David Fischer ist der Kandidat der Grünen für das Oberbürgermeister-Amt der Stadt Gelsenkirchen. Er ist 45 Jahre alt, arbeitet Schulleiter in Oberhausen und ist seit vielen Jahren Stadtverordneter.
Michael Voregger im Gespräch mit David Fischer
Michael Voregger: Die Grünen haben bei der letzten Europawahl in Gelsenkirchen mit 15,6 Prozent sehr gut abgeschnitten. Was sind Ihre Erwartungen für die Wahl im September?
David Fischer: Wir wollen nicht zu euphorisch werden und es entscheiden die Menschen in Gelsenkirchen. Allerdings würden wir uns freuen, wenn wir im zweistelligen Bereich landen. Das wichtigste Ziel ist, dass wir die rechten Kräfte und Parteien geringhalten. Das die demokratischen Kräfte einen guten Gegenpart darstellen. Wichtig ist, die absolute Mehrheit der SPD zu beenden, denn das Durchregieren in den letzten zehn Jahren haben viele satt. Das gilt nicht nur für die Politik und die Opposition, sondern auch für die Gelsenkirchener Bürger. Es darf nicht so weitergehen, wie bisher.
Vor der Verabschiedung des letzten Haushalts gab es schon Absprachen der Grünen mit der SPD. Ist das die Fortsetzung der bekannten Hinterzimmerpolitik und schon so etwas wie ein Angebot zur Zusammenarbeit nach der Wahl?
Wir klären grundsätzlich nichts im Hinterzimmer. Die SPD hat bei allen demokratischen Kräften darum geworben, denn Haushalt gemeinsam zu verabschieden. Wenn in dem Haushalt eine klare grüne Handschrift zu erkennen ist, dann sind wir auf jeden Fall bereit zu verhandeln. Wir konnten einige Sachen durchsetzen und ein Beispiel von vielen ist die Förderung des Kulturstandortes Wohnzimmer in der Kaue. Wir haben das unabhängig vom Blick auf irgendeine Koalition entschieden und wir werden vor der Wahl keine Koalitionsaussage treffen. Es ist nur klar, dass wir mit den Rechten und der AfD nicht zusammenarbeiten. Wir sehen uns als natürlichen Feind der AfD und das werden wir ausbauen.
Gelsenkirchen hat zu wenig Arbeitsplätze und viele wirtschaftliche Problem. Aktuell gibt es in der Corona-Krise die Nachricht, dass Küppersbusch, Seppelfricke und die Katholischen Kliniken Emscher-Lippe Standorte schließen. Was kann die Politik tun?
Politik kann immer etwas tun – auch wenn es nur die Unterstützung der Mitarbeiter ist. Wir kritisieren, dass in Zeiten der Einschränkung der Versammlungsfreiheit die Unternehmen solche Entscheidungen bekannt geben. Die Arbeitnehmerrechte sind hier klar gefährdet.
Das sind schöne Worte, aber wirklich helfen können Sie nicht – oder?
Gelsenkirchen kann das sicher schlechter wegstecken als andere Städte. Wir sind das Schlusslicht bei der Arbeitslosigkeit und beim Einkommen der Haushalte. Wir haben die Produktionsmittel nicht in der Hand, aber wir können die Stadt als Verhandlungspartner ins Spiel bringen. Dazu müssten wir als Grüne mehr Verantwortung übernehmen.
Sie sehen sich nach eigenen Worten als den natürlichen Feind der Alternative für Deutschland. In Gelsenkirchen haben viele Menschen diese Partei gewählt. Wie erklären Sie sich das und wie wollen Sie diese Wähler von den Grünen überzeugen?
Viele Bürgerinnen und Bürger sind mit der Politik in dieser Stadt unzufrieden. Wir leiden erheblich unter Hitzeinseln und schlechter Luftqualität. Das gilt insbesondere in den ärmeren Stadtteilen in Gelsenkirchen. Im Bereich Bildung wurde in den letzten Jahren viel versäumt. Bei der Debatte über Schließung der Bäder haben wir Grüne uns stark eingebracht, um zu einer guten Lösung zu kommen. Die Daseinsfürsorge muss wahrgenommen werden. Die Bürgerinnen und Bürger fühlen sich bei ihren Fragen allein gelassen. Die AfD macht eigentlich nichts, stellt keine Anträge und wartet nur ab. Diese Partei liefert – dafür ist sie bekannt – auf komplexe Fragen nur einfache Antworten. Da müssen wir uns an die eigene Nase fassen und die Menschen überzeugen, dass wir die besseren und die richtigen Antworten haben.
