Sodom zünden mit GENESIS XIX eine brachiale Thrash-Bombe
von Alexander Welp
Hart, härter, Sodom! Extremes Tempo, kompromisslose Lyrics und knallharte Riffs sind die Markenzeichen der Ruhrpott-Rocker. Persecution Mania, Agent Orange oder M-16 – bei diesen Alben schlagen die Herzen der Metal-Heads höher und… stopp!
Jetzt mal im Ernst: Braucht es wirklich eine Erklärung, wer oder was Sodom sind? Wer in den letzten 38 Jahren (!) nicht unter einem Stein gehaust hat, dem ist die Band, welche mittlerweile einen regelrechten Legendenstatus genießt, ein Begriff. Pünktlich zur Weihnachtszeit gibt’s für Fans nun ein dickes Geschenk, denn mit GENESIS XIX erschien am 27. November das aktuelle Werk der Thrash-Metal-Band – mit einer schicken Schleife obendrauf! Doch wehe, wenn man sie löst, denn mit Songs wie Indoctrination, Friendly Fire und Nicht mehr mein Land brettert selbst eingefleischten Fans ein musikalisch-wütender Güterzug entgegen. In anderen Worten: Ein wahrer Ohrenschmaus! – Kurz vor dem Release des neuen Albums trafen wir Thomas „Tom Angelripper“ Such im Plattenladen Timewarp Records in Gelsenkirchen-Horst. Im Interview spricht der Sodom-Frontmann über die Zukunft der Metal-Szene, erklärt, warum die Musikbranche auch nach all den Jahren noch ein hartes Pflaster ist und berichtet über seine zweite Leidenschaft neben der Musik.
Hand auf’s Herz: Wie sehr fehlt die Bühne, der Kontakt mit den Fans?
Thomas Such: Wir vermissen das alles sehr. Es gibt Bands, die zur Zeit Konzerte in Autokinos veranstalten. Auf so was habe ich aber keinen Bock, ehrlich gesagt. Eine Metal-Show lebt von den Leuten, von den Fans – und nicht nur von der Band! Wir müssen da natürlich auch über Geld sprechen. Der Staat hilft hier nicht besonders viel. Es ist unheimlich schwer, finanzielle Überbrückungshilfen zu bekommen. Dabei geht es mir vorrangig um die Backliner und Techniker, die von Auftritten abhängig sind. Allerdings haben wir die Zeit gut genutzt, um die neue Platte zu produzieren. Vielleicht hätten wir das ohne diese Pause auch gar nicht so schnell geschafft.
Guter Übergang. Viele Künstler*innen und Musiker*innen hatten in den vergangen Monaten mit kreativen Löchern zu kämpfen. Das war bei Dir scheinbar nicht so?
Überhaupt nicht! Seit Anfang des Jahres haben wir ja auch einen neuen Drummer (Toni Merkel; Anm. d. Red.), und als klar wurde, dass die ganzen Auftritte abgesagt werden müssen, haben wir uns sofort an die neuen Songs gesetzt. Ein kreatives Loch hatte ich aber nie, dafür bin ich viel zu… (lacht) kreativ! Nein, aber mal im Ernst: Unser Hauptjob ist natürlich das Spielen vor Publikum.
Mal angenommen, Konzerte wären im nächsten Jahr wieder möglich. Wäre das der erste Punkt auf der Agenda?
Alle Shows wurden bereits ins neue Jahr auf die gleichen Termine verschoben, in der Hoffnung, dass es dann auch wieder funktioniert. Allerdings braucht man davor auch mindestens drei Monate Vorlaufzeit, um Dinge wie Promotion und Hygienekonzepte zu regeln. Ich selber glaube aber, dass es solche Festivals wie Wacken, wo 80.000 Leute dicht nebeneinander stehen, in der Form nicht mehr geben wird.
Musikkultur wird also verloren gehen?
Die geht jetzt schon verloren. Es gibt viele Bands, die aus den bekannten Gründen nicht mehr weitermachen können. Grundsätzlich werden wir uns alle langfristig umstellen müssen; das gilt nicht nur für uns Musiker.
Kommen wir zum neuen Album.
Erste Assoziation beim Hören: „wütend“! Woher kommen die Einflüsse für die Platte?
