Dass Gelsenkirchen eine Stadt mit vielen baulichen Problemen ist, zeigt sich nicht nur am schlechten Zustand der Straßen. Viele Quartiere erinnern an die untergegangene DDR und haben einen erheblichen Erneuerungsbedarf. Schrottimmobilien, leerstehende Ladenlokale und fehlende Infrastruktur gehören hier zum Stadtbild. Seit 1995 wurden verschiedene Stadtteilprogramme aufgelegt, um die Situation vor allem in den besonders betroffenen Stadtteilen Bismarck, Schalke-Nord, Ückendorf und Neustadt zu verbessern. Seitdem sind viele Millionen Euro an Fördermittel nach Gelsenkirchen geflossen.
Nach dem Motto die „Krise als Chance sehen“ hat die Abteilung Stadtplanung ein „integriertes Handlungskonzept für die Stadterneuerung“ entwickelt, das auch bundesweit Beachtung fand. Dabei ging es nicht allein um Gebäude, sondern vor allem um die Menschen in der Stadt. „Neben möglichen städtebaulichen Fragestellungen, Aspekten der Verkehrsführung oder notwendigen Gebäudemodernisierungen sind zum Beispiel auch die lokale Ökonomie, Fragen der Gemeinwesenarbeit sowie der Bildungsinfrastruktur zu beleuchten“ heißt es im Förderprogramm Soziale Stadt. Ein wichtiger Bestandteil war hier die Beteiligung der Menschen bei Planung und Umsetzung der Projekte. Sie wurden zu den wirklichen Experten der Stadterneuerung. In den Programmgebieten wurden Stadtteilbüros eröffnet, und die verschiedenen Abteilungen der Stadtverwaltung wurden zur Zusammenarbeit verpflichtet.
Politik ist immer mit den handelnden Personen verbunden. In Gelsenkirchen waren das Stadtbaurat Michael von der Mühlen – inzwischen Staatssekretär in Düsseldorf – und sein Abteilungsleiter Stefan Rommelfanger, der jetzt Stadtbaurat in Witten ist. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Zusammenarbeit in der Stadtverwaltung zuletzt immer schwieriger wurde. Bei den gemeinsamen Besprechungen blieben die Plätze für die Vertreter der verschiedenen Abteilungen öfter mal leer. Nun sind die entscheidenden Akteure der Stadtplanung nicht mehr da, und neue Protagonisten übernehmen ihre Rolle. Beim Umbau der Künstlersiedlung Halfmannshof, der Nutzung des leerstehenden Arbeitsgerichts an der Bochumer Straße und der Vermarktung des Geländes der Kinderklinik hat die Gelsenkirchener gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft (ggw) die Fäden in der Hand. Die ggw hat die Rechtsform einer GmbH und ist eine 100-prozentige Tochter der Stadt Gelsenkirchen. Im letzten Jahr hat sie ihr Jahresergebnis auf rund eine Million Euro gesteigert.
Bis zum Jahr 2019 muss die Stadttochter ihre Erträge nicht an die Stadtkasse abführen. Geschäftsführer ist Harald Förster, der nach dem Beteiligungsbericht der Stadt Gelsenkirchen 2014 dafür Bezüge in Höhe von 198.707 Euro erhalten hat. Der Zweck der ggw besteht laut Gesellschaftervertrag darin, „zu einer sicheren und sozial bestimmten Wohnungsversorgung der breiten Schichten der Bevölkerung beizutragen“. Von dem Ziel aktiver Stadtplanung und kommunaler Wirtschaftsförderung ist dort nichts zu lesen. Ein Schwerpunkt der Aktivitäten der ggw liegt im Süden der Stadt in Ückendorf. Dr. Heinz-Peter Schmitz-Borchert ist hier Geschäftsführer des Wissenschaftsparks. Der WiPa gehört ebenfalls einer GmbH, und die Stadt hält 51 Prozent der Anteile. In den letzten Jahren hat es immer wieder Verluste gegeben, die von der Stadt übernommen wurden; für 2014 bewilligte der Finanzausschuss 200. 000 Euro als Ausgleichszahlung. Im Gespräch für die anstehende Nachfolge bei der Geschäftsführung des Wissenschaftsparks ist die ggw. Die soll auch ein Parkhaus gleich nebenan errichten, um den Bedarf an Parkplätzen für das geplante Veranstaltungszentrum in der Heilig Kreuz-Kirche zu bedienen. Das wird von Emschertainment betrieben – auch einer GmbH im Besitz der Stadtwerke, die wiederum mit der Stadt einen 100-prozentigen Anteilseigner haben.
