von Denise Klein
Gleich, welchen euphemistischen Namen man dem Kinde gibt, sei es Industrie 4.0, #Vernetzte Stadt oder Safe/Smart City; schwungvoll und zukunftsorientiert kommen sie daher. Blieb das Thema „Digitalisierung“ in politischen Vorhaben eher das Stiefkind, so ist es aktuell ins Zentrum allen Handelns und Redens gerückt. Reden heißt hier prognostizieren, und das Handeln erschöpft sich im Versorgen mit Breitband oder Whiteboards für die Schulen. Doch gerade die Auswirkungen von Digitalisierung auf unsere künftige Arbeitswelt rücken immer mehr in den Fokus. Offenbar werden wir gerade Zeugen einer digitalen Revolution, die nicht nur Bekanntes verändert, sondern sich tief in das gesellschaftliche Selbstverständnis von Arbeits- und Fleißtugend frisst.
Eine Studie der Universität Oxford gelangte 2013 zu dem Ergebnis, dass 47 % aller Arbeitsplätze in den USA durch fortschreitende Digitalisierung in den nächsten zehn bis 20 Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit verschwinden werden. Übertragen auf die Berufssituation in Deutschland variieren die Zahlen, dass der sozialversicherungspflichtig Beschäftigte hierzulande durch Computer ersetzt werden könnte, von 42 bis 59%. Diese Ergebnisse werden von vielen weiteren Studien allerdings relativiert. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung hat die Methodik der Oxford-Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales auf Deutschland übertragen und dabei eine Automatisierungswahrscheinlichkeit für 42 % der untersuchten Berufe ausgemacht. Da man zu dem Ergebnis gekommen ist, dass nur bestimmte Tätigkeiten und nicht ganze Berufe automatisiert werden, reduziert sich die digitale Gefährdung auf 12 % der Berufe.
Einig sind sich alle Studien jedoch darin, dass keineswegs nur gewisse Branchen betroffen sein werden, nicht nur die geringqualifizierten Beschäftigen, etwa im Security-, Liefer- oder Reinigungssektor. Auch im produzierenden Gewerbe werden künftig Facharbeiterstellen wegfallen, und auch die Medien, die sich in den letzten zwei Jahrzehnten umwälzenden Veränderungen stellen mussten, sind noch nicht am Ende des Weges angekommen. Die Foresight-Studie „Digitale Welt“ kommt 2016 jedoch zu dem Schluss, dass gerade Gering- und Niedrigqualifizierte besonders gefährdet sind. Aber nicht nur die.
„Das Gefährdungspotenzial reicht bis zu mittleren Qualifikationsebenen, wie bei Facharbeitern und -angestellten, und in Teilen sogar bis hin zu höheren Qualifikationen, die etwa durch hohe Anforderungen an lexikalisches Wissens geprägt sind, das sich jedoch gut digitalisieren lässt“, so die Studie.
Auch der Finanzdienstleistungs- und Telekommunikationsbereich lässt sich gut algorithmisieren. In Gelsenkirchen finden viele Menschen Arbeit im eben diesem Dienstleistungssektor. Ob bei der Stölting-Group, die Jobs in Security, Personal- und Facility-Management anbietet, dem ProReServ Logistikzentrum oder Amevida im Callcenter-Bereich; das Potenzial von ersetzbaren Jobs ist hier nicht zu unterschätzen.
Der Institutsleiter des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag, Prof. Dr. Armin Grunwald, sieht in der Digitalisierung nicht nur Risiko, sondern auch Chance. Auch für Gelsenkirchen.
„Allerdings sind oft die Chancen für die einen, die Risiken für die anderen. Für den Arbeitsmarkt gilt, dass sicher weiterhin Arbeitsplätze verloren gehen werden, weil Roboter oder Algorithmen Menschen ersetzen können. Anders als in der Automatisierungswelle der 1980er Jahre werden nicht nur eher einfache Berufe betroffen sein, sondern auch Berufe bis in den Mittelstand hinein“, so Armin Grunwald.
Auf der anderen Seite werde es neue Arbeitsplätze geben, z.B. durch neue Geschäftsmodelle in der digitalen Welt. Wie eine Gesamtbilanz aussehen wird, das wüsste heute niemand.
