Im Gespräch mit der Dichterin Katharina Kleinekemper
Ein Interview von Alexander Welp
Lyrik – Verse in Reimform, kunstvolle Verwendung des gesprochenen Wortes und das Spiel mit der Sprache. Die dritte literarische Gattung, neben Epik und Dramatik, war schon immer ein Medium, welches mich begeisterte. Während meiner Schulzeit allerdings weniger. Die trockenen Analysen, die verzweifelte Suche nach Jambus, Trochäus, Daktylus und Anapäst und die verflixten Reimschemata („Ist das jetzt ein Stabreim oder doch ein Doppelreim?“) machten mir zu schaffen. Klar, die technischen Stilmittel gehören natürlich dazu, aber das Wichtigste ging, meiner Meinung nach, immer unter. Der eigentliche Vortrag. Gedichte werden geschrieben, um gehört zu werden. Wenn dann Goethes Erlkönig in einem grausamen Singsang, vergleichbar mit dem Duktus eines kindlichen Schüttelreims, vorgetragen wurde, drehte sich mir der Magen um. Dass es auch anders geht, erfuhr ich erst während meiner kurzen Schauspielausbildung als Jugendlicher. Lyrik, beispielsweise von Villon, wurde fast schon szenisch dargestellt. Jedes Wort, jede Silbe verdiente Ausdruck und Hingabe. So machten Gedichte einfach Spaß!
Umso schöner war es dann, als ich vor einigen Monaten Katharina Kleinekemper bei ihrem ersten lyrischen Auftritt bewundern durfte. Mit ihren selbstgeschriebenen Gedichten brachte die Studentin Witz, Charme und Melancholie auf die Bühne – ich war sofort Feuer und Flamme. In einem angenehm lockeren Gespräch sprach sie mit mir über ihre Vorbilder und Lieblingsthemen und erklärte, was Lyrik für sie bedeutet.
Alex Welp: Komparatistik- und Philosophiestudentin. Sprachlich also top ausgebildet! Wie kam’s denn dazu, dass Sie anfingen, Gedichte zu schreiben?
Mensch, direkt so eine Frage ganz am Anfang (lacht). Kann ich tatsächlich gar nicht mehr so genau sagen, wann das anfing. Also, ich fand Gedichte schon immer schön, ich habe sie immer gerne gelesen. Gerade die Reimform finde ich so einprägsam. Wenn man Gedichte auswendig lernt, lernt man ja den einen Vers, und der nächste erschließt sich einem durch die Form direkt im Anschluss – super Sache. Der Baum ist tatsächlich schon während meiner Schulzeit entstanden, das war auch das erste Gedicht, das man ernst nehmen konnte. Ich kann mich noch erinnern, dass ich das meiner Mutter vorlas, die gar nicht wusste, dass es von mir war. Dann kamen solche Antworten wie: „Ach, das ist ja wahrscheinlich Ringelnatz!“ Da war ich schon stolz. Obwohl, ich muss dazu gestehen, dass ich damals noch nicht so ganz genau wusste, wer das eigentlich ist (lacht). Die übrigen Gedichte sind dann aber doch eher während meines Studiums entstanden.
Alex Welp: Worüber schreiben Sie? Gibt es Themen, die Sie besonders gern lyrisch verpacken?
Ich schreibe am liebsten darüber, was mir gerade so zufliegt. Bleiben wir bei Der Baum. Da habe ich einen Baum angesehen und bewundert. Irgendwann habe ich mir dann aber gedacht: „Mensch, der steht ja eigentlich immer nur so da, sieht immer nur das Gleiche. Schon irgendwie traurig.“ Aus diesen Gedanken schrieb ich dann die Verse.
Alex Welp: Mit diesen Gedanken im Kopf, wie fängt man dann an zu schreiben?
