Gelsenkirchener Barock – hat doch was!

Von Denise Klein, Beratung: Wiltrud Apfeld, Fotos: Ulrich Teschner

Sonntagstee bei Tante Änne, Weihnachten bei Opa Kurt – in den 1950er Jahren kleinbürgerliche Rituale, deren Kulisse fast zwangsläufig eines der breiten und schnörkelig verzierten Möbel des Gelsenkirchener Barock war. Geliebt und verschrien, totgeglaubt und doch unsterblich sind diese Sperrholz-Titanen ein Teil des kollektiven Gedächtnisses geworden. Und das beileibe nicht nur in Gelsenkirchen.

Dieser ab Werk vollständig eingerichtete Schrank (einschließlich Kaffeemühle, Eierbecher, Vorratsbehälter aus Glas) gehört zu dem Typ Reformküchenschrank, der seit Mitte der 1920er Jahre produziert wurde. Birkenfurnier und rotes Bakelit brechen die Nüchternheit des Reformschranks jedoch auf und reagieren damit auf den vorherrschenden Käufergeschmack.

 

Eine kleine Renaissance erlebte der Gelsenkirchener Barock vor 31 Jahren, als im Städtischen Museum Gelsenkirchen die Ausstellung „Gelsenkirchener Barock“ innerhalb von 18 Wochen 65.000 Interessierte in die Stadt lockte, die sich die schweren, mit ihren üppigen Formen raumeinnehmenden Möbel im historischen Kontext ansehen wollten. Schwer lastete der Begriff Gelsenkirchener Barock auf der Würde und dem Selbstverständnis vieler Gelsenkirchener.

Gelsenkirchener Barock im Detail – die in Massenanfertigung hergestellten Ornamente bedienen sich zwanglos in den verschiedensten Kunst- und Stilepochen.


„Wenn man Gelsenkirchen in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts betrachtet, war es eine sehr prosperierende und moderne Stadt“, erzählt Wiltrud Apfeld vom Kulturraum „die flora“, die damals als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ausstellung beteiligt war. Mit der Bahnhofstraße als der ersten richtigen Einkaufsmeile des Reviers konnte sich die Stadt als Vorreiterin der modernen Zeit durchaus sehen lassen. Die Menschen flanierten zwischen wilhelminischen Häuserfassaden, die mit ihrem Stuck, Säulen und vielerlei Ornamenten schon zu beeindrucken wussten. Und gleichzeitig entstanden die prägenden Backsteinbauten, große Straßen und Freizeiteinrichtungen – alles Zeichen einer neuen Zeit, der Moderne. Man war stolz auf das Geschaffene. Und so stammt der Begriff vielleicht sogar aus den eigenen Gelsenkirchener Reihen, wurde jedoch mit breiten Schultern ausgesprochen, signalisierte man damit doch dem Rest der Welt, dass Gelsenkirchen ganz vorn dabei war.

In der Ausstellung „Gelsenkirchener Barock“ wurde Wert darauf gelegt, die Möbel in einen historisch korrekten Kontext zu stellen.

 

