Umfrage zu Erfahrungen mit der Verwaltung
Die Fesseln der gequälten
Franz Kafka
Menschheit sind aus Kanzleipapier.
m Februar fragten wir online unsere Leserinnen und Leser, welche Erfahrungen sie mit der Stadtverwaltung Gelsenkirchen gesammelt haben. Ebenso viele gute wie schlechte Bewertungen wurden abgegeben. Man muss sagen, wir waren erstaunt. Diese Umfrage, auch wenn nur klein und mitnichten repräsentativ, war zumindest erhellend für die Annahme, hier sei Hopfen und Malz verloren. Man ist angewiesen – gerade als Journalist – auf die Erfahrungsberichte, die mal ein gutes, mal ein desaströses Zeugnis der Arbeit unserer Verwaltungsmitarbeiter ausstellen. Die Einlassungen zur Arbeit in den Amtsstuben, die positiv beurteilt wurden, waren meist kurz. Was soll man auch lange erzählen, wenn alles gut läuft? Nette, schnelle, kompetente Hilfe, so die Essenz aus diesen Antworten. Anders hingegen die Berichte der Menschen, die negative Erfahrungen sammeln mussten. Diese Leserinnen und Leser hatten einiges zu berichten. Exemplarisch haben wir sowohl positive als auch negative Beispiele ausgewählt.
„Nach meinem endgültigen Umzug wollte ich Nägel mit Köpfen machen und mich ummelden. Ich kenne das vom letzten Mal noch so, dass man ins Bürgercenter geht, eine Nummer zieht und wartet – habe aber schon gehört, dass dem wohl nicht mehr so sein soll. Gehe also zur Online-Terminvereinbarung mittels Internet und bin erstaunt – erster möglicher Termin in sieben Wochen. Fatal – ich habe ja unter Bußgeldandrohung die Pflicht, mich innerhalb von zwei Wochen umzumelden. Rufe also das HSH an, irrtümlicherweise erst einmal bei der angegebenen Nummer. Dort geht keiner ans Telefon. Wähle also die Zentrale und stelle höflich dort meine Frage – habe dort das Glück, eine Dame zu erreichen, die wohl einen Infoleitfaden neben dem Telefon liegen hat. Die klärt mich erst einmal darüber auf, dass ich einen Onlinetermin machen soll, die Terminbestätigung fungiere als Nachweis, dass ich mich rechtzeitig gemeldet hätte. Das ist ja fein! Dann weist sie mich darauf hin, dass es frühmorgens ‚Tagestermine‘ geben würde. Mir war schon klar, dass man frühmorgens Termine im HSH ergattern kann, dachte bisher aber, dass wäre so etwas wie… gutes von gestern. Termine-Altkleidersammlung. Termine die vom LKW gefallen sind. Doch der Begriff ‚Tagestermine‘ machte mir klar, dass es sich mitnichten um etwas handelt, was so on top gemäß Faktor Glück angeboten wird – sondern scheinbar ein gemäß Faktor Glück geregeltes Angebot sein soll. Der Kundenmensch des Bürgercenters soll, nötigenfalls ein paar Tage am Stück, morgens gucken, ob für ihn ein Termin offen wird. Ich stelle mir das für Menschen mit Verpflichtungen und geregelten Tagesabläufen recht schwierig vor, nahm das aber erst einmal so hin. Ich würde ja meine Terminbestätigung bekommen und dann würde ja auch nix pressieren. Gehe dann zu meinem gebuchten Termin und alles schön. Fünf + x Wochen später fällt mir eines Morgens siedend heiß auf dem Weg zur Arbeit ein – heute hätte ich ja meinen Termin im Bürgercenter! Aber leider hatte ich mir nun einen beruflichen Termin darübergelegt. Der wochenlange Vorlauf hatte mich vergessen lassen, wie rasch in meinem Alter zunehmend die Zeit vergeht. Mein Unglück, dachte ich, aber sei fair und sag ab, dann kann jemand anders den Termin haben. Habe ich dann auf einer Verkehrsinsel auf der Florastraße gemacht, da sind die Fußgängerampelschaltungen glücklicherweise so gestellt, dass man während des Wartens Behördenkram mittels Smartphone machen kann. Digitale Modellstadt! Hätte ich mal eine Grünphase erwischt, dann wäre ich zur Firma durchgelaufen und hätte am Telefondisplay im Aufzug gesehen, dass mein Termin erst in der Woche darauf gewesen wäre. Jetzt war ich geliefert. Termin weg und Frist meilenweit überschritten. Ich möchte anonym bleiben, denn ab jetzt war ich eine dubiose, unrechtmäßig