In der guten Stube – Auf Zeitreise in der Bäckerei König

von Astrid Becker

Fast wäre dieser Ort für die isso. unentdeckt geblieben, wäre unser Layouter nicht eines Wintertags zufällig an der Achternbergstraße aus dem Bus gestiegen. So aber fiel der Blick auf das ganz schmuck just an einer Haltestelle liegende Haus mit Markise, das von dort aus schon mehr als ein Jahrhundert überblickt, nicht weit entfernt vom mehr als einem halben Jahrtausend alten Torhaus Achternberg.
Das Gründerzeithaus der Bäckerei Heinrich König, die es nach dem Umzug aus der Steeler Straße 1904 bezog und deren Backstubenfenster noch aus der Hufschmiede der Firma Friedberg stammen, die diese extra für den Großvater von Bäckermeister Heiner König erstellte, zieht Blicke auf sich – im Sommer mutet es mit seiner Markise geradezu französisch inspiriert an, im Herbst leuchtet das Weinlaub, und ein Schild kündigt die Marmeladenmanufaktur König an, die hier ebenso in Persona des Bäckermeisters beheimatet ist und fast täglich neue Kreationen an die begeisterte Kundschaft weitergibt.

Traditionelles Bäckerhandwerk wie in alten Zeiten. Die Brotschneidemaschine (oben) hat Jahrzehnte auf dem Buckel. Den alten Ofen seiner Vorgänger jedoch, der zuletzt nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben war, hat
Heiner König vor einigen Jahren schweren Herzens durch einen neuen, modernen ersetzt.

Längst vergangene Zeiten meint man schon bei den ersten Schritten in die Bäckerei hinein zu erleben: Ein paar Stufen hoch, die Klinke gedrückt, ertönt ein klassischer Glockenklang, und man ist in einem Raum voller Köstlichkeiten. Reihenweise stehen auf der Vitrine die Kekse aus Dinkel, mit Mandel oder Krokant, aus Buchweizen oder ganz klassisch und pur Spalier, unterhalb halten die Marmeladengläser die Stellung, und auf den Holzregalen trifft man noch auf das donnerstags zu erwerbende Kommissbrot.
Den Alten Fritz hätte es sicher erstaunt, dass sein Konterfei einer Bäckerei auch noch im 21. Jahrhundert dienlich ist, aber gewundert hätte es ihn vielleicht weniger, hätte er von den Tugenden erfahren, die hier noch anzutreffen sind: Täglich geöffnet von 5:30 bis 18 Uhr, mit einer Mittagspause von 13 bis 15 Uhr, stehen Bäckerei und Gaststube auch am Wochenende bis 13 Uhr der Kundschaft offen. Täglich erschafft und verkauft Heiner König mit seinem Angestellten und mit der Hilfe weiterer Mitarbeiter*innen sowie seiner Schwester Backwaren, die so schmecken, als seien sie Urgroßmutters bestem Rezept entnommen, was angesichts der nun in dritter Generation bestehenden Bäckertradition dieser aus dem Bergischen Land stammenden Familie, die Ende des 19. Jahrhunderts nach Gelsenkirchen einwanderte, nicht ganz unwahrscheinlich ist. War ein Vorfahr noch auf der Zeche Joachim in Essen-Kray beschäftigt, ist Heiner König Bäcker mit Leib und Seele – „Man muss es wollen, und man muss es leben“, sagt der 68-Jährige nur dazu.


Auch im Zweiten Weltkrieg sei die Backstube ohne Unterbrechung in Betrieb gewesen, man habe beim Bombenalarm das Pferd in die Backstube geholt und sei danach einfach wieder an die Arbeit gegangen. Für die Bevölkerung deutlich härter sei jedoch die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg gewesen, als Hunger und Krankheiten um sich griffen – zu helfen haben Königs sich jedoch immer gewusst und etwa Äpfel und Birnen aus dem eigenen Garten für das Gelingen der heimischen Erzeugnisse hinzugefügt.

Die Backstube steht aber nicht nur dem Meister und seinen Gehilfen offen, auch Kinder können hier unter fachkundiger Anleitung ihre Finger in Mehl und Teig tauchen, Anfragen hierzu nimmt die Bäckerei gerne wieder ab 2020 entgegen. Denn momentan stehen die Zeichen auf Weihnachten, muss Spritzgebäck und Stollen gebacken, aber auch eingetütet und dekoriert werden – alles in Eigenregie. Und nicht nur Brot und Brötchen, Kuchen und Kekse gibt es hier aus eigener Herstellung: Auch Zwieback und Knäckebrot, Spinatquiche, und sogar das einem langwierigen Backprozess unterliegende Pumpernickel kann man hier erwerben. Damit diese Köstlichkeiten nicht nur vor Ort und Zuhause genossen werden können, beliefert die Bäckerei auch diverse Einrichtungen in Gelsenkirchen.
Sollte einem also angesichts dieses kulinarischen Himmels auf Erden das Wasser im Munde zusammenlaufen, muss man mit seinen Käufen nicht erst nach Hause eilen, und nicht nur ein Stehtisch bietet sich an – gleich neben dem Verkaufsraum öffnet sich der Durchgang zum ebenso nostalgisch anmutenden Café, das mit seinem Mobiliar aus scheinbar längst vergangenen Zeiten zu seinen Besuchern*innen spricht. Die um die Jahrhundertwende nach Amerika ausgewanderten jüdischen Vorbesitzer des Hauses verkauften ihren kostbaren Schrank, um die Schiffspassage zu bezahlen, dieser und diverse Chronometer lassen trotz des Tickens der Uhren die Zeit stillstehen.
Zeit, die man für ein Pläuschchen mit dem Bäckermeister nutzen könnte, über seine Jugendarbeit, sein Hilfsprojekt in Afrika oder seine vielen angenommenen „Kinder“ ausländischer Herkunft, die er teils ausbildete und deren Lebensweg wohl ohne ihn ganz anders verlaufen wäre. Zu erzählen hätte er viel, verabschiedet sich allerdings bereits zu einer für unsereins ungewohnt frühen Nachmittagsstunde und geht zu Bett. Der nächste Tag wartet, und mit ihm Brot und Brötchen, die natürlich des nachts gebacken werden wollen.

Bäckerei & Marmeladenmanufaktur Heinrich König
Achternbergstraße 42, 45884 GE-Rotthausen
täglich 5:30 bis 18 Uhr, 13-15 Uhr Mittagspause
Tel 0209 134413

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