Mädchen-AG lernt Freizeit neu
Es ist ein quirliger Haufen junger Mädchen an diesem Morgen in den Räumen des Mädchenzentrums in Schalke. Der Verein, der seit 1988 Mädchen einen Schutz- und Entfaltungsraum bietet, ist an diesem Tag Gastgeber für die sechs Jugendlichen der Albert-Schweitzer-Förderschule. Auf dem Plan steht heute Vielversprechendes: Schauspiel. Und zwar aktiv! Selbst Szenen spielen, improvisieren, spontan reagieren, das soll heute ausprobiert werden.
Seit dem Sommer kooperieren Schule und Verein nach einem Programm der Bundesregierung, nach Corona wieder ins normale Leben zu finden, zumindest was die Freizeit anbelangt. „In erster Linie waren wir während des schönen Wetters im Internationalen Mädchengarten in Schalke und haben dort verschiedene Freizeitangebote gemacht. Basteln, Filme drehen oder pflanzen“, erzählt Rosanna Frütsche, Mitarbeiterin des Internationalen Mädchengartens GE, der die AG für die Schülerinnen initiiert. Für das heutige Programm hat sich das Kooperationskollektiv einen Gast eingeladen.
Theaterpädagogin Barbara Grubenbecher ist vor Ort und bereitet mit den Mädchen den für die kommende Woche angedachten Besuch im Consol Theater vor. Für die Schülerinnen kein Problem, denn die Truppe ist vertraut miteinander, und die gruppenbildenden Aufwärmübungen werden mit Spaß und viel Gelächter umgesetzt.
Die Mädchen sind um die 17 Jahre, und das Projekt ist Teil der Berufspraxisstufe der Albert-Schweitzer-Förderschule, das die in verschiedenen Formen beeinträchtigten Schülerinnen und Schüler auf ein Leben nach der Schule vorbereiten soll.
„Wir versuchen, die Jugendlichen bei ihrer Entwicklung hin zu mehr Selbständigkeit und Eigenverantwortung zu unterstützen. Das können Dinge sein wie die sichere Orientierung in der Stadt. Wie lese ich den Busfahrplan richtig? Wie plane ich, pünktlich an meinem Ziel anzukommen? Wie traue ich mich, Fremde anzusprechen und nach dem Weg zu fragen? Was für uns ab einem gewissen Alter selbstverständlich ist, müssen wir mit den Jugendlichen intensiver trainieren“, erzählt Lehrerin und Sonderpädagogin Silke Klinkhammer, die das ganze Projekt begleitet und durch die Referendarin Sabrina Heuer unterstützt wird. Für sie ist die „AG Mädchengarten“ eine „großartige Möglichkeit“, außerhalb des regulären Curriculums und zusätzlich zur Berufspraxisstufe für die Mädchen Erlebnisse und Erfahrungen zu schaffen, die ihnen im Alltag nicht zuteil würden. Es geht vor allem um ein Erleben außerhalb der digitalen Welt, die aus dem Alltag junger Menschen kaum noch wegzudenken ist. „Das wirkliche Tun ist es, was jeden weiterbringt. Wir haben im Sommer gegärtnert, waren klettern, jetzt gehen wir ins Theater. All das ist für unsere Schüler Freizeit- und dadurch Lebenstraining“, so
Silke Klinkhammer.
Spielerisch
vorbereiten
auf das Leben
„Hey Du!“ – „Wer ich?“ – „Ja, Du.“ – Wenige Worte, die aber alles bedeuten können. Je nachdem, wie man fragt. „Versucht einmal eine kurze Unterhaltung mit diesen Worten, allerdings in ganz verschiedenen Stimmungen“, fordert Barbara Grubenbecher die Mädchen auf. Schüchtern, aggressiv, traurig, belustigt. Diese Anfangseinheit bricht das Eis, und am Ende vieler Spiele und Übungen trauen sich die Mädchen, sich gegenseitig eigene ausgedachte Szenen vorzuspielen. In der Pubertät oft eine große Hürde. Doch in der geschützten und vertrauten Atmosphäre wachsen einige Teilnehmerinnen über sich hinaus und zeigen durchaus schauspielerisches Potenzial.
Der Workshop ist vorbereitender Teil des Besuchs der Theatervorstellung „Löwenherzen“ im Consol Theater, einem Stück aus der Feder der Autorin Nino Haratischwili. In der Inszenierung geht es um Kinder, die kompetent für ihre Wünsche eintreten und entschlossen handeln. Ein Weg, den auch die Mädchen der Förderschule vor sich haben, wenn sie die Schule verlassen. „Das ist tägliches Training, aber es lohnt sich“, weiß die Lehrerin aus ihrer langjährigen Erfahrung zu berichten.
Und was wird als nächstes geübt? Wo geht´s hin? „Wir gehen Zumba tanzen“, lacht Silke Klinkhammer und betont: „Auch das will gelernt sein.“