Ein Lesetipp von Michael Voregger
Der Titel des Sammelbands klingelt zunächst mal etwas sperrig in den Ohren, aber wer das Buch „Die Welt reparieren“ in die Hand nimmt, spürt sofort den Gegenwert zwischen den Buchdeckeln. Der Einband ist aus Stoff, und der Inhalt widmet sich einer Utopie zur Wegwerfgesellschaft. Die Herausgeber haben eine Vielzahl von Autoren gewonnen, und das Buch ist in drei Schwerpunkte aufgeteilt. Die „Visionen“ beschäftigen sich u.a. mit nachhaltiger Kreislaufwirtschaft, dem Zugang zu freier Technik, Open Source und gemeinschaftlicher Produktion. Auf die Theorie folgt die Praxis. Bei den „Praxisbeobachtungen“ werden konkrete Projekte vorgestellt. Vom „Fräsen für das Folk“, über eine „Community-Saftpresse“ in Ostdeutschland bis zu den „Repair-Cafés“.
Viele haben es selbst erlebt: Ein Gerät, an dessen tadelloses Funktionieren man sich im Alltag gewöhnt hat, verrichtet seine Arbeit bis kurz nach der Gewährleistungspflicht. Wenige Zeit später gibt es den Geist auf. Da die Reparaturkosten enorm hoch sind, entschließen sich viele zum Neukauf. Was bleibt, ist Abfall und das Warten auf den nächsten Totalschaden. Dabei ist die kurze Lebensdauer nicht immer ein Zufall, sondern Bestandteil kapitalistischer Produktionsweise. Die sogenannte „geplante Obsoleszenz“ bezeichnet die ökonomische Strategie, über eingebaute Sollbruchstellen eine bleibende Nachfrage aufrecht zu erhalten. Durch das Verbauen qualitativ minderwertiger Einzelteile wird die Lebensdauer eines Produkts begrenzt.
Wer nicht nur einen Akku wechseln, sondern einen Kondensator tauschen oder einen Fahrrad-Rahmen schweißen will, braucht eine Werkstatt und jemanden, der ihn unterstützt. Einen Schritt weiter im Kampf gegen die Wegwerfgesellschaft gehen die „Repair Cafés“. Hier kann man seine kaputten Schätzchen vorbeibringen, dann von erfahrenen Freizeit-Mechanikern repariert werden – das Ganze ist auch noch kostenlos. Beispielhaft für die vielen Initiativen, die es auch inzwischen in Deutschland gibt, stellen die Autoren das “Repair Café Hamburg Sasel“ und das Upcycling-Projekt „Nählust“ in Ottensoos vor. Daneben zeigt das Kapitel weitere open-source-basierte, in kollektiver Zusammenarbeit realisierte Projekte aus den Bereichen Nahrung, Werkzeuge, Energie, Kommunikation und Mobilität.
Der dritte Schwerpunkt widmet sich in „Analysen“ verschiedener Aktivisten und Wissenschaftler den politischen Alternativen. Auf der ganzen Welt entstehen immer mehr Initiativen des Selbermachens. Hier werden viele Anliegen und Probleme kollektiv bearbeitet. Die Aktivisten suchen nach Lösungen jenseits von Markt und Staat. Sie setzen dabei auf Zusammenarbeit, ein basisdemokratisches Verständnis von Zusammenleben und den freien Zugang zu Technologie. Dabei entstehen neue und ungewöhnliche Formen des gemeinsamen Produzierens, Reparierens und Tauschens von Dingen. Diese Graswurzelbewegung ist nicht technikfeindlich und nutzt die Möglichkeiten des digitalen Zeitalters, um die industrielle Logik des 20. Jahrhunderts herauszufordern und auf den Kopf zu stellen.
Die Herausgeber
Andrea Baier ist Soziologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der „Anstiftung“ in München. Ihre Forschungsschwerpunkte sind urbane Subsistenz und nachhaltige Regionalisierung.
Tom Hansing ist Soziologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter der „Anstiftung“. Er berät und vernetzt bundesweit Offene Werkstätten, Repair Cafés und Open-Source-Initiativen.
Christa Müller (Dr. rer. soc.) ist Soziologin und leitet die „Anstiftung“ in München. Sie forscht zu nachhaltigen Lebensstilen und neuen Wohlstandsmodellen.
Karin Werner (Dr. rer. soc.) ist Soziologin und wissenschaftliche Beraterin der „Anstiftung“. Als eine der Verlegerinnen des transcript Verlags interessiert sie sich für neuere sozial- und kulturtheoretische Diskurse.