1) Die FDP spielte in den letzten Jahren hier in der Stadtpolitik, zumindest in der Ratsarbeit, keine eigene exponierte Rolle. Gelsenkirchen ist, bis auf kurze Intermezzi, eine SPD-Hochburg. Aber auch das scheint bei der aktuellen Lage keine Gewissheit mehr zu sein. Glauben Sie, Ihre Partei kann von den Stimmenverlusten der SPD profitieren?
Susanne Cichos: Natürlich setzen wir darauf, enttäuschten Sozialdemokraten in Zukunft eine politische Heimat zu geben. Ich setze auf Themen wie soziale Gerechtigkeit und Zusammenhalt. Ich denke schon, dass es eine große Unzufriedenheit an der kommunalen SPD-Basis gibt. Themen wie Straßensanierungen und die für die Bürger entstehenden Kosten müssen wir in den Fokus nehmen und sicher mehr Sensibilität zeigen. Eine unzufriedene, chronisch unterbesetzte Verwaltung, Dauerbaustellen – das alles sind Punkte, die nicht unbedingt zu Bürgerzufriedenheit und meiner Vorstellung von einer liebens- und lebenswerten Kommune passen. Die Zeit der absoluten Mehrheiten geht zu Ende. Die politische Landschaft durchlebt einen Wandel – jetzt kommt es auf alle demokratischen Parteien an, extreme Lager durch ein fairen Umgang miteinander zu verhindern.
2) In Ihrer Arbeit als Kommunalpolitikerin haben Sie eine kleine Videokampagne gestartet, in der Sie Unternehmen dieser Stadt vorstellen. Ist die Stärkung der Unternehmer*innenschaft eines Ihrer Hauptziele? Und wo sehen Sie den größten Bedarf an Unterstützung, den die hiesigen Unternehmen brauchen? Und schaffen es mittelständische Betriebe überhaupt, aus eigenem Antrieb bei immer geringer werdender Kaufkraft hier zu überleben?
Als Kommunalpolitikerin und Diplomkauffrau möchte ich auf unseren fleißigen Mittelstand vor Ort aufmerksam machen. Wir haben in unserer Stadt viele mutige Frauen und Männer, die entweder Unternehmen übernommen haben oder mit genialen Ideen in die Selbstständigkeit gegangen sind. In Zeiten des globalen Wettbewerbs müssen wir unsere Unternehmer umso mehr unterstützen. Was viele leider vergessen, ist, dass diese UnternehmerInnen viele Arbeitsplätze bieten und so für die Stadt unverzichtbar sind, weshalb wir eindeutig auch eine unternehmerfreundliche Politik in Gelsenkirchen durchsetzenmüssen. Mehr Wirtschaft heißt mehr Arbeit und dadurch weniger Armut. Die Coronakrise wird besonders für die UnternehmerInnen eine Zerreißprobe. Die Stadt muss als starker Partner hier unterstützend mitwirken und darf niemanden im Stich lassen.
Der Standdort Gelsenkirchen muss viel attraktiver werden. Wir brauchen ein Paket, das eine Ansiedlung und eine Erweiterung von Unternehmen in Gelsenkirchen vereinfacht. Unter anderem brauchen wir ganz klar einen Bürokratieabbau, eine noch tiefergreifendere Digitalisierungsstrategie für die Verwaltung. Weiterhin könnte ich mir Unterstützungsmaßnahmen wie den Verwaltungslotsen vorstellen, der für Unternehmen bürokratische Aufgaben übernimmt.
Der Mittelstand wird auf jeden Fall überleben, er ist kreativer, als so mancher denkt. Die Unternehmen brauchen daher die Stadt als starken Partner, der die politischen Grundlagen für den wirtschaftlichen Erfolg stellt und wohlwollend zur Verfügung steht. Für mich muss Gelsenkirchen langfristig eine Steueroase werden, um eine wirtschaftliche Aufwärtsspirale in Gang zu setzen. Nachdem wir jahrelang das „Gespött der Nation“ waren, hat Gelsenkirchen eine Chance auf Aufstieg verdient.
3) Wie sehen Sie als Mutter zum einen, als Politikerin zum anderen, den Status quo des Schulangebots?