Als Instrument der Umgestaltung Ückendorfs könnte die von Stadt, Sparkasse und ggw gegründete Stadterneuerungsgesellschaft (SEG) eine entscheidende Rolle spielen. Ebenfalls eine GmbH, und die Stadt ist im Besitz der Mehrheitsanteile. Bei „städtebaulicher Fehlentwicklungen“ und Schrottimmobilien wird die Gesellschaft Gebäude aufkaufen und abreißen. Die finanziellen Mittel dafür kommen aus der Vermarktung des Geländes der ehemaligen Kinderklinik in Westerholt. „Wir bereiten dort die Grundstücksübertragung für ein recht großes Areal mit bis zu 300 Wohneinheiten vor“, erklärt Janine Feldmann von der Koordinierungsstelle Stadterneuerung in der WAZ. Ganz ohne Konflikte geht es hier nicht voran, denn aus einer geplanten offenen Bebauung ist ein verdichtetes Projekt geworden. Aktuell haben 450 Bürger auf der Plattform „change.org“ eine Petition an den Bürgermeister unterschrieben, um die „Zerstörung des Buerschen Grüngürtels“ zu verhindern: „Diese Bebauung ist zu groß und widerspricht sinnvoller Stadtplanung. Es nimmt uns noch mehr von unserer Lebensqualität.“ Ursprünglich wurde die SEG ohne zusätzliche Personalkosten durch Stefan Rommelfanger und Harald Förster (ggw) geleitet. Seit August dieses Jahres ist dafür die neu eingestellte Geschäftsführerin Helga Sander zuständig. Die Vermarktung des Geländes der Kinderklinik bringt nach aktuellem Stand etwa acht Millionen Euro, die für die Sanierung der Bochumer Straße genutzt werden können. Experten für Stadtentwicklung gehen allerdings davon aus, dass die Summe nicht ausreicht und mindestens 40 Millionen Euro nötig sind.
Bürgerbeteiligung hat auf der Agenda der kommunalen Politik in Gelsenkirchen keinen so hohen Stellenwert mehr. Das zeigen die Diskussionen um den Bürgerhaushalt, die Gestaltung des Heinrich König-Platzes und die Durchsetzung der Sichtachse auf der Ebertstraße. Von Workshops mit Bürgerbeteiligung, die bei den bisherigen Programmen der Stadtteilerneuerung Standard waren, ist man weit entfernt. Das erstaunt nicht weiter, wenn an die Stelle von kommunaler Stadtplanung immer öfter Gesellschaften mit beschränkter Haftung treten.
Was passiert, wenn die Stadt vermehrt ihre Aufgaben in Gesellschaften ausgliedert? In diesem Artikel wird ein erster Eindruck vermittelt, was das für die stadtgesellschaftliche Entwicklung bedeutet. Der Verlust der Wahrnehmung von Bürgerinteressen.
Wenn vermehrt der Fokus auf eine Ausgliederung originärer Aufgaben von Rat und Verwaltung aus dem Rathaus heraus ins vermeintlich Private gelegt wird, kann man am Beispiel des „Trödelmarkts“ an der Arena sehen, wie am Ende ein Ratsbeschluss durch vertragliche Weiterreichung vollkommen ins praktische Nichts verwässert, und keine Bedeutung mehr hat.
Der juristische Grundsatz, dass sich die Kommune hinsichtlich ihrer Verantwortung für die Stadt und ihre Bürger nicht in das Privatrecht flüchten kann und darf, verliert mit dieser Beschreibung ihre Glaubwürdigkeit.
Die angesprochenen Ausgliederungen aus dem Rathaus knüpfen in zweiter Linie an eine Erzählung an, die nicht selten in einer (Kriminal-)ätiologie enden, und die letztlich von Experten in Büchern in ihrer Entstehungsgeschichte analysiert werden müssen, da es für sie zu wenige Universitäten und Professorenstellen gibt. Und für die es in der Gesellschaft – aus den unterschiedlichsten Gründen – leider immer noch zu wenig Interesse und Aufmerksamkeit gibt.
Die Tatsache, dass dieser Artikel – erneut – das Licht der Öffentlichkeit erblickt hat, macht allerdings Hoffnung, dass sich dieser mediale Zustand der Gesellschaft eines Tages zu einem Hellfeld hin geändert haben wird.