Die Situation an den Schulen ist zum Teil katastrophal. Es gibt nicht genug Räume, nicht genug Lehrer und inzwischen fällt an einigen Tagen schon mal der komplette Unterricht aus. Gibt es dafür eine grüne Lösung?
Wir müssen in Gelsenkirchen für unsere Kinder die besten Schulen vorhalten. Der Sanierungsstau muss aufgelöst werden und die Situation ist prekär. Mein 9-jähriger Sohn besucht die vierte Klasse und hat inzwischen die fünfte Klassenlehrerin. Das steht stellvertretend für die Situation in der gesamten Stadt. Die Arbeit für die Lehrkräfte muss attraktiver werden. Dazu zählt die Ausstattung mit entsprechenden Gebäuden und da ist der Nachholbedarf erheblich. Das aktuelle Schulgutachten bestätigt eine langjährige grüne Forderung nach zwei weiteren Gesamtschulen. Außerdem müssen bis 2024 drei neue Grundschulen gebaut werden. Es reicht nicht, hier irgendwelche Funktionalbauten zu errichten, die uns nicht weiterhelfen. Die Atmosphäre ist wichtig und es müssen ausreichend Räume zum Beispiel für die wichtige Sprachförderung vorhanden sein. So können Lehrkräfte gewonnen werden, die gerne nach Gelsenkirchen kommen.
Der Standort für die nächste Gesamtschule steht mit dem „Schalker Verein“ bereits fest. Er liegt am Rande des Industriegebiets und war in der Vergangenheit umstritten. Teilen Sie die Kritik?
Das ist eine schlechte Idee, wenn dort 40 Tonner den ganzen Tag hin- und herfahren. Es gibt mit Sicherheit bessere Standorte in Gelsenkirchen. Was ist denn zum Beispiel mit dem Gelände, dass die SPD für das Schwimmbad geplant hatte in der Caubstraße in Schalke-Nord. Das wäre für die Stadtteile Schalke und Schalke-Nord eine gute Lösung, wenn dort so etwas wie eine Stadtteilschule entsteht. Hier leben viele Familien und Kinder in einer schlechten sozialen Situation. Die Anträge haben wir gestellt, aber sie wurden von der SPD immer abgelehnt. Ich gehe davon aus, dass wir nach der Wahl eine demokratische Mehrheit finden werden, die die Frage des Standortes Schalker Verein neu diskutiert. Wichtig ist dabei, dass die Eltern gefragt werden und Entscheidungen nicht an der Bevölkerung vorbei getroffen werden. Leider hat die durch die SPD geführte Verwaltung in den letzten Jahren in der Vergangenheit immer die Fragen gestellt zu den Antworten, die sie gerne haben wollte.
Bei der Kommunalwahl im September werden die 16-jährigen zur Wahl gehen. Die Jugend hat in der Vergangenheit die Stadt nach der Ausbildung gerne verlassen. Was muss Politik hier tun?
Wir müssen eine familienfreundliche und lebenswerte Stadt schaffen. Zum Beispiel müssen die öffentlichen Plätze aufgewertet werden und die Plätze, wo die Bevölkerung sich trifft. Das Bildungs- und Weiterbildungsangebot muss attraktiver werden. Die Gebäude müssen ertüchtigt und der Sanierungsstau abgebaut werden. So würden wir auch die Auszubildenden nicht an andere Städte verlieren. Das Leben in der Stadt muss klimafreundlicher werden. Die Stichworte sind Pocketparks, mehr Grün in der Stadt, Verhinderung von Hitzeinseln und die Errichtung von Trinkwasserbrunnen. Die Wirtschaftsförderung muss Zukunftstechnologie im Energiebereich fördern. Hier sind die Brennstoffzellentechnik und der Wasserstoff zu nennen. Da ist das Ruhrgebiet gut aufgestellt und wir haben mit der Westfälischen Hochschule einen kompetenten Partner.
Vielen Dank für das Gespräch