Ich bin Mutter einer Tochter und eines Sohnes, die hier in Gelsenkirchen zur Schule gegangen sind. Als Mutter will ich natürlich, dass meine Kinder die bestmögliche Bildung erhalten, und als Politikerin strebe ich an, dass jedes Kind Zugang zur bestmöglichen Bildung erhalten muss. Bildung ermöglicht ein freies uns selbstbestimmtes Leben. Bildung beginnt bereits im frühkindlichen Alter und muss unabhängig vom Elternhaus sein. Eine gute Kita-Infrastruktur mit flexiblen Betreuungszeiten ist mir besonders wichtig, weil gerade Frauen dadurch Familie und Beruf besser miteinander vereinbaren können. Als Frau und Mutter einer Tochter liegt mein Augenmerk darauf, junge Mädchen zum Beispiel für MINT-Fächer zu begeistern. Ich könnte mir hier ganz gut Kooperationen zwischen Schule und Handwerk, bzw. Wirtschaft, vorstellen.
Das Schulangebot in Gelsenkirchen ist besonders durch die Talentschulen erweitert worden. Diese werden in die Stadteile und darüber hinaus strahlen und positive Auswirkungen auf die Stadtentwicklung haben.
Mich stört aber der Zustand einiger Schulen. Es muss möglich sein, dass alle Fördergelder für Schulen, abberufen und zum Erhalt oder zur Modernisierung der Klassenräume investiert werden.
4) Welche Position hat die FDP zum Thema Radwegeausbau, Verkehr und ÖPNV?
Für die FDP, aber auch für mich, ist die individuelle Mobilität ein wichtiges Bedürfnis und auch Merkmal einer modernen Gesellschaft. Ich will mir nicht vorschreiben lassen, wie ich mich innerhalb der Stadt, oder auch in der Region, von A nach B bewegen darf. Ich stehe für eine ideologiefreie Verkehrspolitik: Alle BürgerInnen sollen frei von staatlicher Bevormundung das Verkehrsmittel ihrer Wahl nutzen können.
Deswegen müssen wir ein breitgefächertes und modernes Angebot schaffen, das auch ein Standortvorteil im internationalen Vergleich sein wird (kann).
Der Fahrradklimatest hat für Gelsenkirchen schlechte Noten bzw. einen Nachholbedarf attestiert. Das ist nicht hinnehmbar. Ich mache mich ganz klar für Fahrradschnellwege und einen generellen Radwegeausbau stark, dabei ist aber immer und überall die Sicherheit der FahrradfahrerInnen zu gewährleisten.
Wir müssen in der Mobilität auch neu denken. Wir Liberalen in Gelsenkirchen sind daher offen für neue und moderne Alternativen. Ich habe daher vorgeschlagen, dass sich Gelsenkirchen um den UpBUS bewirbt und quasi schwebende Busse erhält, die das bestehende ÖPNV-Netz kostengünstig und klimaschonend erweitern können. Als kurzfristige Lösung plädiere ich für eine kostengünstige Lösung für alle BürgerInnen. Vorstellbar ist zum Beispiel ein kostenloses Wochenend-Ticket, wie es in einigen Städten (Hannover, Heilbronn, Karlsruhe) bereits existiert.
5) Mit welchen Themen wollen Sie sich im Wahlkampf von den Mitbewerber*innen abheben? Was liegt Ihnen thematisch besonders am Herzen?
Ich stehe für einen Neubeginn, eine positive Aufbruchsstimmung und einen weiblichen Blick auf die Stadt, möchte Gelsenkirchen wieder zu einer geachteten „MöglichmacherStadt“ machen. Dazu gehört das Engagement, ein so innovatives Projekt wie den UpBUS möglichst in GE zu realisieren. Dazu gehört aber auch die Belebung der Stadtteile, eine zukunftsorientierte, generationsübergreifende Stadtentwicklung mit Bauprojekten, die einerseits neue Wohn- und Arbeitsformen ermöglichen, andererseits für die Mieter bezahlbar bleiben. Ich möchte die Stadt grüner (Stichwort „urban gardening“), sauberer und sicherer machen. Bei der Sicherung des öffentlichen Raums setze ich auf die verstärkte Zusammenarbeit von Polizei und kommunalem Ordnungsdienst. So soll verhindert werden, dass Angsträume entstehen. Durch eine entsprechende Anpassung von Straßen, Wegen, Unterführungen und Plätzen sollen bestehende Gefahrenpunkte beseitigt und verhindert werden. Die Menschen sollen wieder gerne in GE leben. Ein besonderes Herzensthema ist der Zusammenhalt in Gelsenkirchen. Es wird immer wieder deutlich, und jetzt durch die Coronavirus-Pandemie erneut, dass wir nur gemeinsam die großen Herausforderungen meistern können. Deswegen bringt es nichts, Bevölkerungsgruppen gegeneinander auszuspielen – wir sind nur gemeinsam stark.
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