Es klingt kitschig, aber dann muss man tatsächlich warten, bis einen die Muse küsst. Oder man bekommt einen spontanen Impuls. Wenn wir im Studentenwohnheim mit mehreren Leuten zusammensitzen und ein Thema diskutieren, passiert es mir oft, dass ich mich dabei ertappe: „Oh, zu dem Thema habe ich echt eine Meinung, das berührt mich gerade!“ Danach setze ich mich dann oft hin und fange an zu schreiben. Entweder kommt dann etwas oder auch nicht. Wenn etwas kommt, kann es auch echt schnell gehen. Die meisten Gedichte verfasse ich innerhalb von fünf Minuten.
(…)
So sprachlos? (lacht) Nein, wirklich. Wenn mich etwas überkommt, dann brauche ich nicht länger als fünf, vielleicht zehn Minuten – ungelogen! Das wird dann einfach durchgezogen. Klar, hin und wieder bastel‘ ich danach noch ein wenig, aber das kommt wirklich unheimlich selten vor. Ich muss aber in einer gewissen Stimmung sein. Entweder bin ich besonders fröhlich oder besonders niedergeschlagen. Ich brauche eine Art innerliche Aufregung, um gut dichten zu können.
Alex Welp: Wow, das nenne ich wirklich Begabung! Jetzt hatten wir ja gerade kurz über Ringelnatz gesprochen. Wer sind denn Ihre lyrischen Vorbilder?
Vorbilder würde ich gar nicht sagen. Es gibt viele, die ich bewundere. Ja, Ringelnatz gehört dazu. Kurt Tucholsky und Eugen Roth sind auch stark. Gerade Tucholsky ist ein Meister des Sarkasmus. Humor ist mir in meiner eigenen Schreibe auch unheimlich wichtig. Es ist eine Mischung. Ernsthaftigkeit, denn ich will mit meinen Gedichten ja auch was sagen, gepaart mit einer guten Portion Augenzwinkern. Es darf und soll auch gelacht werden!
Alex Welp: Beschäftigen Sie sich viel mit dem technischen Rüstzeug? Stichwort Versmaß und Reimschema?
Es ist mir schon wichtig, und ich versuche darauf zu achten, aber es geht nicht soweit, dass ich mir sage: „So, das muss jetzt technisch perfekt umgesetzt sein.“ Oder: „Ja, jetzt hätte ich gern einen Paarreim, jetzt einen Kreuzreim.“ Es kommt einfach, wie es kommt. Was ich aber unbedingt vermeiden möchte, sind unreine Reime. Da bin ich penibel und vielleicht auch ein wenig klassisch.
Alex Welp: Einen ersten Aufritt gab es ja jetzt bereits im musischen Zentrum der Ruhr-Universität Bochum. Wie bereitet man sich darauf vor? Waren Sie nervös?
Bei der Vorbereitung habe ich die Gedichte natürlich immer und immer wieder gesprochen. Beim Schreiben habe ich die Betonungen meistens schon im Kopf, deshalb viel mir das nicht so schwer. Ich weiß, was ich wie sprechen möchte und wie schnell etwas vorgetragen werden muss, damit die Spannung oben bleibt. Aber ja, nervös war ich schon ein wenig. Ich wusste ja vorher nicht, wie gut meine Gedichte ankommen. Dass der Zuspruch dann doch so groß war, hat mich sehr gefreut.
Alex Welp: Mal ein Fallbeispiel: Die Schuld, mein Lieblingsgedicht von Ihnen. Woher kam der Impuls?
Da gab es in meinem Freundeskreis eine Diskussion über Schuldverschiebung. Es ging darum: „Wer hat denn überhaupt Schuld bei einem Vorfall? Geht es wirklich um Schuldzuweisung oder eher um eine Verschiebung der Schuld von A nach B?“ Schuld will ja hinterher niemand haben, und deshalb wird das dann häufig auf andere abgewälzt. Diese Gedankengänge haben mich danach sehr beschäftigt und waren der Anlass für dieses Gedicht.
Alex Welp: Zum Abschluss. Kurz und knapp: Was macht Lyrik für Sie aus? Was macht Lyrik so besonders, so schön?
Lyrik ist für mich die Freiheit, komplizierte Themen auf ein Minimum zu beschränken und den Rest der Fantasie des Einzelnen zu überlassen.
Vielen Dank für dieses tolle Gespräch!