Gänsehaut-Feeling bei der Premiere von „neunzehnvierundachtzig“
Was würde George Orwell wohl sagen, wenn man ihn per Zeitreise aus dem Jahr 1949 in die Gegenwart katapultieren würde? Eine Zeit, geprägt durch Megakonzerne wie Google, Huawei, BlackRock und Apple. Eine Zeit, in der Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten ist und in China bis 2020 ein Social-Credit-System eingeführt werden soll. In seinem Science-Fiction Klassiker „1984“ beschreibt Orwell die Schrecken eines totalitären Überwachungsstaates, in dem die Privatsphäre vollkommen abgeschafft wurde. Eine Dystopie, die von den technischen Möglichkeiten der heutigen Wirklichkeit bereits in den Schatten gestellt wurde.
Diese Thematik, welche immer zeitnaher und aktueller zu werden scheint, war auch der Anlass für das Trias Theater, rund um Regisseur Jens Dornheim und Schauspieler Ulrich Penquitt, Orwells Roman in einer komprimierten Version auf die Bühne zu bringen.
Über allem steht der Konzern!
Mehrere Überwachungskameras zielen in das Publikum, das spartanische Bühnenbild erstrahlt in grellem Weiß und ein Gefühl des Unbehagens macht sich breit. Der Theatersaal im Kulturraum „die flora“ fühlt sich fast schon steril an – ein passender Auftakt!
Winston Smith ist unzufrieden: Sein Leben ist emotionslos, automatisiert und voller Tristesse. Er fristet ein Dasein mit stets gleichen Abläufen und Strukturen, geprägt vom allmächtigen Konzern, der als kontrollierender und machtbesessener Apparat über allem steht. Winston philosophiert über die Möglichkeiten der Freiheit und lernt Julia, eine junge, lebenshungrige Frau, kennen, die sich ebenfalls nach Liebe und Selbstbestimmung sehnt. Verbrüdert durch ihren Hass auf den Konzern, verlieben sich die beiden ineinander und beginnen damit, nach Alternativen zu suchen. Fündig werden sie scheinbar bei dem charismatischen und smart auftretenden O’Brien, welcher sich den beiden als Mitglied der Liga der Wahrheit, die Gegenorganisation zum Konzern, präsentiert. Winston und Julia geloben feierlich alles Menschenmögliche zu tun, um den Konzern zu stürzen, selbst wenn dies den Tod vieler Unschuldiger zur Folge hätte. Doch O’Brien treibt ein hinterlistiges Spiel: Winston und Julia werden verhaftet und die brutale Umerziehung beginnt.
Ein Klassiker reduziert auf die wichtigste Essenz
Dornheims Inszenierung konzentriert sich auf die wesentlichen Aussagen des Originals. Das Stück, von Penquitt verfasst, entpuppt sich durch die Komprimierung auf die drei Hauptakteure als Geniestreich: Lesley Higl verleiht Julia eine Aura der Lebensbejahung und Unbekümmertheit, gepaart mit einer großen Spur Naivität. Ihr körperbetontes Spiel unterstreicht die Natur der Rolle, die im Moment lebt und sich über etwaige Folgen keine Gedanken machen will. Frank Tengler mimt O’Brien mit einer derartigen Kälte und Unerbitterlichkeit, dass dem Zuschauer des Öfteren das Blut in den Adern gefriert. Tenglers Darstellung erinnert stark Christian Bales Rolle des Klerikers in „Equilibrium“ (dystopischer Science-Fiction-Film aus dem Jahr 2002, Anm. d. Red.) – eine Idealbesetzung für das Trias Theater. Ulrich Penquitt beweist als Winston Smith erneut, wie facettenreich seine Künste als Charakterdarsteller ausfallen. Der innerliche Zwiespalt, die Zerrissenheit zwischen Wagemut und Angst sind für den Zuschauer permanent spürbar. Absolutes Highlight: Die Folterszene, bei der Winston über mehrere Minuten hinweg mit dem Kopf unter Wasser getaucht wird – nichts für schwache Nerven! Abgerundet wird der eindrucksvolle Theaterabend durch die musikalische Untermalung von Danny-Tristan Bombosch und die Videosequenzen von Dirk Gerigk und Stefan Bahl (bs-films) – ein Feuerwerk für alle Sinne!
Hätte George Orwell im Publikum gesessen, wäre er wohl stolz auf das Trias Theater gewesen und hätte mit einem leichten Augenzwinkern verkündet: „Ich hab’s euch ja gesagt!“
Weitere Termine:
13.11.2019, 20:00 – 21:00 Uhr
Kulturraum „die flora“
Tickets unter: (0209) 169-9105 (14,00 €, ermäßigt: 12,00 €)