Reitverein ETuS Gelsenkirchen 1996 steht vor der Verdrängung
von Denise Klein
Wer ihn nicht aktiv sucht, mag ihn kaum finden: den Reitverein RV ET uS Gelsenkirchen 1996 e.V. in Ückendorf, versteckt zwischen Netto, Frischemarkt und Dessauerstraße. Schon jetzt sind die Umstände für den 1977 gegründeten Verein nicht fürstlich, verbindet man mit dem Pferdesport doch eher weitläufige Weiden, dörfliche Stallungen, große Reitplätze und genug Raum zum Ausritt. Doch die Enge nimmt der Verein seit Jahren in Kauf. Vor allem, um fußläufig für die Kinder im Stadtteil erreichbar zu sein. „Wir bräuchten mehr Platz, natürlich“, meint Monika Patryas, ehrenamtliche Geschäftsführerin und zweite Vorsitzende des Vereins. Sie und ihre Vereinskolleg*innen wissen aber genau, weshalb sie dort sitzen, wo sie sind.
Es geht um die Menschen in Ückendorf, viele Kinder und Jugendliche, die weniger privilegiert sind, die normalerweise nie die Chance hätten, den Reitsport zu betreiben. Denn die Vereinsgebühren sind bewusst geringgehalten. Nun wird das benachbarte Grundstück frei, denn der Fußballclub ETuS Gelsenkirchen 1934 e.V. wechselt zum Dezember ins Südstadion, macht also den Platz frei. Statt des Ascheplatzes können die Kicker nun auf Kunstrasen spielen. Ein gutes Angebot, das man schlecht ausschlagen konnte, da eine Kooperation mit der im Südstadion ansässigen SG Eintracht 07/12 und der daraus erwachsenden Synergieeffekte dem an Nachwuchs mangelnden Verein neue Perspektiven schafft. 15.000 qm, die nun zusätzlich frei werden. Das wäre für den Reitverein die einmalige Gelegenheit, aus ihrer räumlich mehr als prekären Lage herauszukommen. „Wir hätten endliche eine richtige Weide für die Tiere und einen weiteren Reitplatz, der momentan bei uns kaum als solcher bezeichnet werden kann“, so Monika Patryas. Dass der Verein auf dem kleinen Gelände, eingepfercht zwischen Industrie- und Gewerbefläche überhaupt so effektiv arbeiten konnte, ist erstaunlich. Doch die Mitgliederzahlen, die ausgebuchten Kurse, die langen Wartelisten sprechen ihre eigene Sprache. Fußläufig, günstig, niederschwellig, pädagogisch und sportlich wertvoll: das sind die Gründe, weshalb der Reitverein nicht nur dortbleiben will, sondern sich vergrößern und das Angebot erweitern will. „Wo kann man als Kind sein unterentwickeltes Gleichgewicht besser trainieren als auf einem Pferderücken?“, meint Jugendwartin Julia Kruska.
Doch die einmalige Gelegenheit, statt der bisher genutzten 3.000 qm die gesamte Fläche von 18.000 qm zu nutzen, rückt in ungreifbare Ferne. Grund: das Gelände gehört dem Eisenbahnbahnvermögen (BEV). Und der Fußballclub entstand 1934 als Betriebssportgruppe, die auch heute noch als anerkannte Sozialeinrichtung der Bahn der besonderen Fürsorge des BEV untersteht. Das gilt für die Reitabteilung nicht mehr, die sich 1996 abkoppelte und als eigenständiger Verein neu konstituierte. Da die Fußballer nun das sichere Verhältnis von sich aus kündigen, trudelt der Reitverein einer äußerst unsicheren Zukunft entgegen. Sie hängt am Tropf des künftigen Besitzers, denn die BEV will das Grundstück meistbietend veräußern. Alle Versuche des Reitvereins, sich mit dem BEV zu einigen und ein Vorkaufsrecht zu sichern, scheiterten. Die Bahn will Geld, wer mehr bietet, bekommt den Zuschlag. Und mindestens einen Interessenten gibt es schon. Erhan Baz, Mr. Chicken- Inhaber und Besitzer des Frischemarktes, hat bei der Stadt Gelsenkirchen schon eine Bauvoranfrage gestellt. Er will auf dem Gelände der Fußballer eine Verpackungsanlage bauen. Nach vorne zur Dessauerstraße hin plant Baz eine Sporthalle. Auf unsere Nachfrage hin wollte Baz sich nicht genauer äußern, da mit allen Beteiligten ein vorläufiges Stillschweigen vereinbart worden ist. Er geht aber davon aus, dass es durchaus noch mehr Mitbewerber um das Grundstück geben wird und prognostiziert, vor Ende des Jahres würde es keine verlautbaren Ergebnisse geben.
