Familie auf Abstand

OnlyConnect! und Theater Essen-Süd
„Einfach das Ende der Welt“

Ein liebevoller Empfang sieht anders aus: Nach zwölf Jahren kehrt der Schriftsteller Louis überraschend zu seiner Familie zurück. Er ist krank, todkrank sogar. Vor seinem baldigen Ableben möchte er seine Familie über diese Umstände informieren, doch bei seiner Ankunft beginnt diese, untereinander zu streiten und sich gegenseitig mit Vorwürfen zu überhäufen.

Bereits bei der Eröffnung des Stücks bekommt man als Zuschauer*in ein unbehagliches Gefühl: Im Theater Essen-Süd wird die erste Szene außerhalb des Hauses präsentiert. Aus dem warmen Foyer erfährt man von Louis‘ Ankunft, während er draußen vor der Tür steht. Kalt muss ihm sein, und seine Stimme, welche per Funk auch im Innenbereich des Theaters gut zu hören ist, zittert vor Angst. Angst vor dem, was ihn erwarten wird. Sofort ist Panik angesagt. Seine Schwester, Suzanne, die ihren Bruder nicht mehr gesehen hat, seitdem sie ein kleines Mädchen war, ist voll von übertriebener Euphorie. Sein Bruder, Antoine, echauffiert sich lautstark über seinen plötzlichen Besuch, während seine Schwägerin, Catherine, beinahe katatonisch wirkt. Seine Mutter versucht noch krampfhaft und auf den letzten Drücker, die Küche zu putzen und fährt dabei dem einen oder anderen Theatergast mit dem Staubsauger über die Füße.

Vom Foyer geht es hinab in die Katakomben des Hauses. Das düstere Bühnenbild setzt die beklemmende Stimmung nahtlos fort. Streitgespräche über die vermeintlich unnötige Ankunft Louis‘ werden ihm von seiner Familie erneut an den Kopf geworfen. Die Unfähigkeit der Beteiligten, miteinander zu kommunizieren, und Louis‘ Gefühl, sich von seiner Familie emotional entfernt zu haben, machen es für ihn unmöglich, sein Geheimnis zu offenbaren. Dabei könnte es doch so einfach sein: Wenn Gefühle und Gedanken schonungslos und offen gezeigt würden, könnte sich die Familie großen Kummer ersparen. Als Zuschauer*in fühlt man die Last des Protagonisten permanent. Ein um’s andere Mal mag man sich selbst an Situationen mit der eigenen Familie zurückerinnern, die ebenfalls unnötig kompliziert und belastend gewesen sind – ein Spannungsfeld, das diese Inszenierung bis in die Spitze ausreizt.

Beeindruckender Einsatz von Technik

Während die verbalen Paukenschläge im Keller häufig in Paar-Dialogen zu sehen sind, zeigt eine Leinwand den Rest der Familie, die sich stets in wechselnden Auf- und Abgängen in die Küche zurückzieht. Alles ist live. Mit einer Videokamera, die jeweils von den Darstellern selbst geführt wird, entwickelt sich ein Guckkasten-Phänomen, das den Zuschauer*innen einen voyeuristischen Einblick in die Gefühlswelt der Figuren bietet, wenn sie sich scheinbar unbeobachtet fühlen.

Schauspielerisch zeigt sich das Ensemble von seiner besten Seite. Timo Knop und Aless Wiesemann liefern sich als Louis‘ Geschwister energische und zornige Wortgefechte. Es wird geschrien, getobt, getanzt und geweint. Sagar Seyedloo überzeugt als Catherine, die immer wieder versucht, Ruhe ins Geschehen zu bringen, allerdings an ihrem eigenen empathischen Unvermögen scheitert. Raphael Batzik mimt einen vortrefflichen Hauptcharakter. Seine innere Zerrissenheit und der Wunsch nach Liebe, welcher sich ohnmächtig und mit einem gewaltigen Wutausbruch in Luft auflöst, werden konstant und glaubwürdig gespielt.

Hier im Theater gibt es kein Happy End. Das kommt später, wenn sich die Gäste auf dieses Stück eingelassen haben und danach das Bedürfnis haben, Kontakt mit ihren Liebsten aufzunehmen“, beschreibt Julie Stearns, welche neben der exzellenten Darstellung der Mutter außerdem für die Regie verantwortlich ist. Wahre Worte, die einer finsteren Produktion, welche außerdem für den diesjährigen Theaterpreis der freien Szene in Essen nominiert ist, besonderen Nachdruck verleihen.

 

„Einfach das Ende der Welt“
von John-Luc Lagarce
Eine Kooperation zwischen Only Connect! und dem Theater Essen-Süd
Termine:
Samstag, 11. März 2023, 19:30 Uhr
Samstag, 13. Mai 2023, 19:30 Uhr
20 €, erm. 15 €
Reservierungen: Tel 01578 1566326
E-Mail: karten@theateressensued.de
THEATER ESSEN-SÜD
Germaniastraße 172, 45355 Essen
www.only-connect.de
www.theateressensued.de
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