Interview von Reinhard Franke/ Bild: Olaf Heine
Seit ihrem Durchbruch im Jahr 2004 zählen Silbermond mit mehr als sechs Millionen verkauften Tonträgern ihrer deutschsprachigen Rock-Hymnen von „Symphonie“ und „Das Beste“ bis hin zu „Irgendwas Bleibt“ und „Leichtes Gepäck“ zu den hiesigen Top-Acts. Am 30. Juni spielt die Band im Amphitheater in Gelsenkirchen und stellt das neue Album „AUF AUF“ vor. Autor Reinhard Franke hat mit Sängerin Stefanie Kloß und Schlagzeuger Andreas Nowak gesprochen.
Frau Kloß, „AUF AUF“ lädt zum Tanzen ein. Auf der neuen Platte menschelt es sehr. Hatten Sie keine Lust mehr auf politische Statements?
Stefanie Kloß: Es stimmt, auf dem neuen Album geht es viel ums Miteinander und um Verbundenheit. Besonders um die Verbundenheit zwischen Menschen. Und auch um die Kraft, die man daraus ziehen kann. Wir haben durch die Entstehung der neuen Songs gemerkt, dass es sich in Zeiten, die nicht so easy sind, stark herauskristallisiert, welche Menschen an deiner Seite sind. Oder wie stark die Beziehung zu diesen Menschen ist, die dich begleiten. Und ob sie Potenzial haben, so etwas auszuhalten. In dem Sinne ist die Platte schon auch politisch, weil sie sich mit der Gesellschaft in dieser schweren Zeit befasst. Wir haben auch auf uns geschaut, wie wir uns verändert haben.
Wie denn?
Andreas Nowak: Man verändert sich jeden Tag, weil man verschiedene Erfahrungen macht. Es ist ein Gefäß, in das viel reingeschüttet wird. Als Band wollen wir immer mehr das tun, was uns guttut und das war uns auf dem neuen, dem 7. Album vor allem wichtig. Wir filtern Dinge inzwischen raus, die uns nicht mehr so guttun. Was nicht heißt, dass es künstlerisch nicht auch mal weh tun darf.
Kloß: „AUF AUF“ spiegelt ganz gut wider, wo wir aktuell stehen. Wir werden als Band gerade herausgefordert unseren Platz zu finden. So wie sich die Musikbranche entwickelt hat, ist es schwerer für uns. Die neue Platte hat uns wieder mehr zusammengebracht. Es gibt ein neues Wir-Gefühl. Und wir wollen, dass wir als Band gehört werden. Wir wollen nicht aus der Zeit fallen, aber uns auch nicht dem neuen Sound da draußen anbiedern.
Silbermond gibt es seit 2004 und hat mehr als sechs Millionen Tonträger gefunden. Sie als Band haben doch längst Ihren Platz gefunden.
Nowak: Jeder Künstler stellt alles immer in Frage. Gestandene Musiker haben heutzutage oft Angst auf die Bühne zu gehen. Erfahrene Sängerinnen können sich oft nicht mehr hören. Wenn man mit allem zufrieden ist, dann kann nichts Neues passieren. Und beim siebten Album hinterfragt man sich gerne.
In Beziehungen gibt es das verflixte siebte Jahr. Gab es vor dem siebten Album auch mal dunkle Momente bei Silbermond?
Kloß: Ja. Es gab eine Phase, in der das Gepäck sehr schwer wurde. Das war, bevor wir „Leichtes Gepäck“ geschrieben haben. Nach unserem vierten Album wurde es schwierig, denn das Konstrukt mit den Leuten um uns herum wurde uns zu viel. Wir mussten uns um viel Bürokram kümmern und hatten keine Zeit mehr für die Musik. Das hat keinen Spaß mehr gemacht. Wir mussten also etwas verändern, damit es uns als Band besser geht. Es war schwer für mich zu akzeptieren, dass sich Wege auch mal trennen müssen. Es hätte für uns eng werden können. Heute ist „Leichtes Gepäck“ einer unserer wichtigsten Songs.
Kritiker werden sagen, dass Sie kein Problem damit hätten, wenn sich die Band auflöst, weil Sie so viel nebenbei machen. Sie waren oft bei „Voice of Germany“ und waren zuletzt auch wieder bei „Sing meinen Song“ dabei.
Kloß: Es gibt im Queen-Film diese eine Szene, in der Freddie Mercury zu seiner Band zurückkehrt und merkt, was ihm gefehlt hat. So ist es auch bei uns. Es gibt vier Ecken eines Tisches, der ihn komplett machen. Die aktuelle Staffel von „Sing meinen Song“ ist eigentlich eine komplette Silbermond-Produktion. Wir haben alle vier zusammengesessen und unsere Songs ausgesucht. Auch bei „The Voice“ mache ich nichts ohne den Support der Jungs. Silbermond ist immer die Nr. 1.
