Akın und Edis Şipal stellen im Kulturraum „die flora“ ihr Filmprojekt „Die Festung“ vor
von Jesse Krauß
Von seinem Vater, bis zu seinem Krebstod ein verschrobener, einzelgängerischer Literaturwissenschaftler an der RUB, hat Erik eine Wohnung in Gelsenkirchen geerbt. Sie ist fast leer, abgesehen von unzähligen Büchern. So steht der hochintelligente Studienabbrecher plötzlich mitten zwischen den Völkern auf der Gelsenkirchener Bahnhofstraße und fühlt sich reichlich verloren und desorientiert. Ziellos wandert er herum, sowohl in der Stadt als auch in der leeren Wohnung – bis er Karla, eine arbeitslose Sozialpädagogin, und Nicoletta, eine rumänische Feldenkrais-Therapeutin kennenlernt. Er lädt beide ein, mit ihm zusammenzuziehen. Ohne Hintergedanken, denn er ist asexuell.
Aus der wunderlichen WG, die von Anfang an ausgezeichnet funktioniert, wird schnell eine Freundschaft. Man findet sich im intellektuellen Austausch, diskutiert nächtelang und schottet sich dabei mehr und mehr von der Außenwelt ab. Die Handys werden ausgeschaltet, Lebensmittel an die Tür bestellt. Die Wohnung in Gelsenkirchen wird zur Festung, in der die drei erst familiär zusammenleben, dann wie eine Art „Rudel“, schließlich fast wie eine Sekte. In der kammerspielartigen Auseinandersetzung innerhalb der Wohnung, aber auch unter Einfluss von außen durch den Lebenskünstler Robbie oder den Philosophen Benjamin, verfahren sie sich in verschiedenen Denkmodellen und geraten mehr und mehr aneinander. Ihre Charaktere entwickeln sich in unerwartete, teils dramatische Richtungen, werden nachgerade zu unscharfen Prototypen einer Zeit, die in immer schnellerem Tempo um Themen wie die Flüchtlingsfrage, Kapitalismuskritik, Intermedialität und die Neue Rechte kreist, sich vor allem aber durch eines auszeichnet: Überforderung und Desorientierung.
Tiefe Charakterstudien, philosophische Schlagabtausche, die Auseinandersetzung mit Ernst Jünger und Theodor Adorno – es ist nicht gerade wenig, was die beiden in Essen geborenen, aber in Gelsenkirchen aufgewachsenen Brüder Akın und Edis Şipal hier in Form eines circa 80-minütigen Spielfilms mit dem Titel „Die Festung“ entwickeln wollen. „Es wird sicherlich kein Blockbuster“ bringt Wiltrud Apfeld es auf den Punkt, als die beiden ihr Projekt im Kulturraum „die flora“ der (leider nur spärlich erschienenen) Öffentlichkeit vorstellen. Doch an einfachen Stoffen hätten sie generell kein Interesse, sagen die Brüder, davon geben es ja ohnehin mehr als genug. Wer wollte da widersprechen?
Beide können bereits einiges an Projekten und Erfahrungen vorweisen. Akın Şipal studiert Film an der Hochschule für bildende Künste Hamburg und hat mit „Baba Evi“ 2016 seinen Bachelor-Film vorgelegt. Außerdem ist er als (bereits mehrfach ausgezeichneter) Theaterautor tätig, war an einer Reihe von Kurz- und Langfilmprojekten beteiligt und hat seine Arbeit erfolgreich auf internationalen Filmfestivals präsentiert. Sein Bruder Edis, der inzwischen ebenfalls in Hamburg Film studiert, zeigt im Rahmen des Abends auf der Leinwand der „flora“ seinen Kurzfilm „Marina“, gedreht in der Hauptsache auf der Bochumer Straße in Ückendorf, schwarz-weiß, auf 16 mm.
Dieses besondere Format wollen die Brüder unbedingt auch für ihr anspruchsvolles neues Projekt „Die Festung“ wählen. Das Drehbuch steht weitestgehend, Location-Scouts sind unterwegs, und auch die Darsteller (u.a. der Gelsenkirchener Schauspieler Markus Kiefer) sind gefunden. Allein die finanzielle Frage ist noch nicht geklärt – aktuell bemühen die Brüder sich um Förderung, nicht leicht für Studenten, denen die vermögende und geachtete Filmförderung NRW generell nicht offen steht. Die angezielten 20.000 Euro seien für ein Spielfilmprojekt wahrlich keine große Summe, sagt Akın Şipal, schon allein, wenn man bedenke, was das Filmmaterial, seine Entwicklung sowie die digitale Abtastung kosten werden. Doch auf die besondere Optik des 16 mm-Formats wollen beide keinesfalls verzichten. Dessen im Vergleich zu 35 mm buchstäblich eingeschränkter Bildraum sei genau das Richtige für das räumlich enge Setting dreier Personen in einer Wohnung, ihrer „Festung“, und Gelsenkirchen als Brennpunkt so vieler zeitaktueller Probleme in gleicher Weise genau der richtige Spielort.
Fazit: Ein gleichermaßen ambitioniertes wie vielversprechendes Projekt junger Filmschaffender aus unserer Stadt, dessen Fortgang man auf jeden Fall verfolgen sollte. Blockbuster laufen in Kino und TV rauf und runter, die künstlerisch anspruchsvolle Vertiefung in Zeitfragen jedoch hat leider Seltenheitswert. Und dass „Die Festung“, wenn sie einmal zur Uraufführung kommt, das Label „Made in Gelsenkirchen“ tragen wird, macht dieses Projekt nur umso spannender.
Über Akın Şipal :
http://www.suhrkamp.de/autoren/akin_emanuel_sipal_14964.html
Produktionsfirma „Against Reality Pictures“
http://againstrealitypictures.com