Eine Koch-Erfahrung von Tobias Hauswurz
Unsere Kulinarik-Redaktion hat Rührei mit Hirn gekocht. Eigentlich nur mit einem Ziel: Möglichst viele Hirn-Anspielungen in einem Text unterzubringen. Also, jetzt stehe ich hier über die Spüle gebeugt und zupfe mühsam die blutige Haut von einem matschigen Hirn. Wenn sich das nicht lohnt, dann setzt es was!
Auch mal was mit Innereien machen. Das hatte ich mir schon länger vorgenommen. Aus Neugier, aber auch aus Überzeugung. Weg von der Filetfresserei. Als jemand, der nie wirklich mit Innereien in Berührung gekommen ist. Zu Hause in der Kindheit gab es nie welche, und auf Speisekarten oder in der Fleischereiauslage ist Leber schon das höchste Gefühle. Und die wusste mich noch nie zu überzeugen.
Überhaupt Leber, wie amateurhaft. Leber kann jeder. Wenn schon anfangen, dann auch richtig. Aber was zuerst? Hirn oder Herz? Erstmal Hirn, entscheide ich. Persönliche Vorliebe.
Also ran an die Rezeptrecherche.
Im „Gelsenkirchener Kochbuch“ von Bertha Schneider, das irgendwann vor dem ersten Weltkrieg erschienen sein dürfte, wird „Hirn mit Guß“ empfohlen, wobei das Kalbshirn eine Viertelstunde gekocht und mit einer einfachen Mehlschwitze mit Kalbsfond serviert wird:
„Man kann diesen Guß mit Zitronensaft schärfen oder 1-2 zerdrückte Sardellen darin durchkochen lassen.“
Klingt okay, wenn auch nicht allzu appetitanregend. Aber damals kannten sich die Menschen doch noch viel besser mit Innereien aus als heute, oder? Andererseits widmet das Buch auch ein ganzes Kapitel den „Pflichten der Hausfrau am Tische“ und kommt dabei zu dem Schluss:
„Heiterkeit, Zufriedenheit und stete Aufmerksamkeit auf sich selbst und die Anderen sei denn der segensreiche Wahlspruch aller Hausfrauen!“
Und galten damals nicht auch noch Pickelhauben als chic? Vielleicht doch nicht die beste Beratung in Sachen Hirn.
Dann doch lieber auf aktuellere Quellen zurückgreifen. Zum Beispiel auf das „Generationenkochbuch“ der Familie Schellhorn. Karola, Sepp und Felix Schellhorn kochen gemeinsam im Hotel Seehof in Goldegg im Salzburger Land und sind unter anderem für ihre Innereiengerichte bekannt.
Das „Hirn mit Ei“, das hier empfohlen wird, ist außerdem nicht nur eine Österreichische Spezialität sondern auch eines der Signature-Gerichte von Sepp Schellhorn, dem aktuellen Seehof-Inhaber, Fernsehkoch und Ex-Nationalrats-Abgeordneten für die NEOS (sowas wie die FDP, nur mit leicht größerer linker Hirnhälfte).
Das klingt vielversprechender. Rührei mit Hirn ist ja wohl machbar. Die Einkaufsliste ist auch überschaubar:
300 Gramm Kalbshirn, vier Stangen Spargel, ein paar Eier, Schalotten und etwas Schnittlauch.
Anruf beim Metzger des Vertrauens.
Tja, Hirn sei immer schwierig. (Hihi, wissendes Nicken.) Man melde sich. Einige Minuten später: Der Schlachter habe schon Feierabend, Rückruf erst morgen früh. Am nächsten Morgen funktioniert es mit der Bestellung dann. Es brauche aber anderthalb Wochen Vorlauf. Nun gut, irgendwie ja auch mal schön, diese Nichtverfügbarkeit. Ja, ich entsage dir, Teufel Tönnies! Fleisch vom Fließband, nicht mehr mit mir!
Mit immer noch stolzgeschwellter Brust betrete ich anderthalb Wochen später die Metzgerei. Es ist Samstag und gut gefüllt. Bei meiner Bestellung geht ein leises, fast unmerkliches Raunen durch den Verkaufsraum. Einige ältere Herrschaften drehen sich um und werfen mir anerkennende Blicke zu. Der Metzger reicht mir mit einer kleinen Verbeugung die Hand und gibt mir damit zu verstehen, dass ich jetzt zum erlauchten Kreis derer gehöre, die es verstanden haben.
So hatte ich mir das jedenfalls insgeheim erhofft.
In Wirklichkeit interessiert es keine Sau. Weder vor oder hinter der Theke, noch in der Auslage. Manno. Aber egal, ich hab endlich mein Hirn und transportiere es in einer weißen Plastiktüte nach Hause (puh).
Dort kurz Ernüchterung: Das Hirn, oder vielmehr die Hirne, kommen in zwei schwarzen Plastikverpackungen daher, wie man sie aus den Fleischkühlschränken im Supermarkt kennt. „Produziert“ wurden sie von einem großen „Kalbfleischhersteller“ nahe Oldenburg. Hatte der Schlachter das Hirn etwa doch nicht in einer heiligen Zeremonie im Mondschein dem toten (dabei aber sehr glücklich und zufrieden lächelndem) Kalb entnommen? Und überhaupt, wie viele Hirne habe ich hier? Bestellt hatte ich zwei. Mehr als 150 Gramm wird so ein Kalbshirn doch wohl kaum wiegen, hatte ich in einem Anflug von menschlichem Überlegenheitswahn gedacht. Allzu clever sind die Viecher schließlich nicht. Falsch du Idiot, ca. 400 Gramm wiegt so ein Kalbshirn. Zwei Hirne wären also schon viel zu viel für das Rezept. Leider wurden dank der telefonischen Bestellung aus „zwei Hirnen“ dann auch noch „zwei Kilo Hirn“. Upps. Naja, Hirn kann man nicht genug haben. Also ran ans Werk.
Zunächst muss das Hirn gesäubert und von der dünnen Haut befreit werden. Das geht am besten (oder, ehrlich gesagt, nur) unter fließendem Wasser, wie ich nach einiger Verzweiflung lerne. Deshalb empfehlen die Schellhorns im Rezept auch, das Hirn vom Metzger häuten zu lassen. Nun gut, beim nächsten Mal.
Der Rest ist einfacher: Den Spargel schälen und in einem Sud aus Wasser, etwas Zucker, Salz und Butter bissfest garen (etwa sieben Minuten). Währenddessen Butter in einer Pfanne aufschäumen und die gewürfelten Schalotten darin anschwitzen. Das gehäutete Hirn klein hacken und zu den Schalotten geben. Wenn die Masse etwas fester wird, drei Eier in die Pfanne schlagen und wie ein Rührei weiter kochen. Etwas Schnittlauch in kleine Röllchen schneiden und zugeben. Alles mit Salz und Pfeffer würzen. Zum Schluss den gekochten Spargel schräg in drei etwa drei Millimeter dicke Scheiben schneiden und unterrühren. Das Hirn mit Ei in einem tiefen Teller anrichten, eine kleine Mulde in die Mitte drücken und dort ein rohes Eigelb hineingleiten lassen. Nochmal etwas Schnittlauch drüber und heiß servieren.
Lecker. Und die restlichen 1,7 Kilo?
Etwas Hirn anyone?
Dieses Rezept stammt aus:
Schellhorns Generationenkochbuch
CSV-Verlag
ISBN-13: 978-3950286847
46,70 €