Das neue Gesicht des Messias

Julian Wangemann – Debüt bei der dritten Gelsenkirchener Passion

von Alexander Welp

Mehr als vier Jahre ist es mittlerweile her, dass die letzte Passion in Gelsenkirchen-Rotthausen das Publikum begeisterte. Die Produktionen aus den Jahren 2013 und 2015, damals noch unter der Leitung von Regisseur Elmar Rasch, waren eine einzige Erfolgsgeschichte: Die insgesamt 30 Vorstellungen lockten Theaterinteressierte und Pilger, teils überregional angereist, in Scharen an.
Nachdem Rasch nach längerer Krankheit im Frühjahr 2016 verstarb, galt es lange Zeit als unwahrscheinlich, dass es noch einmal zu einer Neuauflage kommen würde. Doch im vergangenen Jahr entschloss sich der Schauspieler und Regisseur Ulrich Penquitt, mit dem Trias Theater seit geraumer Zeit eine feste Größe in der freien Theaterszene, den Leidensweg Jesu für 2020 neu zu inszenieren.
Die Proben mit den 35 Darstellern sind bereits in vollem Gange, und auch der neue Hauptakteur der Truppe bereitet sich akribisch auf seinen Part vor. Der 26-jährige Julian Wangemann wird im neuen Jahr die Rolle des Jesus Christus verkörpern und zum ersten Mal als Charakterdarsteller auf der Bühne stehen. In einem aufschlussreichen Gespräch beschreibt der zugezogene Gelsenkirchener den Umgang mit dem anspruchsvollen Text, seine Ansichten zur Religion und warum auch die dritte Passion in Rotthausen ein großer Erfolg werden könnte.

Herr Wangemann, erst einmal „Gratulation“! Sie dürfen im nächsten Jahr Jesus Christus darstellen – zweifelsohne keine leichte Rolle. Haben Sie bereits Bühnen-Erfahrungen sammeln können?

Julian Wangemann: Ja, in der Tat. Im letzten Jahr bin ich durch einen Zeitungsartikel im Musiktheater gelandet. Für die Produktion „Der Liebestrank“ wurden junge Männer gesucht, die sich gerne bewegen und Freude an Choreografien haben. Da ich schon immer gerne getanzt habe, ich war früher auch jahrelang in einer Tanzschule, ging ich einfach zum Casting und wurde auch sofort genommen. Seitdem bin ich festes Mitglied im Ensemble der Statisterie im Musiktheater und habe bisher in acht Produktionen mitgespielt.

Der Einstieg direkt auf der ganz großen Bühne – toll! Vor dem allerersten Auftritt war das Lampenfieber doch bestimmt groß?

Bei der eigentlichen Premiere hatte ich an sich kein Lampenfieber. Während der Generalprobe war ich schon ein wenig nervös, aber beim Auftritt war das dann wie verflogen. Man muss dazu aber auch sagen, dass es sich in der Statisterie, also wenn man meistens in einer Gruppe auftritt, auch etwas verläuft. Auf jeden Fall ist es immer wieder ein tolles Erlebnis im MiR, weil ich die Musik auch gerne in meiner Freizeit höre und es mit der Truppe einfach Spaß macht.

Bei den Passionsspielen werden Sie dann das erste Mal auch Text haben und müssen mit der Stimme arbeiten. Was verändert sich jetzt für Sie?

Es bricht auf jeden Fall die Konzentration auf. Ich muss mich auf viele neue technische Aspekte einstellen, die ich vorher natürlich noch nicht gewohnt war. Betonungen und Nuancen setzen, lauter und leiser sprechen und allgemein mit der Stimme „spielen“. Wenn ich am Musiktheater spiele, ist es ja „nur“ körperlich – da kann ich meinen Gedanken auch freien Lauf lassen. Bei der Passion musste ich mich ja jetzt auch erst mal darauf einstellen, Text zu lernen – und ich habe da nicht gerade wenig (lacht). Es ist aber eine spannende Erfahrung, die mir jetzt schon viel Spaß macht.

Was war das denn für ein Gefühl, als Sie die Zusage für die Rolle bekamen?

Ich war ja ganz spontan beim Casting, ähnlich wie damals im Musiktheater. Obwohl ich mich jetzt nicht explizit für diese Rolle beworben hatte, habe ich den Part beim Casting übernommen und durfte die Szene der Tempelreinigung als Jesus spielen. Danach wurde mir dann auch signalisiert, dass ich dabei bin. Aber dass ich die Hauptrolle bekomme, erfuhr ich erst beim gemeinsamen Auftakt, wo wir zum ersten Mal das ganze Stück lasen. Mein erster Gedanke war: „Mensch, das wird dann jetzt doch ziemlich intensiv!“

Wie bereiten Sie sich denn auf die Rolle vor? Wie lernen Sie den Text?

