Wie stehen Politiker zur Kennzeichnungspflicht für Polizisten?

Nachgefragt:

Irene Mihalic (Die Grünen)

Gabriele Preuß (SPD)

Jörg Schneider (AfD)

Sebastian Watermeier (SPD)

Von der Gewerkschaft der Polizei wird die Kennzeichnungspflicht mit dem Hinweis abgelehnt, dass damit eine ganze Berufsgruppe unter den Generalverdacht gestellt würde. Teilen Sie diese Einschätzung?

Irene Mihalic (Die Grünen)
Mitglied des Bundestages
„Das Argument, ein Gesetz oder eine Dienstanweisung drücke einen Generalverdacht aus, finde ich selten überzeugend. Man kann die Kennzeichnung schließlich auch als Ausdruck eines soliden Selbstverständnisses sehen. Im Grunde drückt sie meiner Meinung nach aber nichts anderes aus, als dass eine staatliche Institution sich ihrer Verantwortung bewusst ist und dieser gerecht wird. Das bedeutet, dass auch jeder einzelne Amtswalter für sein individuelles Handeln gegenüber den Bürgern rechenschaftspflichtig ist.“

Sebastian Watermeier (SPD)
Mitglied des Landtags NRW
„Diese Einschätzung teile ich nicht. Es ist gerade die Stärke der nordrhein-westfälischen Polizei, dass sie nichts zu verbergen hat und bürgernah, transparent und offen handelt. Vielmehr beugt doch die Kennzeichnungspflicht Missverständnissen und Vorverurteilungen vor. In acht Bundesländern gilt eine Kennzeichnungspflicht – ich habe noch nicht gehört, dass in diesen Ländern die Polizei schlechte Erfahrungen damit gemacht hat.“

Warum ist eine Kennzeichnungspflicht aus Ihrer Sicht notwendig und sinnvoll?

Irene Mihalic (Die Grünen)
„Die Kennzeichnungspflicht ist notwendig, weil sie eine spätere Überprüfung polizeilicher Maßnahmen deutlich erleichtert. Es geht also in erster Linie um eine Garantie des Rechtsstaates und die im Verwaltungsverfahren sonst auch allgemein übliche nachträgliche Überprüfbarkeit staatlicher Eingriffe.“

Sebastian Watermeier (SPD)
„Das Beispiel der Falken zeigt doch gerade, wie sinnvoll eine Kennzeichnungspflicht ist. Dort sind auf Seiten der Polizei Fehler gemacht worden, was natürlich vorkommt. Es wäre nun wirklich vermessen, zu behaupten, die Polizei mache keine Fehler. Das alles konnte glücklicherweise aufgeklärt werden. Das wäre vermutlich einfacher und schneller gegangen, wenn die Beamtinnen und Beamten in diesem Fall identifizierbar gewesen wären.“

Warum wird die Kennzeichnungspflicht von vielen Polizisten und vor allem von deren gewerkschaftlichen Vertretern abgelehnt. Wie bewerten Sie diese Forderung?

Irene Mihalic (Die Grünen)
„Meiner Wahrnehmung nach haben viele Polizistinnen und Polizisten, im Gegensatz zu manchen Gewerkschaftsvertretern, überhaupt kein Problem damit. Denn die praktischen Erfahrungen mit der Kennzeichnungspflicht zeigt uns, dass die Befürchtungen, die vor allem von Gewerkschaftsvertretern geäußert werden, völlig unbegründet sind. Auch aus anderen europäischen Staaten, die bereits länger eine Kennzeichnungspflicht haben, ist z.B. kein Anstieg von Übergriffen oder unberechtigter Anschuldigungen gegen Polizeibeamte bekannt. Dennoch werden von Gegnern der Kennzeichnungspflicht solche Ängste geschürt. Ich finde das schade, weil es den Weg zu einer bürgernäheren Polizei nicht gerade fördert.“

Sebastian Watermeier (SPD)
„Wie bereits gesagt: Ich kann das Argument, dass damit die Polizei in einen Generalverdacht kommt, nicht so recht nachvollziehen. Es ist ja nicht so, als ob mit der Kennzeichnungspflicht Name und Adresse für jeden sichtbar sind. Aber sie hilft, im Konfliktfall eine Identifizierung schneller durchzuführen und Verantwortlichkeiten zu klären. Niemand unterstellt der Polizei damit, dass Sie nicht rechtmäßig handelt. Im Gegenteil betrachte ich die Kennzeichnungspflicht auch als Schutz der Polizei vor falschen Anschuldigungen und Verdächtigungen. Insofern schafft Sie eher Rechtssicherheit als Unsicherheit.“

Wie bewerten Sie die Entwicklung, dass viele Polizisten bei Demonstrationen mit einer Gesichtsmaske auftreten?

Irene Mihalic (Die Grünen)
„Auseinandersetzungen bei oder am Rand von Demonstrationen können sehr heftig sein, sodass sich die Polizistinnen und Polizisten selbst schützen müssen, das ist klar. Dazu kann auch gehören, eine Gesichtsmaske zu tragen. Wenn es jedoch nicht zulasten der Sicherheit geht, tut die Polizei nach meiner Einschätzung gut daran, in einen persönlichen und offenen Austausch mit den Menschen vor Ort zu treten. Dieser Austausch ist für gute Polizeiarbeit nämlich sehr wichtig.“

Sebastian Watermeier (SPD)
„Ich halte es für nachvollziehbar, wenn Polizistinnen und Polizisten in schwierigen Einsatzlagen sich schützen und nicht unbedingt fotografiert werden wollen, um dann möglichweise in einschlägigen Foren verfolgt zu werden. Das hat jedoch mit einer Kennzeichnungspflicht fachlich nichts zu tun.“

Gabriele Preuß (SPD) – Mitglied des Europaparlaments
Die Antworten von Gabriele Preuß hat ihr Mitarbeiter Max Brandt zusammengefasst.