Gelsenkirchener Barock steht für das Aufstreben der industriellen Arbeiterklasse Ende der Weimarer Republik und später in der Nachkriegszeit. Von den Nazis wurde dieser üppige barocke Stil übrigens verpönt. Als es in der Nachkriegszeit zu Beginn der 1950er Jahre wieder wirtschaftlich bergauf ging, nahm auch die Erfolgsgeschichte des Gelsenkirchener Barock wieder Fahrt auf. „Man sparte monatelang. Die Menschen waren sehr stolz darauf, sich dieses Möbelstück leisten zu können“, so Wiltrud Apfeld. Ein Statussymbol seiner Zeit? „Absolut. Zumindest für die Menschen, die in den Bergarbeitersiedlungen zuhause waren.“
State oft the art der Arbeiterschicht. Meist überdimensioniert in den kleinen Arbeiterwohnungen in der Wohnküche platziert, leisteten die Möbel eine durchaus funktionale Aufgabe. Als kleine Innenraumwunder orientierte sich das Design an der Lebenswirklichkeit der Menschen. Der kleine Ausziehtisch zum Brotschneiden, die repräsentative Glasfront zum Herzeigen des guten Geschirrs, die Glasschütten für Mehl und Zucker oder gar ein verspiegeltes Barfach, darunter Stauraum für Töpfe und Kram. Design und Funktionalität an Bedarf und Prestigebedürfnis der Kunden orientiert; auch damals ein hervorragendes Verkaufsargument. Demgegenüber stand naserümpfend die wohlhabendere Elite, die sich mit puristischen Möbeln im Stile des Bauhaus‘ und der Neuen Sachlichkeit abzugrenzen wusste. Gerade beim Bildungsbürgertum war der Gelsenkirchener Barock daher verpönt und wurde leidenschaftlich belästert und belächelt. Dabei war diese Überheblichkeit angesichts der „Geschmacksverirrungen des kleinen Mannes“ so populistisch wie arrogant. Denn was der Bildungsschicht die hauseigene Bibliothek – mit wohl zahlreichen ungelesenen Büchern – war dem Bergarbeiter sein üppiges Küchenbuffet.

  Beschwingte Formen – eine Wohnzimmereinrichtung der 1950er Jahre.

Die Ausstellung „Gelsenkirchener Barock“ von 1991, die in den Räumen des Städtischen Museums, heute das Kunstmuseum, in der Horster Straße ganze Wohnlandschaften zum Eintauchen in vergangene Zeiten bot, hätte sicherlich eine Neuauflage verdient. „Wir haben einige Möbel inzwischen verkauft. Die brauchen ja eine Menge Lagerfläche. Aber rund 30 Schränke sind noch erhalten, das ganze Zubehör sowieso“, beschreibt Wiltrud Apfeld den Stand der Dinge. Sie war seinerzeit an Aufbau und Durchführung der Ausstellung beteiligt und betreut sie bis heute. Der maßgebliche Motor des Gesamtprojekts war damals der Museumsmitarbeiter Dr. Peter Hardetert. Viel Arbeit, das Aufstöbern der Objekte und der korrespondierenden Accessoires, das Aufbauen und Einrichten der Schauzimmer, wo Tapete, Deckchen und Bodenbelag authentisch aussehen mussten – eine Arbeit, die sich aber offensichtlich gelohnt hat. Wiltrud Apfeld erinnert sich gerne an die Reaktionen vieler Besucher und Besucherinnen, die damals förmlich in ihre eigene Vergangenheit, die eigene Kindheit eintauchten. „So sah es bei meiner Oma auch aus“, war ein typischer Satz, den sie hörte.


Damals war das Thema der Stadtspitze sehr wichtig. Man war es leid, unter der Diffamierung zu leiden – und griff für die Ausstellung samt externem Ausstellungsbüro und begleitenden Barockkonzerten tief in die Stadtkasse. Das polierte das Stadtimage kräftig auf.

Eine kleine Renaissance erlebte der Gelsenkirchener Barock vor fast 25 Jahren, als im Städtischen Museum Gelsenkirchen die Ausstellung „Gelsenkirchener Barock“ innerhalb von 18 Wochen 65.000 Interessierte in die Stadt lockte, die sich die schweren, mit ihren üppigen Formen raumeinnehmenden Möbel im historischen Kontext ansehen wollten. Schwer lastete der Begriff Gelsenkirchener Barock auf der Würde und dem Selbstverständnis vieler Gelsenkirchener.

Eine nüchterne Spielart des Gelsenkirchener Barocks ist der Reformküchenschrank. Auch heute noch in einigen, wenigen Gelsenkirchener Küchen stehend, bietet er viel Stauraum, ist robust und bietet immer einen Anlass zum Gespräch mit Einbauküchen gewohnten Besuchern. 