Gegen eine weitere Gewerbebebauung sprachen sich viele Anwohner*innen aus, eine Onlinepetition und eine Sammlung brachte 2250 Stimmen zusammen. Doch wie sollte es weitergehen, bekäme Unternehmer Baz den Zuschlag? „Sollte Herr Baz das Grundstück kaufen, sind wir völlig von ihm abhängig. Nicht nur kann er uns unseren Pachtvertrag kündigen, sondern wir sind auch darauf angewiesen, dass wir über sein Grundstück über die Dessauerstraße unseren Pferdemist entsorgen. Das ist die einzige große Zufahrt zum Gelände. Auch unsere Wasserversorgung lief immer über das Fußballergrundstück“, so Monika Patryas. Gespräche mit Erhan Baz habe es gegeben, eine Zusage, diese Grundversorgung zu erhalten, hat er mündlich gegeben. Doch verschafft das dem kleinen Verein weder berechenbare Sicherheit, noch die Möglichkeit, sich zu erweitern und das Angebot für Kinder im Stadtteil gar zu verdoppeln. Im Gegenteil: Noch enger zugebaut wird das bisherige Gelände unattraktiver und für Pferde noch stressreicher. Schon jetzt ist die Lärmbelästigung durch den Wertstoffhof, der ebenfalls ans Reitergelände grenzt, enorm. Eine schier ausweglose Situation, denn der ETuS 1996 e.V. verfügt nicht über die finanziellen Mittel, beim Bieten um das Grundstück eine reelle Chance zu haben. Seit Monaten versuchen Patryas und ihre Mitstreiter*innen, sowohl Mitglieder als auch Anwohner*innen, neue Wege zu finden. Erstaunlich viel Unterstützung bekommen sie aus der Politik, und hier von allen Fraktionen parteiübergreifend.
Besonders setzen sich die Grünen ein. Mit dem sportpolitischen Sprecher David Fischer haben sie einen kenntnisreichen und streitbaren Unterstützer an ihrer Seite. Auch die Bezirksvertretung Gelsenkirchen- Süd fragte bei der Verwaltung an, ob die Stadt nicht das Grundstück kaufen könne, um „Herrin des Geschehens“ zu bleiben. Doch dazu bedarf es nicht nur politischen Willens, sondern auch eben einer nicht unerheblichen Summe an Geld. www.rv-etus-ge.de
Kommentar: Dass hier David gegen Goliath kämpft – man mag es fast so behaupten. Ehrenamt trifft auf wirtschaftliche Kraft, bürgerschaftliche Sympathie und Solidarität konkurrieren mit guten Geschäftsbeziehungen, soft skills gegen hard facts. Diese hilflose Situation finden viele kleine Vereine vor, die sich allein gegen solche Wendungen kaum zur Wehr setzen können. Nicht umsonst gibt es Sportbünde, im Falle Gelsenkirchens das Sonderkonstrukt Gelsensport, die sich als übergeordnete Verbände um die Belange, Sorgen und manchmal eben auch große zukunftsträchtige Probleme ihrer Mitglieder kümmern sollen. Doch die Agenda Gelsensports war eine andere: Schon vor zwei Jahren ging der Stadtsportbund auf den Fußballclub zu, um ihm den Umzug ins Südstadion vorzuschlagen. Laut deinem WAZ-Bericht von April 2021 zum geplanten Umzug erklärt ETuSGeschäftsführer Gerd Eschenröder: „Gelsensport ist im September 2019 auf uns zugekommen und hat gesagt, dass es einen Kaufinteressenten für unsere Anlage gibt. Sie haben uns daraufhin gefragt, ob wir uns vorstellen können, die Anlage zu wechseln.“ Anschließend gab es gemeinsame Gespräche mit Gelsensport. Und der Gelsenkirchener Wirtschaftsförderung. Somit hat Gelsensport einem Privatinvestor Schützenhilfe beim Erwerb eines Grundstücks gegeben, das bis dahin allen Gelsenkirchener*innen als Sportstätte zur Verfügung stand. Über die Beweggründe mag man mutmaßen, aber man ist sich nicht unbekannt. Dass man den Reitverein außen vorgelassen hat, ist nicht verwunderlich. Er war nicht durch die Sonderbehandlung als Eisenbahnerverein wie die Fußballer zu umgarnen. Nun hoffen alle Beteiligten, dass sich doch noch Möglichkeiten finden, den Verkauf an Mr. Chicken- Inhaber Baz abzuwenden. Ein Strohhalm.
Was besonders nachdenklich stimmt, ist der Umgang mit dem „kleinen“ Reitverein.
Reiten ist dort für relativ kleines Geld auch für Kinder aus finanziell nicht auf Rosen gebettete Eltern möglich. Damit erfüllt der Verein eine sehr wichtige soziale Komponente.
Aber da man weiß, dass er ohne Wasserversorgung etc. nicht lebensfähig ist und ihm als Mieter leicht gekündigt werden kann, ohne dass rechtlich Widerstand ausgeübt werden kann, ist der Verein nicht mal in die Planung mit einbezogen worden, hat man es nicht mal für nötig befunden, mit ihm Bestandsmöglichkeiten oder Alternativen auszuloten. Statt mit Pferden über Hindernisse lässt man die Mädels (soweit ich weiß, sind es vornehmlich weibliche Pferdefreundinnen) einfach über die Klinge springen.
Wirtschaft geht vor, der Stärkere gewinnt. So ist das heutzutage nun mal. Un die Stadt verliert wieder eine wichtige Freizeitmöglichkeit für Kinder.
#401GE – wir sind das Letzte.
Und wir wissen auch, warum!
Ich würde noch mehr die Werbetrommel rühren, dann kann man sich sicher sein, dass irgendeine Heuschrecke auf das Gelände aufmerksam wird und sich um keine nachbarschaftlichen Interessen kümmert. Sehr klug ist das nicht.
Man kann über die Vorgehensweise des Reitervereins doch nur den Kopf schütteln, der schon öffentlich über einen evtl. Käufer sprach, ohne das Gespräch mit diesem gesucht zu haben.
Ich würde jetzt noch RTL dazu schalten und alle Welt auf das Grundstück aufmerksam machen, dann ist der Reiterverein mit Sicherheit Geschichte, anstatt froh darüber zu sein, wenn ein ortsansässiger, gesellschaftlich anerkannter Unternehmer, der mit der Stadt eng zusammenarbeitet und dabei die Interessen des Reitervereins im Auge behält.