„Aus Sicht von Frau Preuß ist eine Kennzeichnungspflicht absolut notwendig und sinnvoll. Sie wissen sicher, dass es sich hierbei um eine Länderkompetenz handelt und die SPD-geführte Landesregierung eine solche nach langem Ringen eingeführt hatte. Die neue CDU/ FDP Regierung hat sie aber quasi am ersten Tag der Amtsübernahme wieder abgeschafft. Das Argument der Gewerkschaft war damals verworfen worden. Jeder Autofahrer hat auch ein Kennzeichen und befindet sich damit noch nicht unter Generalverdacht. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte und auch der Sicherheit von Polizisten war zudem eine Nummernkombination (statt Namen) vorgesehen. Weitere Argumente können Ihnen dazu sicher unsere Landtagsabgeordneten geben.
Da Frau Preuß Europapolitikerin ist, möchte sie vor allem auf die europäische Perspektive verweisen. Demnach ist die deutsche Situation hinsichtlich der (Nicht-)Kennzeichnung von Polizisten im europäischen Kontext ein Sonderfall. Die meisten unserer Nachbarn haben eine solche Kennzeichnung und damit fast durchgehend positive Erfahrungen gemacht. Der WD des Bundestages hat dazu vor einigen Jahren eine Untersuchung gemacht:

fragdenstaat.de/files/foi/30800/kennzeichnungspflicht_polizei-data.pdf

Zudem hat kürzlich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem Urteil klargestellt, dass die deutsche Regelung der (Nicht-)Kennzeichnung problematisch ist, da sie de-facto zur Straffreiheit führen könne.
hudoc.echr.coe.int/eng#{%22itemid%22:[%22001-178381%22]}

Zusammengefasst kann ich für Frau Preuß mitteilen, dass sie eine Kennzeichnungspflicht (durch eine Nummer, falls zum Schutze der Polizisten notwendig) als notwendig erachtet und dies in Europa der Normalfall ist. Gerade da Deutschland eine gute und verlässliche Polizei hat, braucht sie eine Kennzeichnung nicht zu fürchten. Vielmehr hilft sie dabei, Fehlverhalten einzelner aufzuklären und damit das Vertrauen der Bürger noch weiter zu stärken. Aus anderen europäischen Ländern sind keine negativen Effekte solcher Kennzeichnungen bekannt.“

Jörg Schneider (AfD) – Mitglied des Bundestages
Die Antworten von Jörg Schneider hat sein Referent Dr. Markus Sandmann zusammengefasst.

„Die Privatsphäre von Polizisten soll geschützt werden, damit einzelne Polizisten nicht namentlich identifiziert werden können. Leider ist es so, dass heutzutage extreme Gruppen nicht davor zurückschrecken, Personen zu bedrohen oder sogar diese und deren Eigentum angreifen. Beispiele sind unsere Politiker Dietmar Gedig, Polizeibeamter, und Guido Reil, Bergmann, deren Autos zertrümmert und deren Häuser beschmiert wurden.
Mithilfe von Fotos, Videos, des Internets oder Gesichtserkennungssoftware lassen sich oft leicht Namen und Wohnorte von Personen herausfinden. Jegliche Art von Kennzeichnungen von Polizeibeamten erleichtert dies. Das erklärt auch das Tragen von Gesichtsmasken von Polizisten. Selbstverständlich unterstützen gerade gewerkschaftliche Vertreter der Polizei den Schutz der Identität von Polizisten.
Was den von Ihnen skizzierten Fall der Busfahrt der „Falken“ betrifft: die Festsetzung erwies sich als Irrtum. Die Verantwortlichen ließen sich polizei-intern leicht ermitteln. Gekennzeichnete Polizisten hätten nichts an der Situation geändert. Angesichts der bürgerkriegsähnlichen Gewaltszenen beim G20-Gipfel in Hamburg haben wir Verständnis dafür, dass die Polizei die Anreise bekannter, gewaltbereiter Demonstranten verhindern wollte.
Dass die Gewerkschaft der Polizei mit der Kennzeichnungspflicht eine Berufsgruppe unter Generalverdacht sieht, können wir nicht beurteilen.“

Anmerkung der Redaktion:
Die diskutierte Kennzeichnung von Polizisten mit Nummernkombinationen ermöglicht zwar, wenn notwendig, eine bestimmte Person anzuzeigen, aber natürlich nicht, deren Namen oder Adresse herauszufinden.

Folgende Abgeordnete hatten unsere Fragen bei Drucklegung noch nicht beantwortet:

Bundestag: Markus Töns (SPD), Oliver Wittke (CDU), Marco Buschmann (FDP), Ingrid Remmers (Die Linke)
Landtag: Heike Gebhard (SPD)
Europaparlament: Terry Reintke (Die Grünen)

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2 Gedanken zu “Wie stehen Politiker zur Kennzeichnungspflicht für Polizisten?

  1. Mal so am Rande erwähnt, 2 SPD Politiker und einer von den Grünen und ein AfDler. Soll das ausgewogen sein? Was ist mit CDU und FDP oder gar PDS? Von CDU und FDP gibt es mit Oliver Wittke und Marco Buschmann zwei Bundestagsabgeordnete aus Gelsenkirchen.

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