Ich muss vorab sagen, dass ich seit meiner frühen Kindheit schon immer viele Hörbücher gehört habe und konnte die Kernpassagen, nach mehrmaligem Hören, schon relativ schnell mitsprechen. Ich bin da wohl ein audiophiler Lerner. Das mache ich mir jetzt beim Einprägen des Textes zunutze: Als ersten Impuls habe ich mir den ganzen Text mit einem Mikrofon selbst eingesprochen. Dabei habe ich auch einen ersten Eindruck bekommen, wo die Schwerpunkte innerhalb der einzelnen Szenen liegen könnten. Dieses „Hörbuch“ lasse ich jetzt beim Autofahren immer mitlaufen und versuche alles mitzusprechen. Mit der Methode kann ich den Text eigentlich ziemlich gut behalten.

Das Stück wird ja, wie bei den letzten beiden Passionsspielen, in einer Kirche aufgeführt. Löst diese Atmosphäre etwas in Ihnen aus?

Ich kenne die Kirche in Rotthausen bereits. Ich wohne ja nicht weit entfernt, und zu Weihnachten bin ich dann auch mal dort. Generell, in einer Kirche zu sein, wo kein Gottesdienst stattfindet, fühlt sich für mich immer ein wenig nach Urlaub an. Wenn man irgendwo Städtetouren macht, dann besichtigt man ja auch öfter mal die dortigen Kirchen. Wenn ich jetzt in Rotthausen zur Probe gehe, habe ich deshalb im ersten Moment immer so ein Urlaubsgefühl in mir. Zwischendurch erinnert es mich dann auch immer an die Zeit, in der ich Orgelunterricht bekam. Ich komme ja ursprünglich aus Dinslaken und hatte für die Dorfkirche dann auch einen Schlüssel, damit ich an der Orgel üben konnte.

Welchen Bezug haben Sie eigentlich zur Religion?

Ich bin evangelisch erzogen worden und in einem Haushalt aufgewachsen, den ich als überdurchschnittlich gläubig einschätzen würde. Wenn es um die Geschichten um Jesus geht – die hatte ich alle schon als Kind sehr früh drauf. Auch während meiner Konfirmandenzeit war ich sehr viel in der Kirche. Nach der Konfirmation habe ich den Kindergottesdienst auch selber noch für zwei Jahre geleitet. Und da gab es dann irgendwann den Punkt, wo ich die Wundertaten von Jesus nicht mehr einfach so als bare Münze hinnahm, wie ich es noch als Kind gelernt hatte. Logisch gesehen kann das ja nicht alles genau so passiert sein. Beim reinen Glauben bin ich da schon ins Grübeln gekommen. Spannender ist jedoch, welcher tiefere Sinn dahinter steckt. Die Aussagen „liebe deinen Nächsten“ oder „tue nichts Böses“ sind ja Werte, die gerade in unserer heutigen Gesellschaft wichtig sind – auch was politische Dinge angeht. Mit der Neuauflage der Passion werden ja auch aktuellere Themen behandelt, wie zum Beispiel die Flüchtlingskrise. Ich finde es schon ziemlich wichtig, solche Sachen aufzugreifen und zu verarbeiten.

Die ersten Proben fanden ja bereits statt. Wie ist der aktuelle Stand der Produktion?

Wir sind jetzt gerade dabei, einmal durch das ganze Stück zu gehen und jede Szene zu bearbeiten. Da müssen Positionen festgelegt und grundsätzliche Haltungen gefunden werden. Es ist schon eine ziemlich intensive Arbeit, aber es läuft bis jetzt echt gut, alle Teilnehmer sind engagiert und heiß auf die Bühne! (lacht)

Zum Abschluss: Was erwartet die Zuschauer im nächsten Jahr, und warum werden die dritten Passionsspiele in Gelsenkirchen erneut sehenswert?

Es ist das bisher größte Ensemble in der Geschichte der Gelsenkirchener Passion – allein das wird schon beeindruckend für das Publikum. Es sind alles Darsteller, die das in ihrer Freizeit machen und richtig Spaß daran haben, diese aufwendige Geschichte auf die Beine zu stellen, gepaart mit einer Botschaft, die in unserer Gesellschaft eine große Rolle spielen sollte!

www.triastheater.de

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