Probleme lösen – Erbe erhalten

Zum Umgang mit Schrottimmobilien

Ein Kommentar von Jesse Krauß

Es war ein ungewöhnliches Bild, das sich Mitte Mai vor dem Haus Bismarckstraße 300 den Pressefotografen bot: OB Baranowski, Stadtbaurat Martin Harter sowie Harald Förster (GGW) und Helga Sander (SEG) trugen, ausgestattet mit Helmen, Arbeitshandschuhen und Warnwesten, Müll aus einem völlig heruntergekommenen Gründerzeit-Eckhaus. Symbolisch und medienwirksam starteten sie damit den Abriss des Gebäudes, das – noch immer lässt es sich erahnen – in vergangenen Zeiten einmal sehr repräsentativ gewesen sein muss, eines von vielen in der Regel reich mit Stuck geschmückten Häusern, die um 1900 herum das große neue Selbstbewusstsein einer aus dem Kohlerausch geborenen Boomtown symbolisierten. Das Montanzeitalter endete in Bismarck im Jahre 1993, seitdem hat sich im Stadtteil vieles verändert.

Das stadtweite Problem der Schrottimmobilien, die von skrupellosen Geschäftemachern unter Ausnutzung einer Lücke im Versteigerungsrecht als Geldmaschine genutzt werden, zu Lasten sowohl der meist wirtschaftlich schwachen Mieter als auch der Bausubstanz selbst, wird in der Öffentlichkeit zunehmend diskutiert, nicht zuletzt nachdem die Wochenzeitung DIE ZEIT dem Thema im Juni 2016 ein mehrseitiges Dossier widmete und es dadurch politisierte.

Die Stadt konnte bisher wenig mehr als den Mangel verwalten, also z.B. etwaige Schrottimmobilien durch Mitarbeiter des Ordnungsamts prüfen lassen, wobei regelmäßig Missstände wie feuergefährliche Vermüllung, manipulierte Gas- und Stromzähler sowie immer wieder ungemeldete Bewohner/innen festgestellt wurden. Doch waren solcherlei Maßnahmen nur Tropfen auf einen sehr heißen Stein und für die Profiteure im Hintergrund keine echte Gefahr. Nur selten konnten effektiv Räumung und amtliche Versiegelung eines Hauses erreicht werden.

Doch nun gab es eine Wendung. Nach langer „Überzeugungsarbeit“, wie Baranowski es ausdrückt, habe das Land eingesehen, dass Städte wie Gelsenkirchen, aber auch Duisburg und Dortmund, das Problem nicht alleine schultern können, und eine Förderung bewilligt. Zunächst 5,7 Millionen stehen der Stadt nun zur Verfügung, um Schrottimmobilien planmäßig zu ersteigern und sie so endgültig einem unguten Kreislauf zu entziehen. Das ermöglicht eine schrittweise Rückeroberung des Stadtbilds durch die öffentliche Hand und die Schaffung neuer Problemlösungs- und Gestaltungsräume. Das medienwirksame Anpacken am Haus Bismarckstraße 300 war hierfür der Startschuss. Als eine der ersten Schrottimmobilien soll es schon bald abgerissen werden. 150 weitere Objekte in der ganzen Stadt hat man bereits im Visier. Die Botschaft: Es gibt viel zu tun, packen wir es an…

Frank Baranowski, der mit Helm und Handschuhen den Abriss eines historischen Gebäudes einleitet? Das weckt auch ungute Erinnerungen an den Kommunalwahlkampf 2004 als der heutige OB mit dem Slogan „Millionengrab Hans-Sachs-Haus“ für sich und seine Partei warb. 2005 beschloss der Rat auf Vorschlag Baranowskis gar den Abriss des HSH, zu dem es dann bekanntermaßen doch nicht kam. Doch was ist nun zu erwarten? Sitzt der Stadt angesichts der politisch belastenden Schrottimmobilien-Thematik der Abrisshammer locker? Ist schon bald die schnelle Niederlegung einer ganzen Reihe von Gründerzeitbauten zu befürchten?

Es kann nur begrüßt werden, wenn nun mit Landeshilfe endlich Bewegung in eine verfahrene Causa kommt und die Stadt den nötigen Handlungspielraum erhält, kriminellem Treiben entgegenzuarbeiten und den Niedergang ganzer Straßenzüge aufzuhalten. Doch das Bild, das man gleich zu Beginn von sich gibt, ist fatal. Für ein 117 Jahre altes Stadthaus scheint der Abriss geradezu „alternativlos“ zu sein, und es wird nicht deutlich, ob man die Möglichkeiten einer Erhaltung und Restaurierung ausreichend geprüft hat. „Es ist alles organisiert und funktioniert“ wird Baranowski zitiert.

Dabei hat die Stadt an anderen Stellen bereits deutlich mehr Fingerspitzengefühl bewiesen. An der Bochumer Straße in Ückendorf werden bestimmte Häuser abgerissen, andere dafür aber saniert und für neue, innovative Nutzungskonzepte vorgesehen. Wohnraum für Kreative, für Studenten und eine Wohngenossenschaft sind hier im Entstehen begriffen. Wie groß die Bandbreite der Möglicheiten ist, zeigt auch eine 2015 von der Landesinitiative StadtBauKultur NRW aufgelegte Studie mit dem Titel „Gründerzeit“, wobei der Begriff hier auf junge Menschen in der „Gründerzeit“ ihres Lebens umgemünzt wird, die alten Bauten als „urbane Pioniere“ mit viel Eigeninitiative neues Leben einhauchen können. Neben Projekten in England und den Niederlanden dient dabei auch die Bochumer Straße in Gelsenkirchen als Fallbeispiel.

> Die Studie „Gründerzeit“ als PDF-Download

Die Lebenskultur einer Stadt wird nicht zuletzt auch von ihrer Geschichte geprägt, die sich im Stadtbild vor allem in Bauten manifestiert. Ein sensibler Umgang mit Baukultur stärkt die Identität einer Stadtgesellschaft und damit den „sozialen Kitt“, dessen Verlust heute vielerorts beklagt werden muss. Nicht jedes alte Gebäude kann und muss in jedem Fall erhalten werden, doch wo es gelingt, kann sich in alten Mauern Zukunft entwickeln.


Zwei solcher gusseiserner Ziersäulen aus der Gründerzeit haben sich am Erdgeschoss des Hauses erhalten. Werden sie bei Abriss nun schon bald im Schmelzofen landen? Oder besteht noch die Chance, sie zu erhalten und vielleicht anderswo in Bismarck wieder aufzustellen?
Sie gehören zum baulichen Erbe des Stadtteils.

Der WAZ-Artikel vom 11. Mai 2017 zum Thema:
> WAZ: Ein Problem-Gebäude in Gelsenkirchen weniger

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