Einflüsse in dem Sinne haben wir nicht. Wir wissen, wie wir das zu machen haben und was unsere Fans gerne hören. Mit unseren beiden Gitarristen haben wir auch die Voraussetzungen für unterschiedliche Songs. Yorck, der jüngere von beiden (Yorck Segatz, Mitglied seit 2018; Anm. d. Red.), ist ein richtig kerniger Metaller, der alle Bands in- und auswendig kennt. Frank ist eher Old-School (Frank „Blackfire“ Gosdzik, Mitglied 1987-1989, seit 2018; Anm. d. Red.). Er bringt eher den Stil eines Rock-Gitarristen mit und schreibt natürlich andere Songs, die auch damals auf Agent Orange hätten drauf sein können. Beide zusammen machen die ganze Sache natürlich vielfältiger. Es gibt bei uns immer einen Hauptsongschreiber, wobei wir hinterher alle zusammen arrangieren. Als Sänger muss ich mir den Song zum Schluss natürlich so zurechtlegen, wie ich ihn brauche.
Wenn man sich die Tracklist anschaut, springen Titel wie Indoctrination und Nicht mehr mein Land sofort ins Auge. Dahinter verbirgt sich eine Spur Sozialkritik, oder?
Nicht mehr mein Land hat erst mal einen deutschen Text. Einige sagen da gleich: „Poach, deutscher Text – direkt rechte Ecke!“. In der Metal-Szene sind viele Leute sehr empfindlich geworden. Das sind aber diejenigen, die immer noch in Mutters Schoß leben und die alltäglichen Probleme gar nicht mitkriegen. Wenn ich jetzt mal die 70er und 80er, also die Zeit in der ich groß geworden bin, mit heute vergleiche, dann muss ich sagen: Früher war es schon besser!
Inwieweit?
Es gab früher nicht diese gewaltige Spaltung der Gesellschaft. Schauen wir uns die USA an. Da drüben gibt es nur ein Entweder-Oder. So wird es hier auch kommen. Wir werden entweder komplett nach links oder rechts rücken und die goldene Mitte wird es nicht mehr geben. Die Probleme, die wir in Deutschland, Europa und auf der ganzen Welt haben, die haben wir natürlich alle selbst verbockt. Das ärgert mich. Ich mache mir echt Sorgen, wie es in zwanzig Jahren hier aussieht. Ich mache mir Sorgen um meine Kinder. Songs wie Nicht mehr mein Land geben mir die Möglichkeit, Sachen zu verarbeiten und mir von der Seele zu schreiben. Ich lehne mich damit schon recht weit aus dem Fenster. Eine Thrash-Band muss solche Themen aber auch mal ansprechen, und nicht nur irgendwelche Fantasy-Texte schreiben. Das geht in eine Richtung, wie es früher viele Punk-Bands gemacht haben. Da wurde es manchmal auch politischer. (lacht) Man könnte sagen, wir sind Punker mit einem anderen Haarschnitt!
Bleiben wir noch kurz bei dem Song. Es gab von Dir immer mal wieder deutsche Texte. Hast Du da eigentlich eine Präferenz? Was liegt Dir mehr; Englisch oder Deutsch?
Deutsch liegt mir mehr. In der Sprache kann ich meine Gefühlswelt besser ausdrücken. Wenn ich solche Texte zum Beispiel in den Google Übersetzer reinwerfe, dann passt das hinten und vorne nicht mehr. Mit der deutschen Sprache kann man viel mehr jonglieren. Texte von Grönemeyer und Reinhard Mey finde ich beeindruckend. Wie diese Leute mit ihrem Wortschatz umgehen und schreiben, ist der Hammer! Vielleicht wird es in Zukunft auch mal ein Sodom-Album nur mit deutschen Texten geben, mal gucken. Die Amerikaner finden Texte auf Deutsch übrigens besonders klasse. Die verstehen zwar kaum ein Wort, aber die Sprache passt unheimlich gut zum Metal.
Das neue Album heißt GENESIS XIX. In der Bibel geht es im Buch Genesis, Kapitel 19, um die Stadt Sodom und die Rettung Lots. Wie wichtig sind solche Sinnbilder für die Band?
Ich habe mich für diese Erzählungen schon immer interessiert. Über die Zerstörung von Sodom und Gomorra habe ich früher bereits geschrieben. Ich bin absolut kein Fan der Bibel, aber man kann dadurch sehr viel lernen, vor allem, was die Menschen von damals betrifft. Ohne an irgendeine Religion zu glauben – für mich ist das allein schon geschichtlich interessant. Auch für die Cover der Alben spielen solche Szenen eine große Rolle, die wir künstlerisch darzustellen versuchen.
Sodom gibt es seit 38 Jahren, und nebenher gab es auch immer viele Solo-Projekte von Dir. Gab es mal Momente oder Zeiten, in denen Du keine Lust mehr auf Musik hattest?