unumgemeldete Gestalt. Glücklicherweise erwartet die Stadt ja keinen Beleg des Auszugsdatums. Wenn man also untertaucht und sich nicht von sonst wem nach seiner behördlichen Meldung überprüfen lässt, kann man einfach einen neuen Termin vereinbaren. Um sauber zu bleiben oder halt zu erscheinen, behauptet man einfach, man sei entsprechend später am neuen Wohnort eingezogen. Nicht sauber. Dubios. Verrucht. Aber eine Lösung. Für alle. Für das Bürgercenter und für mich. Klicke ich also in die Onlineterminvergabe, um mir meine neue Ablassmail nebst neuem Termin zu holen. Mit sieben Wochen Vorlauf müsste man derzeit warten. Haha! Kein Problem HSH! Gebt mir nur diese Terminbestätigung, kein Stress, für gar niemanden! Luv ya! Tja, und dann zeigen dir die Kalender (sieben Wochen Vorlauf) nur ausgegraute Tage. Bei sieben Wochen Vorlauf bekommt man keinen Termin innerhalb der nächsten acht Wochen. Ach Du Schreck. Was mach ich denn nun? Wie Dr. Kimble, ungewollt auf der Flucht. Oder in der Grauzone. Ich muss jetzt wohl morgens das HSH online belagern. Mein Chef hat sicher Verständnis dafür. Also, wenn ich ihm das so erzähle wie jetzt hier. Könnt ihr gebrauchen? Schön. Haltet mich gerne auf dem Laufenden, gern über Mail oder halt über einen zu vereinbarenden toten Briefkasten im Stadtgarten!“ D. N.
„In der WAZ hieß es, Presse- und Stadtsprecher Schulmann empfiehlt denjenigen, die einen früheren Termin als in drei Monaten benötigen, sich gegebenenfalls einen ‚Notfall-Termin‘ geben zu lassen. Darauf habe ich eine Anfrage an die Presseabteilung geschickt, mit der Bitte, zu erklären, wie dieses besondere Verwaltungsverfahren ausgestaltet ist. Auf meine E-Mail-Anfrage stellt sich im Zuge der Antwort der Verwaltung des Bürgercenters heraus, ‚dass der Nachweis eines Notfalls an der Bedien-Theke des Bürgercenters erbracht werden müsse‘. Kriterien, darüber, was einen Notfall ausmacht, gibt es seitens der Stadtverwaltung nicht. Also, was ist vonseiten der Bürgerinnen und Bürger zu tun? Und wissen die Mitarbeiter*innen an der Bedien-Theke wie sie in solchen Fällen vorgehen müssen? – Ist es bereits ein Notfall, wenn das bußgeldbewährte Ummelden innerhalb von zwei Wochen nicht eingehalten werden kann? – Ist es bereits ein Notfall, wenn – wie mir ein Bekannter seinen Fall schildert – er zum Urlaubsstart zeitnah einen neuen Reisepass beantragen wollte, einen früheren Termin beim Bürgercenter als in drei Monaten möchte. Sein Notfallargument: ‚Die Reise ist aber bereits für einen früheren Termin gebucht‘, wird von der Mitarbeiterin des Bürgercenters mit Missachtung mit den Worten beantwortet: ‚Da haben sie aber Pech gehabt!‘ – Von Dienst nach Vorschrift scheint sie nichts zu wissen. Belege ließ sie sich nicht vorlegen, um einen Notfall zu prüfen. Anstatt sich den Nachweis für den Notfall in Form der gebuchten Reiseunterlagen vorlegen zu lassen, wimmelt sie ihn einfach ab. So etwas kann passieren, wenn eine Verwaltung nicht mehr im Rahmen zugrundeliegender Vorschriften, nicht mehr nach Recht und Gesetz handelt, sondern freihändig agiert. Dann herrscht, wie gesehen, die reine Willkür. In einem weiteren Fall haben sämtliche Behörden außerhalb Gelsenkirchens den Härtefall anerkannt, dass der Bürger keinen früheren Termin zur Ummeldung nach Umzug innerhalb von GE bekommen konnte, und auf telefonische Nachfrage sämtlich eine Adressenänderung in ihren Dateien vorgenommen. So konnte dem Umgezogenen aktuelle Post zugehen. Außer eine Behörde in Gelsenkirchen. Sie verschickt, trotz Änderungsmitteilung ihre Bescheide weiter an die alte Adresse. Süffisant dabei: Die Behörde hat die Miete für die neue Wohnung bereits übernommen. Schreibt jedoch, die Adressenänderung könne nicht vorgenommen werden, solange die Ummeldung nicht offiziell vorgenommen worden sei. Nach anwaltlichem Schreiben ändert die Gelsenkirchener Behörde diese willkürliche Verwaltungspraxis.“ J. S.