 

Und herabwürdigend ist er auch durchaus gemeint gewesen. Er steht für das Spießertum, die Geschmacklosigkeit, das Unmoderne, gar das Rückwärtsgewandte. Unter dem Begriff subsumieren sich die Klischees des röhrenden Hirschs, des Häkeldeckchens, des Fernsehschranks mit Furnier „Altdeutsche Eiche“. Die verschnörkelten Messingbeschläge und goldgeschliffenen Scheiben geben ihm den Rest. Gelsenkirchener Barock halt. Und noch bis heute empfinden viele den Begriff als abwertend.
Dabei hat Gelsenkirchen nur bedingt etwas mit der Entstehung des Begriffs zu tun. Die massiven und wuchtigen Wohnküchenschränke, die durch wellenförmige Furniertüren, geschwungene Griffe und allerlei Zier klar identifizierbar sind, wurden weder in Gelsenkirchen kreiert noch hier gefertigt. Doch wie kam es dazu, dass gerade Gelsenkirchen mit diesem Möbel eine Mesalliance eingehen musste?
„Wenn man Gelsenkirchen in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts betrachtet, war es eine sehr prosperierende und moderne Stadt“, erzählt Wiltrud Apfeld vom Kulturraum „die flora“, die damals als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ausstellung beteiligt war. Mit der Bahnhofstraße als der ersten richtigen Einkaufsmeile des Reviers konnte sich die Stadt als Vorreiterin der modernen Zeit durchaus sehen lassen. Die Menschen flanierten zwischen wilhelminischen Häuserfassaden, die mit ihrem Stuck, Säulen und vielerlei Ornamenten schon zu beeindrucken wussten. Und gleichzeitig entstanden die prägenden Backsteinbauten, große Straßen und Freizeiteinrichtungen – alles Zeichen einer neuen Zeit, der Moderne. Man war stolz auf das Geschaffene. Und so stammt der Begriff vielleicht sogar aus den eigenen Gelsenkirchener Reihen, wurde jedoch mit breiten Schultern ausgesprochen, signalisierte man damit doch dem Rest der Welt, dass Gelsenkirchen ganz vorn dabei war.

Die Bahnhofstraße / Ecke Beskenstraße um 1910 –  Die Geschäftswelt suchte mit reich geschmückten Fassaden zu beeindrucken.

Gelsenkirchener Barock steht für das Aufstreben der industriellen Arbeiterklasse Ende der Weimarer Republik und später in der Nachkriegszeit. Von den Nazis wurde dieser üppige barocke Stil übrigens verpönt. Als es in der Nachkriegszeit zu Beginn der 1950er Jahre wieder wirtschaftlich bergauf ging, nahm auch die Erfolgsgeschichte des Gelsenkirchener Barock wieder Fahrt auf. „Man sparte monatelang. Die Menschen waren sehr stolz darauf, sich dieses Möbelstück leisten zu können“, so Wiltrud Apfeld. Ein Statussymbol seiner Zeit? „Absolut. Zumindest für die Menschen, die in den Bergarbeitersiedlungen zuhause waren.“
State oft the art der Arbeiterschicht. Meist überdimensioniert in den kleinen Arbeiterwohnungen in der Wohnküche platziert, leisteten die Möbel eine durchaus funktionale Aufgabe. Als kleine Innenraumwunder orientierte sich das Design an der Lebenswirklichkeit der Menschen. Der kleine Ausziehtisch zum Brotschneiden, die repräsentative Glasfront zum Herzeigen des guten Geschirrs, die Glasschütten für Mehl und Zucker oder gar ein verspiegeltes Barfach, darunter Stauraum für Töpfe und Kram. Design und Funktionalität an Bedarf und Prestigebedürfnis der Kunden orientiert; auch damals ein hervorragendes Verkaufsargument.
Demgegenüber stand naserümpfend die wohlhabendere Elite, die sich mit puristischen Möbeln im Stile des Bauhaus‘ und der Neuen Sachlichkeit abzugrenzen wusste. Gerade beim Bildungsbürgertum war der Gelsenkirchener Barock daher verpönt und wurde leidenschaftlich belästert und belächelt. Dabei war diese Überheblichkeit angesichts der „Geschmacksverirrungen des kleinen Mannes“ so populistisch wie arrogant. Denn was der Bildungsschicht die hauseigene Bibliothek – mit wohl zahlreichen ungelesenen Büchern – war dem Bergarbeiter sein üppiges Küchenbuffet.

