darüber zu sprechen und haben auch einen psychologischen Dienst organisiert. Nach drei, vier Tagen war uns klar: Das betrifft nicht nur uns, sondern wir haben es hier mit politischer Repression zu tun. Wir haben es öffentlich gemacht, einen offenen Brief verfasst und rausgeschickt. Es sollte nicht untergehen, und wir haben uns von einem Anwalt beraten lassen. Daraufhin gab es dann von uns zwei Feststellungsklagen. Das Verwaltungsgericht sollte feststellen, dass diese Maßnahmen illegal waren. In dieser Zeit gab es die erste Entschuldigung vom Innensenator Andy Grothe und vom Polizeipräsidenten Ralf Meyer, der sich dann sowohl im Senat als auch bei mir persönlich entschuldigt hat. Die Begründung war, dass es eine Verwechslung gegeben habe und das Nummernschild falsch übermittelt worden sei. Das haben wir erst mal so angenommen. Das Verwaltungsgericht hat uns Recht gegeben und bestätigt, dass die gesamte Maßnahme unrechtmäßig war. Es gab dann noch eine dritte Klage von einer Genossin, die war komplett bis auf die Unterwäsche ausgezogen und dann auch im Intimbereich abgetastet worden.
Dass wir die Anwälte nicht anrufen durften und auch junge Leute komplett abgetastet wurden, halten wir für besonders problematisch. Die Polizei hat ihre Schuld eingestanden, aber die Verwechselung ist ja keine Begründung dafür, dass wir zum Beispiel keinen Anwalt anrufen durften.
Das Gericht hat uns da auch zugestimmt. Allerdings müssen wir die Kosten für das Verfahren selbst tragen, und das empfinden wir als einen Skandal. Wir wissen noch nicht genau, wie wir dagegen vorgehen können, und ein einfacher Einspruch gegen diese Kostenauferlegung ist nicht möglich. Da sind wir noch in den juristischen Auseinandersetzungen, und parallel dazu gibt es zivilrechtliche Maßnahmen. Wir wollen Schmerzensgeld haben, und das wird bereits unproblematisch von der Polizei gezahlt – das sind Beträge von 200 bis 400 Euro.
Ihr Verband hat ja eine gewisse Nähe zur Politik und vor allem zur Sozialdemokratie. Der G20-Gipfel ist in Hamburg durchgeführt worden mit einem sozialdemokratischen Bürgermeister, der dafür die politische Verantwortung trägt. Gibt es von dieser Seite eine Reaktion, oder haben Sie da versucht, eine politische Stellungnahme zu bekommen?
In der Situation hat es uns sehr geholfen, dass wir so gut vernetzt sind und wir eine Nähe zur Politik haben. Kurz bevor wir in Hamburg-Harburg in die Gefangenensammelstelle eingefahren sind, gab es noch zwei Not-SMS. Die konnten wir sozusagen unter dem Sitz rausschicken. Die eine war an den grünen Justizsenator von Hamburg, und die andere ging an unser Bündnis „Jugend gegen G20“, wo auch der DGB mit dabei ist. Dass diese Maßnahme nach viereinhalb Stunden abgebrochen wurde, hat mit dem großen politischen Druck von außen zu tun. Wäre das nicht passiert, hätte man uns wahrscheinlich hinterher nicht geglaubt, was da vorgegangen ist. Viele Sachen sind für uns noch nicht geklärt, und auch der Sonderausschuss wirkt im Moment für uns eher wie ein zahnloser Tiger.
Jetzt gibt es eine Reihe von Dingen, die von Ihrer Seite kritisiert werden. Gibt es auch politische Forderungen?
Dieser G20-Gipfel war von Anfang an auf Eskalation ausgelegt. Wer Herrn Dudde als Einsatzleiter einsetzt, der schon mehrere Prozesse hatte, weil er illegal gegen Demonstrationen vorgegangen ist, und wer konsequent die Camps verbietet, der setzt natürlich nicht auf Deeskalation. Uns ist daran gelegen, dass es von allen Seiten eine friedliche Strategie gibt. Wir wollen das Recht auf Demonstrationen erhalten, und wir wollen auch, dass Menschen ohne Angst zu Demonstrationen gehen können. Jetzt gibt es das Signal an Kinder und Jugendliche, dass sie lieber zu Hause bleiben sollen. Im Anschluss gab es viele Kommentare und Mails, dass wir die Menschen mit der Teilnahme gefährden würden. Es ist ein Grundrecht, und das müssen wir verteidigen. Gerade im Umgang mit der Polizei erwarten wir eine demokratische Strategie. Wir haben ein grundlegendes Problem damit, dass wir zum Beispiel die vermummten Polizisten nicht identifizieren können. Deshalb ist die Forderung nach der Kennzeichnungspflicht für Polizisten besonders wichtig. Es muss auch eine unabhängige Beschwerdestelle geben, weil die einzige Instanz, die gegen die Polizeieinheiten ermittelt, die interne Ermittlungsbehörde der Polizei selbst ist. Da sehen wir eine Unabhängigkeit nicht gegeben, und das sind unsere zentralen Forderungen.
Ist das Vorgehen aus Ihrer Sicht in der Nachbetrachtung wirklich eine Verwechslung gewesen, oder ist das Teil einer Strategie, um die Teilnahme an Demonstrationen zu erschweren?
Ich würde vermuten, dass die Polizei wirklich nicht unseren Bus erwischen wollte. Die haben sich damit ein Eigentor geschossen, weil wir politisch gut eingebunden sind. Aber das begründet ja überhaupt nicht das Vorgehen, und selbst wenn wir irgendwelche Verbrecher gewesen wären, erwarten wir einen rechtsstaatlichen Umgang, und das heißt zum Beispiel der Anruf bei einem Anwalt. Der muss jedem Menschen zugestanden werden. Es waren eben nicht nur einzelne Polizisten, die diese Anrufe unterbunden haben, sondern das haben alle Polizisten in mehreren Containern in der Gefangensammelstelle gemacht. Entweder kennen sehr viele Polizisten grundlegende demokratische Rechte nicht, oder es gab eine strategische Vorgabe. Während des G20-Gipfels haben wir auch gesehen, dass es eine Verschärfung beim Demonstrationsrecht gibt. Es gab Ausschreitungen im Schanzenviertel, und dann wurden Spezialeinheiten mit Sturmgewehren in einen zivilen Bereich geschickt. Da muss es auf jeden Fall eine politische Aufklärung geben, und es sind Strategien notwendig, wie Grundrechte gesichert werden und man ohne Eskalation auskommt.