Und das ist gerade wieder ganz stark zu spüren?
Kloß: Absolut. „Sing meinen Song“ hat Spaß gemacht, aber ich fand es schade, dass die Jungs nicht dabei sein konnten, weil wir die Platte fertig kriegen wollten. 2017 waren wir zusammen in Südafrika und das war ein anderes Gefühl. Ich bin ein Rudeltier und merke, wie wichtig mir die Band ist
Gab es deshalb auch noch kein Soloalbum von Ihnen?
Kloß: Ein Soloalbum ist kein Thema. Die Band ist meine Heimat, mein Leben und meine Liebe. Kommt der Tag, wenn die drei Jungs keine Lust mehr haben, mit mir in einer Band zu spielen, können wir weiterreden (lacht).
Herr Nowak, was ist für Sie das Besondere an „AUF AUF“?
Nowak: Es ist total unbefangen und das hört man der Platte an. Und es hat etwas Naives. Wie, wenn man Kinder an der Hand hält, plötzlich sehen sie den Spielplatz und rennen los. „AUF AUF“ hat für mich etwas befreites. Und das Album ist tanzbar. Es bringt einen dazu sich zu bewegen. Das freut mich als Schlagzeuger sehr.
Im Song „Hey Ma“ beschreiben Sie, dass Sie sich besser in Ihre Mutter reindenken können.
Kloß: Ich habe gemerkt, dass sich die Beziehung zu meiner Mama verändert hat und das immer wieder neu passiert. Auch die Sicht zu ihr. Auch, weil ich selber Mutter geworden bin. Ich verstehe besser, was sie da geleistet und aufgegeben hat. Wie oft sie auch zurückgesteckt hat. Bei meiner Mama sah vieles leicht aus. Sie hat mir immer das Gefühl gegeben, dass sie alles unter Kontrolle hat. Obwohl das nicht immer so war, wie ich heute weiß. Wenn Du als Mutter deinem Kind vermitteln kannst, dass alles okay ist und du musst keine Zweifel haben, dann ist alles wunderbar. Ich bin für die enge Beziehung zu meiner Mutter sehr dankbar. Viele haben das nicht.
Sie sind mit Ihrem Gitarristen Thomas Stolle liiert und haben einen gemeinsamen Sohn. Wie schwierig ist es eigentlich? Es gibt ja sicher auch mal Zoff.
Kloß: Es ist komplett easy und es ist auch eine Frage der guten und ehrlichen Kommunikation, ob da ein Pärchen in der Band ist oder nicht.
Wie kriegen Sie Ihre Mutter-Rolle und die Rolle als Sängerin eigentlich unter einen Hut?
Kloß: Es ist viel Organisation und viel Vordenken. Das merken wir auch an dem Support, den wir brauchen, wenn beide Elternteile auf der Bühne stehen. Wir brauchen immer jemanden, der uns hilft. Wir haben die Zerrissenheit in uns, lieben das, was wir tun, aber wir lieben auch unser Kind. Das sind zwei Lieben, zwischen denen ich gerne hin- und hergerissen bin. Man muss eine gute Balance finden.
„Lieber laufe ich davon“ handelt von Angst. Wovor haben Sie Angst?
Kloß: Ich habe Angst davor, dass man entlarvt wird, dass man eigentlich gar nichts kann. Es gibt ja dieses Hochstapler-Syndrom. Ich hatte zuletzt die Angst, dass ich bei „Sing meinen Song“ auf der Couch sitze, plötzlich wird es dunkel und nur ein Scheinwerfer leuchtet auf mich und eine Stimme sagt zu mir: ‚Siehst du, ich habe Dir Dich gesagt du kannst nichts‘. Das klingt krasser, als es ist, aber davor habe ich Angst. Ich komme aus keiner musikalischen Familie, habe mit 13 nur festgestellt, dass ich gerne singe. Und in einem Chor in Bautzen konnte ich das zum Glück tun. Und die Chorleiterin hat mich da gefördert. Dort haben wir uns auch als Band gefunden.
Ein bisschen Glück braucht man auch, oder?
Kloß: Ich hatte viel Glück, dass ich diese Stimme habe und weiß das auch wertzuschätzen. Aber ich habe es nie gelernt und ich weiß, dass es da draußen wesentlich talentiertere Sängerinnen gibt. Wir sind alle zu streng mit uns und sind zu selten richtig zufrieden mit uns. Man muss oft zufriedener mit sich sein. Das steckt auch in dem Song.
Wie ist es bei Ihnen mit der Angst?
Nowak: (lacht) Männer haben keine Angst. Ich habe natürlich Angst vor Situationen, die das Leben von jetzt auf gleich komplett umkrempeln und die man nicht beeinflussen kann. Das ist nicht schön. Und ich habe Angst vor unbequemen Situationen, will mich davor aber nicht verschließen. Ich will nicht nur Opfer sein.