 

Die Ausstellung „Gelsenkirchener Barock“ von 1991, die in den Räumen des Städtischen Museums, heute das Kunstmuseum, in der Horster Straße ganze Wohnlandschaften zum Eintauchen in vergangene Zeiten bot, hätte sicherlich eine Neuauflage verdient.
„Wir haben einige Möbel inzwischen verkauft. Die brauchen ja eine Menge Lagerfläche. Aber rund 30 Schränke sind noch erhalten, das ganze Zubehör sowieso“, beschreibt Wiltrud Apfeld den Stand der Dinge. Sie war seinerzeit an Aufbau und Durchführung der Ausstellung beteiligt und betreut sie bis heute. Der maßgebliche Motor des Gesamtprojekts war damals der Museumsmitarbeiter Dr. Peter Hardetert. Viel Arbeit, das Aufstöbern der Objekte und der korrespondierenden Accessoires, das Aufbauen und Einrichten der Schauzimmer, wo Tapete, Deckchen und Bodenbelag authentisch aussehen mussten – eine Arbeit, die sich aber offensichtlich gelohnt hat. Wiltrud Apfeld erinnert sich gerne an die Reaktionen vieler Besucher und Besucherinnen, die damals förmlich in ihre eigene Vergangenheit, die eigene Kindheit eintauchten. „So sah es bei meiner Oma auch aus“, war ein typischer Satz, den sie hörte.
Damals war das Thema der Stadtspitze sehr wichtig. Man war es leid, unter der Diffamierung zu leiden – und griff für die Ausstellung samt externem Ausstellungsbüro und begleitenden Barockkonzerten tief in die Stadtkasse. Das polierte das Stadtimage kräftig auf.

Aber wie sieht es mit dem Ruf des Gelsenkirchener Barocks heute aus? Eine Generation nach der Ausstellung? Für viele jüngere Menschen ist der Begriff gar keiner mehr. Und wenn er bekannt ist, beginnt langsam ein neues Entdecken des Möbels. Mittlerweile finden sich in zahlreichen Blogs im Internet im Zuge der Do-it-yourself-Leidenschaft neue Verschönerungsvorschläge. Weiß lackiert, mit neuen Griffen und vor allem mit offensichtlich modernen Ausstellungsstücken hinter den Glasscheiben. Der Gelsenkirchener Barock wird, wie alle Moden, auch wiederentdeckt und modifiziert werden. Das ist der natürliche Gang der Dinge.

„Was kostet dieser Wohnküchenschrank? Nach allen uns bisher vorliegenden Zahlen kann man verallgemeinernd sagen, dass sowohl in den 30er als auch in den 50er Jahren zwei bis drei Monatslöhne eines Kohlehauers oder eines Schichtsteigers dafür angelegt werden müssen; in Zahlen ausgedrückt: die einfachen Schränke der späten 20er und 30er Jahre (Nadelholz, Ahorn-Verzierungen, glatte Scheiben, schlichte Beschläge) kosten 200 bis 300 RM. […] Für die besseren Schränke mit goldverzierten Scheiben usw. muss man 300 bis 500 RM rechnen. In den frühen 40ern kostet auch das schlichtere Modell schon um 600 RM. Nach dem Krieg sind einfachere Stücke (Hohltüren mit Abachi-Rahmen, viel Sperrholz) schon für 300 bis 500 DM zu haben. Die meistverkauften Stücke kosten 800 bis 900 DM, für Spitzenreiter mit Barfach, Einzelstücke („Modellschränke“), muss bis zu 1900 DM aufgewendet werden. Wie die hohen Verkaufsziffern und die schier grenzenlose Angebotspalette beider Produktionsphasen andeuten, sind die Käufer offensichtlich davon überzeugt, ihr hart verdientes Geld in einem Küchenschrank, Typ Gelsenkirchener Barock, gut anzulegen.“ Auszug aus dem Ausstellungskatalog Gelsenkirchener Barock, 1991. Text „Drei Monatslöhne für einen Schrank?“ von Peter Hardetert.