Nee! Es gibt kaum wen, der so viele Platten gemacht hat, wie mich. So lange man kreativ und gesund bleibt, muss man Musik machen. In den 90ern gab es zwar eine Zeit, in der die Plattenverkäufe allgemein zurückgingen und sich viele Bands aufgelöst haben. Wir wollten aber immer noch einen drauflegen! Es war uns auch nie wichtig, was zu dem Zeitpunkt modern war, wir haben immer unser Ding gemacht. Wir sind die härteste Band Deutschlands, und das müssen wir auch verteidigen! Die Musikbranche bleibt aber trotzdem ein hartes Pflaster.
Woran liegt das?
Erst einmal gibt es immer mehr Bands – und jeder will etwas vom Kuchen abhaben. Die Plattenverträge werden immer skurriler, es wird immer schwieriger, gute Verträge zu kriegen. Früher haben wir vieles blind unterschrieben. Ich kann jeder Band nur raten: Unterschreibt Verträge nur zusammen mit einem Anwalt. Dazu kommt, dass physische Tonträger nicht mehr so gut verkauft werden wie früher. Aber auch mit Spotify und anderen Portalen verdienen Bands kaum etwas. Wir haben zwar mittlerweile Kultstatus erreicht – uns kann nichts mehr passieren – für junge Bands wird es aber immer schwieriger.
Tenacious D schrieben vor ein paar Jahren den schönen Song Rock is Dead. Der Text ist zwar – typisch Jack Black – sehr ironisch, aber steckt da vielleicht doch ein Fünkchen Wahrheit drin?
Nein, Metal ist salonfähig geworden – leider! Früher war Metal eine Art Revolution. Heute läuft er im Radio, Spielfilme werden damit unterlegt. Du kannst heute niemanden mehr mit Metal schocken.
Er ist nichts Besonderes mehr. An der Berufsschule war ich früher der einzige Typ, der Metal gehört hat – von 30 Leuten in der Klasse. Heute ist es leider zu kommerziell geworden. Das heißt zwar auch, dass Metal nie aussterben wird, aber die Bedeutung der Musik wird verloren gehen.
Gibt es Länder, in denen Metal noch anders funktioniert als hier?
Ich sag mal so: In Südamerika wird Metal anders gefeiert. Die zelebrieren das richtig und sind nochmal eine Spur enthusiastischer. Wenn es eine europäische Band nach Südamerika schafft, will das dann auch was heißen. Vielleicht sind wir in Deutschland da schon etwas übersättigt.
Zurück in den Ruhrpott: Du wohnst nach wie vor immer noch gerne in Gelsenkirchen?
Absolut! Wenn Musiker erfolgreich werden, wollen viele beispielsweise nach New York, oder so. Nee, ich hatte nie das Bedürfnis wegzuziehen. Im Gegenteil. Wenn ich von einer langen Tour komme, freue ich mich ziemlich darauf, wieder hier zu sein. Hier ist meine Heimat.
Stichwort „Heimat“. Neben der Musik bist Du zudem leidenschaftlicher Heimatforscher.
Ein Heimatsammler! – Um 2000 habe ich eine Ansichtskarte mit dem Rathaus in Buer entdeckt, die stammte von 1915, und ich war sofort fasziniert! So sehr, dass ich damit anfing, diese Karten zu sammeln. Das ist die einzige Möglichkeit mal zu gucken, wie es hier früher aussah. Nostalgie spielt da auch eine große Rolle: Wie wäre es wohl, wenn man zu der Zeit beispielsweise von der Hochstraße in eine Gaststätte gegangen wäre? In dem Zusammenhang gibt es eine richtige Sammler-Szene, und für manche Karten muss man ziemlich viel Geld auf den Tisch legen. Mittlerweile kann ich auf ein riesiges Archiv mit ungefähr 2.500 Karten blicken – es gibt wenige, die ich noch nicht habe! Allerdings bin ich noch auf der Suche nach topographischen Originalfotos aus Buer. Glasplatten, Erstabzüge und Negative – am besten aus dem Zeitraum 1870 bis 1940.
Du hast auch schon zwei Bücher mit dem Thema veröffentlicht, nicht wahr?
Genau. Zwei Bücher über Gelsenkirchen-Buer, reine Bildbände. Bei dem zweiten Buch habe ich Fotos von der gleichen Stelle gemacht, wo auch die Motive der Ansichtskarten entstanden sind. Da konnte man hinterher toll vergleichen, wie es früher an den Orten ausgesehen hat. Im nächsten Buch will ich die Karten noch größer als im Original abbilden. Im Moment suche ich noch nach einer Druckerei aus der Umgebung, denn es soll ein richtiges Heimatprodukt werden!
Es heisst THRASH Metal – und nicht Trash ^^
Upsa. Danke für den Hinweis! Im Metal-Kurs der Fernuni nicht aufgepasst. ^^