Skurril bis abseitig – Das „Lesebuch Klaus Märkert”
Ein Buchtipp von Jesse Krauß
Karlo Rakzak ist ein „Paperback Writer”, ja, genau so einer wie der in dem klassischen Beatles-Song, und er ist seinem Verleger auf Gedeih und Verderben ausgeliefert, muss schreiben, was dieser meint, verkaufen zu können, unter dem Pseudonym „Konstantin Rucksack” etwa über klopfende Herzen und Käsekuchen, Love Stories kombiniert mit Backrezepten. Sein nächstes Buch aus dem Humorfach verkauft der findige Verleger gar mit einer „Lachgarantie”: Hat man bei der Lektüre nicht mindestens 50 Mal gelacht, erscheint der Autor zum Hausbesuch, um die fehlenden Lacher nachzuliefern, wie ein Hofnarr.
Als „Schreibknecht” muss dieser bei allem mitspielen, die Bücher sind nunmal sein Broterwerb. Als die erste Leserin, welche die Einlösung der Lachgarantie fordert, sich jedoch als Gänseblümchen zertretende
Domina entpuppt, bleibt es für den „Paperback Writer” nicht allein bei bloßer Peinlichkeit.
Doch er ist nur eine von vielen Manifestationen eines männlichen Ich-Erzählers, dem man in den teils verrückten, teils abgründigen Kurzgeschichten des Bochumer Autors Klaus Märkert wieder und wieder begegnet. Mal trägt dieser Protagonist einen Namen, mal bleibt er namenlos. Mal geht er mit wechselhaftem Erfolg einem skurrilen Beruf nach, etwa Zauberkünstler und Katzen-Exorzist, einmal ist er sogar erfolgreicher Betrüger (sein Opfer allerdings ein Dummkopf). Doch zumeist ist Märkerts Ich-Erzähler schlicht vom Pech verfolgt, hat einfach kein Standing und kämpft sich tolpatschig durch absurd eskalierende Alltagssituationen.
In Liebesdingen ist er praktisch immer Verlierer und je nach Geschichte entweder Single oder gerade frisch verlassen worden. Seine Dates scheitern kläglich oder führen ihn in die Arme sonderbarer Schrullen, ein Ankommen in Beziehung bleibt ihm verwehrt.
Dabei müht sich dieser Mann die meiste Zeit über redlich, ist freundlich und guten Willens, pflegt gar seinen „inneren Kriegsdienstverweigerer”. Doch dann wieder blitzen auch bei ihm dunklere Facetten auf, erscheint plötzlich ein spitzer Gegenstand in seiner Hand – Ausgang offen. Cliffhanger.
In einer surreal überdrehten Story mit dem Titel „Clockwork Red” zerlegt er gleich zu Beginn die Leiche seines Onkels Heinz. Mit dem Hackebeil, fröhlich ein Liedchen pfeifend.
Liest man Geschichte um Geschichte im neu erschienen Sammelband „Lesebuch Klaus Märkert”, das Texte aus den Jahren ab 1966, mehrheitlich aber ab 2000, versammelt, kommt man nicht umhin, sich zu fragen, wieviel vom Autor selbst in all diesen traurigen, unbesungenen Helden stecken mag. Denn auch wenn er in einer Geschichte um Magie im Friseursalon (fast als wolle er den Leser testen) einmal eine weibliche Hauptfigur auftreten lässt, ist diese Travestie doch schnell durchschaut.
Der 1953 im Gelsenkirchener Marienhospital geborene und in Bochum aufgewachsene Klaus Märkert blickt tatsächlich auf ein wechselhaftes Leben zurück. Seine Kindheit verlebt er im dörflichen Wattenscheid-Eppendorf zwischen Bude, Kino und Pferdewiese. Die familiären Erziehungsmethoden sind von der robusten Sorte – da kann es schon mal aus heiterem Himmel und ohne jeden Grund schallende Ohrfeigen regnen. Kindliche Neugier ist nicht gern gesehen, besonders verschlossen geben sich die Erwachsenen, wenn es darum geht, was sie während der „braunen Jahre” getan haben, jedoch auch, was man ihnen in dieser Zeit angetan hat.
Märkert studiert Rechtswissenschaften, wird Streetworker und Drogenberater, jobbt aber auch als Schallplattenverkäufer und Taxifahrer. Im zweiten Teil des Lesebuchs erzählt er u.a. von seiner Zeit als DJ in der legendären, mit Freunden gegründeten Dark-Wave-Disco Zwischenfall in Langendreer. Doch was für ihn in den 1980er Jahren ein Traumjob ist, endet in den 90er Jahren recht abrupt, als die vom Publikum verlangte, immer härter werdende Industrial-Musik ihm gesundheitlich mehr und mehr zusetzt. Denn er hat – und das wird zu einem beherrschenden Aspekt in Märkerts Leben – bereits mit 34 Jahren einen schweren Herzinfarkt erlitten. Von langjähriger zermürbender Krankheit und zahlreichen Krankenhausaufenthalten erzählen die weiteren autobiograpischen Texte, und liest man hier, wie oft Märkert dabei scheinbar völlig empathiefreien Ärzten und gedankenlosen Mitmenschen ausgeliefert ist, schlägt man fast unweigerlich den Bogen zum Alter Ego des Autors in seinen fiktiven Erzählungen.
Doch auch kurz vor dem körperlichen Zusammenbruch verfügt Märkert noch über Galgenhumor, und zwar jede Menge davon. Seine Schreibe ist trocken, lakonisch und schwarz-humorig. Er schämt sich keiner Blöße, und man folgt ihm nur zu gern durch sämtliche seiner Katastrophen, die erfundenen genauso wie die echten. Märkert zelebriert das Absurde, Überdrehte und Abgründige und fühlt sich bisweilen wie ein Schauspieler im eigenen Leben. Für Freunde des Abseitigen ist er eine Entdeckung, als Ruhrgebiets-Autor ein Sonderfall, dem ein größeres Forum gebührt.
Veröffentlicht hat Klaus Märkert seine kurzen Texte bisher in Anthologien und Zeitschriften, doch auch vier autobiographische Romane gehören zu seinem Œuvre, zudem ist er Mitgestalter diverser Lesebühnen.
Für die Entstehung des neuen „Lesebuchs” zeichnet der Gelsenkirchener Literaturforscher und Liedermacher Karl-Heinz Gajewsky verantwortlich, der damit, nach Bänden über die Horster Dichterin Ilse Kibgis und den Arbeiterdichter Richard Limpert, seinen dritten Beitrag zur Reihe „Nylands Kleine Westfälische Bibliothek” vorlegt, die von Prof. Walter Gödden (Westf. Literaturkommission) herausgegeben wird. Gajewsky selbst empfindet Märkerts Erzählungen als „literarisch irgendwo zwischen Charles Bukowski, Helge Schneider und Roald Dahl angesiedelt” und wünscht viel Spaß bei dieser „ungewöhnlichen Lektüre”.
Lesebuch Klaus Märkert
Zusammengestellt von und mit einem Nachwort von Karl-Heinz Gajewsky
Nylands Kleine Westfälische Bibliothek, Band 95
Aisthesis Verlag, 152 Seiten
ISBN: 978-3-8498-1570-7
8,50 €