Ein Kommentar von Denise Klein
Spricht man über die Digitalisierung von Schule, dann ist es wichtig, erst einmal zu definieren, um welche Altersgruppe von Schülerinnen und Schülern es gehen soll. Längst hat der Markt die „Käuferschicht“ der Kinder ab zwei Jahren entdeckt und bietet für Mamas Handy Apps zur Unterhaltung und natürlich immer „Förderung“ der Kleinen an. Praktisch ist es auch; bunt und geräuschvoll ist das Kind somit erst einmal beschäftigt. Dass selbst Kleinkinder auf dem Display teilweise schneller an das Gewünschte kommen, als mancher Erwachsene, ist für viele der Beweis, dass man den kindlichen Wissensdrang auch bedienen müsse. Tatsächlich sind Kinder uns Erwachsenen in der Rasanz des Lernens um Längen überlegen. Aber das gilt für sämtliche Bereiche des Lernens – laufen, sprechen, soziale Interaktion, emotionale Entwicklung, das ganze Programm. Unentbehrlich ist dabei immer der Kontakt zu anderen Menschen, die nachgemacht, an denen ausprobiert, mit denen die Phantasie ausgelebt wird.
Erste Vorstöße, digitale Medien in die Kitas zu bringen, gibt es schon. Wie gesagt, es ist ein neuer Absatzmarkt. Nun kommt eine neue Zahnbürste für Kinder auf den Markt, die mit kleinen Spielen während des Putzens das Kind motivieren soll, dranzubleiben. Frustrationstoleranz, die wir zum Bewältigen des späteren Lebens leider dringend erwerben müssen, kann so nicht erlernt werden. Große Kritiker einer solch frühen Konfrontation mit digitalem Klimbim sind Hirnforscher, Entwicklungspsychologen, Kinderärzte sowie Kriminologen.
Wer sich für die Digitalisierung von Grundschulen ausspricht, führt gerne die Entwicklung von Medienkompetenz ins Feld. Doch was ist das überhaupt? Ein kleines Beispiel aus meiner eigenen beruflichen Praxis gefällig? Für einen Workshop zum Thema „Medien“ habe ich zwei Gruppen mit der Aufgabe versorgt, im Netz vertrauenswürdige Informationen zur STERN-Posse „Hitlertagebücher“ zu recherchieren. Die eine Gruppe bestand aus 16-Jährigen, die andere aus Elfjährigen. Und wir reden hier von Kindern aus bildungsnahen Elternhäusern. Während die Großen sich leicht das Gesuchte aneigneten, Wichtiges von Unwichtigem, Seriöses von Unseriösem unterscheiden konnten, waren die Kleinen hilflos überfordert. Sie konnten nicht mal richtig googlen. Nicht schlimm, dafür war ich ja da, aber ich bemerkte schnell, dass sie überhaupt nicht in der Lage waren, das System des Internets zu erfassen. Sie wussten zwar genau, wie es funktioniert, online gegen andere ein Spiel zu spielen oder sich Zusatzfunktionen herunterzuladen, aber das war´s auch schon.
Medienpädagogische Unterstützung ist der Kern der Digitalisierung von Schule, allerdings immer nur auf dem Niveau, dass Kinder auch bewältigen können. Für den Hirnforscher Gerald Hüther ist computerunterstützter Unterricht nur ein kleinster Teil der gesunden Entwicklung von kleinen Menschen. In erster Linie müssten Kinder ihre Welt begreifen lernen, auch haptisch, damit die richtigen Verknüpfungen im Hirn entstehen können. Wie sich das Wischen auf Smartphones auf das Gehirn auswirkt, stellten Schweizer Forscher 2014 fest. Sie erkannten eine deutlich veränderte Gehirnaktivität im somatosensorischen Cortex, wenn Daumen, Zeige- und Mittelfinger berührt wurden.
Doch alle Sinne wollen entwickelt werden. Besonders viele neue Verknüpfungen des Hirns werden durch gemeinsames Lernen und Erarbeiten hergestellt. Ja, Lehrer müssen auch im Digitalen besser befähigt werden, aber ob sich das auf das technische Wissen beschränken sollte, wenn es noch nicht mal eine veritable Studienlage gibt, die den Mehrwert des Einsatzes von Apps und Co. untermauert, ist fraglich. Wir sind mittlerweile in der Psychologie und Hirnforschung so weit, dass wir genau wissen, wie das Lernen funktioniert, was Hemmschuhe sind, was Kinder beflügelt. Aber auch ohne die Diskussion um Digitales an unseren Schulen ist unser Schulsystem so lernunfreundlich und wenig inspirierend, dass das Thema wieder einmal zum politischen Nebenkriegsschauplatz verkümmert. An eine wahrhaftige Schulreformn traut sich niemand. Das Hinterfragen der Sinnhaftigkeit von Noten, Persönlichkeitsbildung, Denk- und Diskussionsfähigkeit und, ja, auch die weichen Fächer wie Kunst, Musik und Theater befähigen junge Menschen, mündige Bürgerinnen und Bürger zu werden, die Sachverhalte einordnen können.
Auch in Zukunft braucht eine Gesellschaft nicht nur naturwissenschaftlich genordete Informatiker. Auf die besten Ideen kommt kein Algorithmus, sondern immer noch das minderbemittelte menschliche Hirn.