„Klar ist aber, dass die Menschen, deren Arbeitsplätze verloren gehen, nicht unbedingt qualifiziert sind, die neuen Möglichkeiten zu nutzen.“
So sehr heute noch über Fachkräftemangel geredet wird, die Unternehmen gut ausgebildete Mitarbeiter suchen, so wenig muss man seine Phantasie bemühen, sich vorzustellen, dass sich Berufsfelder gravierend verändern werden. So relativierend die Ergebnisse der Studien sind, die von der Bundesregierung oder ihren Ministerien in Auftrag gegeben wurden, die allesamt auch nicht müde werden, die Regierung für ihre gute Aufstellung in Sachen Digitalisierung und Zukunftsfragen zu loben, so sehr erstaunt die neueste Studie, die die IT-Branche im Februar veröffentlichte. Bis 2022, also in den nächsten vier Jahren, könnten drei Millionen Jobs der Digitalisierung zum Opfer fallen, warnt der IT-Verband Bitkom. Das wäre jeder zehnte. Die Politik sei mitnichten konzeptionell darauf vorbereitet. Laut Bitkom, die 500 Unternehmen zum Thema befragte, gibt es in der Kommunikationstechnik derzeit noch 20.000 Arbeitsplätze, in den 90er Jahren waren es 200.000.
„Wir haben in nur fünfzehn Jahren 90 Prozent der Arbeitsplätze in diesem Bereich verloren – durch die Digitalisierung“, so Bitkom-Präsident Achim Berg in einem Interview der FAZ.
Dass sich diese Entwicklung schon jetzt auch bei Banken und Versicherungen abzeichnet, zeigen immer mehr geschlossene Filialen. Onlinebanking, digitale Formulare, Vergleichsportale ersetzen die Beratung durch den Menschen. Auch die sukzessive Umstellung von Verwaltungen auf E-Government, also mehr durch den Bürger selbst abwickelbare digitale Behördenleistungen, wird Jobs kosten. Und die Chemie- und Pharmabranche reiht sich ebenfalls in die bedrohten Berufe ein. Laut Einschätzung von Bitkom werden in den nächsten 20 Jahren die Hälfte aller Berufsbilder wegfallen.
Dass sich für diejenigen, die ihre Stelle noch haben, die Arbeit durch die Digitalisierung auch verdichtet hat, ist ein Teil der Geschichte. Ständige Erreichbarkeit für die Firma durch Messengerdienste auch im Urlaub ist für Führungskräfte, aber auch für Menschen in der Dienstleistungsbranche, Usus. Schließlich sollte man zum Einspringen jederzeit erreichbar sein und somit Teamgeist zeigen. Flexibilität ist das Schlagwort. Unterhöhlung von Privatsphäre und Erholungszeiten die ignorierten Begleiter.
Es klingt absurd, doch taktet sich der Mensch offensichtlich nach der Schnelligkeit der Maschine, statt ein Mehr an persönlicher Freiheit und Zeit dazuzugewinnen. Optimierung von Arbeitsprozessen macht nicht Halt vor dem eigentlich unterentwickelten Menschen. Und der Wunsch nach mehr Service und digitaler Verfügbarkeit von Leistungen im Privaten, erzeugt auf der anderen Seite die Befeuerung des Voranschreitens der „Entmenschlichung“ von Arbeit. Drohnen als Lieferboten, Einkaufen rund um die Uhr mit prompter Zustellung, selbstfahrende Autos; diese Aussichten sind keine Science-Fiction, sondern Modelle, die unsere Gesellschaft will. Einen großen Wachstumsmarkt verzeichnete 2017 die IT-Branche bei verkauften Apps, die sich steigender Beliebtheit erfreuen. Dahinter stecken Entwickler, also Programmierer, die spezialisiert sind und sich um ihren Jobzukunft wohl eher keine Gedanken machen müssen. Inwiefern sich Reinigungskräfte, Lagerhelfer und LKW-Fahrer zu IT-Spezialisten umschulen werden, bleibt der Phantasie der staunenden Masse überlassen.