Ich bin ohne Termin hin und habe einfach gewartet, bis zu einer aufgerufenen Nummer keiner aufgestanden ist. Bin dann rein zum freien Platz und habe mit der Dame ein paar Worte gewechselt. Sie war überrascht, weil ich nicht zu dem Termin passte, den sie erwartet hätte. Hätte ich die richtigen Fotos dabei gehabt, hätte sie mein Anliegen aber bearbeitet. So lag es dann doch an mir, dass es nicht geklappt hat. Freie Termine findet man übrigens genau so, wie auf der Website beschrieben. Einfach früh am Morgen nachschauen und buchen.“ I. D.
„Die Pässe sind rechtzeitig vor Ablauf (drei Monate) neu beantragt worden. Termin online gebucht, Termin wurde unproblematisch durchgeführt. Pässe waren schnell (vier Wochen) fertig. Die Zeitschiene und die Wartezeiten entsprechen den Abläufen und Gegebenheiten in den Nachbarstädten (z.B. Essen) und sind dem allgemeinen Personalmangel in der Verwaltung geschuldet. Ähnliche Probleme gibt es auch im nicht öffentlichen Sektor. Rechtzeitige Planung bewahrt aber oft vor Frustration. “ P. F.
„Die erste Gestaltungssatzung (sie regelt u.a. das Erscheinungsbild der Straßen, Warenaufsteller, Werbetafeln) ist von 2008, die reformierte Januar 2022. Umgesetzt wurde auch die erste bis heute nicht. Anfragen beim betreffenden Referat werden schlichtweg ignoriert, ggf. sagt man, es sei in der Prüfung. (Bei einem Fall dauert die Prüfung des Offensichtlichen bereits fünf Jahre.) Verantwortlich dafür ist das Referat für Sondernutzung, aber in Teilen auch Referat Bauordnung. Auch hier prüft man einen offensichtlichen Fall seit 13 Monaten ergebnislos. Die neue Ordnung als Hochglanzprospekt wurde mit einem Begleitschreiben des Stadtbaurats Heidenreich verschickt, in dem er wünschte, mittels dieser Satzung die Bahnhofstraße plus Nebenstraßen als Aushängeschild unserer Stadt zu bewahren. Bei einem Ortstermin im Juni 2021 wurde Schritte versprochen, die bis heute nicht angegangen wurden.“ A. O.
„Sieben oder acht Wochen vorher den Termin vereinbart. Es gab mehr als genügend freie Termine. Am Tag des Termins fast minutengenau dran gekommen und von einer höflichen Mitarbeiterin kompetent beraten. Der neue Führerschein kam ca. 14 Tage später per Post. Alles perfekt. Nur: Hätte ich nicht rechtzeitig den Termin gebucht, wäre es knapp geworden. Da muss man als Bürger vorausschauend arbeiten… M. L.
Weiterhin scharf geschaltet: Unsere kurze Online-Umfrage zu Ihren Erfahrungen mit der Gelsenkirchener Stadtverwaltung: community.isso-online.de/callouts/verwaltung