von Denise Klein
Wenn das nicht mal der Traum aller Kinder ist. Nein, ich meine nicht, mit einem Bett gemütlich durch die Lüfte zu fliegen. Schön mit Bettdecke, Teddy im Arm die Welt im Liegen entdecken. Ich meine hier vielmehr den Traum, in die Vergangenheit zu reisen. Natürlich, aus Filmen, Büchern, dem Unterricht oder Erzählungen der Eltern weißt Du sicher schon eine ganze Menge über die Vergangenheit. Aber sich selbst mal dort umzuschauen, das geht leider nicht. Na ja, vielleicht doch, zumindest ein bisschen. Im letzten Dezember hat die letzte Zeche in Deutschland geschlossen. Zechen, das wirst Du als Ruhrgebietskind vielleicht kennen, sind diese großen unterirdischen Anlagen, in denen die Menschen lange Jahre Steinkohle abgebaut haben. Diese wurde zum Beheizen der Häuser und für die Industrie gebraucht. Heute lohnt sich das nicht mehr. Aber vielleicht war ja noch Dein Großvater „untertage“. So nannte man die Arbeit tief unter unseren Füßen. Die Arbeit war sehr anstrengend und auch gefährlich. Und genau wegen dieser Gefahren – zum Beispiel konnten Steine herunterfallen, Feuer ausbrechen oder Gase explodieren – mussten sich die Arbeiter gut aufeinander verlassen. Die Kumpel, wie sich die Bergarbeiter selbst nannten, sahen sich als eine große Familie an, in der sich alle gegenseitig helfen und füreinander da sind. Das erstreckte sich auch auf die Freizeit. Und so prägte der Bergbau nicht nur die Landschaft des Ruhrgebiets mit grauen, rußigen Himmeln und riesigen Industrieanlagen, sondern auch das Lebensgefühl über viele Generationen hinweg. Man war Bergmann, und da hielt man zusammen. Und darauf war man sehr stolz.
Denn in dieser Zeit war Gelsenkirchen zu einer großen Stadt und dem größten Bergbauzentrum Europas geworden. Damals trug die Stadt den tollen Namen: Gelsenkirchen – Stadt der tausend Feuer. Denn nachts sah man über das gesamte Stadtgebiet verteilt die hellen Feuer der Koksöfen, die immer brannten. Aber das ist lange her. Und dieses Zusammengehörigkeitsgefühl der damaligen Bergmänner und ihrer Familien vermissen heute viele Menschen des Ruhrgebiets. Deshalb wird auch, ähnlich wie beim Fußball, ziemlich gerne darüber gesprochen und noch vielmehr verherrlicht. Manches mag berechtigt sein, manches sicher nicht, denn heute arbeiten die meisten Menschen sehr viel sicherer und auch weniger anstrengend. Aber irgendeine Faszination muss diese Welt dort unten auch heute noch haben. So, zurück zur Zeitreise. Die kannst Du hier in Gelsenkirchen nämlich tatsächlich machen. Zumindest fühlt es sich ein bisschen so an. Im Stadtteil Rotthausen gibt es die Bergbausammlung Rotthausen. Hier haben sich einige Menschen zusammengetan, um die Erinnerung an den Bergbau wach zu halten und das alte Wissen an jüngere Generationen weiterzugeben. Sie haben in einem ganz normalen Wohnhaus eine Welt entstehen lassen, die Dich in die Zeit vor rund 100 Jahren entführt. Ein Tag im Leben eines Bergmanns Stell Dir nun vor, Du wärst ein Bergmann, und wir schreiben vielleicht das Jahr 1919. Du sitzt in Deiner Küche. Die sieht ganz anders aus, als die Küche bei Dir zuhause. Keine einheitlichen Einbauschränke, kein Elektroherd, der große Kühlschrank mit Eiswürfelspender fehlt auch. Dafür ist es hübsch übersichtlich, ein toller wärmender Küchenofen, auf dem Wasser heiß gemacht, gekocht und gebacken wird, steht in der Ecke. Und direkt fühlt man sich auch anders. Du sitzt nun an dem einfachen Küchentisch und musst gleich zur Schicht, also zur Arbeit. Gleich im Raum nebenan betrittst Du die Markenkontrolle.
Damals haben so viele Männer in den Zechen gearbeitet, dass man schnell den Überblick verlieren konnte. Deshalb hatte jeder Bergmann eine eigene Marke, die anzeigte, ob er gerade in den Stollen eingefahren war und unten arbeitet. Im Markenkontrollraum steht auch der Stempelautomat, an dem Du eine Karte abstempeln musst. Diese zeigte den Vorgesetzten an, wann die Arbeit begonnen wurde. Zum Feierabend wurde wieder abgestempelt. Aber soweit bist Du noch nicht, denn ein langer Arbeitstag liegt vor Dir. Weiter geht’s in die Kaue. Hier hängen die Arbeitsklamotten an der Decke, seltsam. In der Kaue zogen sich die Bergmänner um, denn man wurde untertage furchtbar dreckig. Bevor es dann in den Stollen geht, brauchst Du aber noch Deine Grubenlampe, denn da unten ist es natürlich stockdunkel. Leider kannst Du nun nicht mit dem Förderkorb wirklich in die Tiefe, wie gesagt, die Bergbausammlung ist in einem normalen Wohnhaus mitten in einer normalen Wohnstraße angesiedelt. Aber Du kommst trotzdem an: in dem engen, mit Holz abgestützten Stollen, der nur durch ein bisschen funzeliges Licht erhellt wird und Dich vergessen lässt, wo Du eigentlich bist. Und das ist super, denn Du willst mit der Zeitreise ja weitermachen. Also keine hellen Deckenstrahler und blankgeputzte Büroflure, sondern hier vor hundert Jahren zu arbeiten, hieß, in Dreck, Hitze und Dunkelheit zu malochen. Das ist ein alter Begriff für schwere körperliche Arbeit. Hier unten, in der Enge, bekommst du ein gutes Gefühl für die Arbeitsbedingungen damaliger Bergmänner.
Und was machten die Kumpels, wenn sie mal mussten? Tja, da hatten die keine großen Hemmungen. In der Ecke des Stollens steht ein kleiner grauer Pott, der aussieht, wie eine Mülltonne. Das Klo. In einem Interview mit dem Radiosender REL erklärt Karl Heinz Rabas von der Bergbausammlung Rotthausen: „Wir haben einen sogenannten Scheißkübel hier stehen. Das ist eine Nottoilette, die in abgelegenen Stellen untertage aufgestellt wurde.“ Gemütlich war das sicher nicht. Aber spannend allemal. Deshalb: Mama und Papa geschnappt und ab nach Rotthausen. Grubenfahrt!
Öffnungszeiten:
dienstags, 14.00 bis 19.00 Uhr.
Sonstige Zeiten nach Vereinbarung
Tel.: (0209) 98 89 53 64
E-Mail: info@bergbausammlung-rotthausen.de
In der Regel verbringen Menschen hier bis zu 2,5 Stunden
Adresse:
Belforter Straße 20
Rotthausen
45884 Gelsenkirchen