 

Sind wir denn barock?

von Jürgen Kramer

„Nennt doch der Portugiese eine unregelmäßige Perlenoberfläche „barocco“, ein Adjektiv, das dem Kulturmenschen letztlich dazu diente, mit dem daraus abgeleiteten Barocken ganze Merkwürdigkeiten von Überladenem und Üppigem abzuqualifizieren. Wir sind die Kinder des „Gelsenkirchener Barocks“, formal gesehen eines Anti-Bauhauses. Aber in einer Zeit der Funktionalismuskritik bekommt der Gelsenkirchener Barock ganz neue Qualitäten.
So weit, so gut.
Gibt es unter uns etwa auch ein barockes Lebensgefühl? Sind wir vielleicht heimlich barock?
Das Barocke als Lebensart ist ja offensichtlich geprägt von krasser Gegensätzlichkeit: Hier der überschwängliche diesseitige Genuß, dort die jenseitige Todeserwartung; hier das Leben als theatralisches Spiel, dort der Ernst im memento mori, Lebensgier hier und Trauergesänge dort. Eine deutliche Zerrissenheit ist typisch für den barocken Menschen. Und das ist merkwürdig: gerade von unserer Moderne sagt man Ähnliches. So stellt sich die Frage, ob wir Gelsenkirchener als Kinder des Gelsenbarocks nicht gerade dadurch an die Spitze des Modernen gehören, denn heil ist unsere Welt nun ganz und gar nicht.
Ja, das also ist wahr, die Welt des Gelsenkirchener Barocks war und ist hintergründig bis abgründig. Wir haben das Heillose der montanen Welt erlebt. Der Tod der Zechen mit all dem Unheil von Arbeitslosigkeit und schleichender Verarmung hat uns geprägt. Da stimmen wir ein in den Chor des barocken memento mori und sind ganz von barocker Lebensart. Gleichzeitig arbeiten wir aber zuversichtlich an den Perspektiven zur Überwindung des Heillosen und Unglücklichen. Wo wir von diesem angegangen werden, können wir die Solidarität aktivieren, die die Kumpel uns vorgelebt haben. Der Gelsenkirchener ist in seinem Herzen ein solidarischer Mensch, mag er als moderner Mensch auch noch so vereinsamt und zerrissen sein. Nicht von ungefähr heißt unser Grußwort deshalb „Glückauf“!
Man muss uns das memento mori nicht ins Ohr flüstern, wir haben es von Anfang an verinnerlicht und in unseren Lebensstil eingebaut.
Die Frage also, ob wir barock sind, darf bejaht werden. Im Begriff des Gelsenkirchener Barocks liegt abseits der spezifischen Möbelformen unser ganzes Vermögen, nämlich Tod und Teufel standzuhalten. Als kreatives Wesen ist der barocke Gelsenkirchener jederzeit in der Lage, aus sich heraus die Widersprüchlichkeit der Welt und die Heimatlosigkeit des Städters perspektivisch und schöpferisch zu überwinden. So ist uns der Gelsenkirchener Barock ganz unironisch zu einem positiven Begriff für unseren Kampf gegen Zerrissenheit, Verarmung der Seele und der Vergänglichkeit des Daseins geworden.“

 

Der Gelsenkirchener Künstler Jürgen Kramer (1948-2011) malte und schrieb Zeit seines Lebens gegen Technokratie, das „rechnende Denken“ und den Nihilismus, den er gerade in der Postmoderne allerortens um sich greifen sah. Er propagierte eine Rückbesinnung auf alte Werte, allen voran das Prinzip des dionysischen, und fand seine Lebens-Ideale zum Beispiel in der Romantik. In seiner Kunst verstand er sich ganz bewusst als „unzeitgemäß“ und scheute sich nicht, Bilder zu malen, die von manchen Zeitgenossen als „kitschig“ bezeichnet wurden.
Sein Text „Sind wir denn barock?“ entstand 2009 als ein Beitrag zum (nahezu vergriffenen) Buch „Gelsenkirchener Geschichten – eine Stadtbereisung“.

 

 

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