Bitterböse Komik mit nur einer Hand

Bochumer Rottstr5-Theater begeistert mit der pechschwarzen Komödie „Eine Enthandung“

von Alexander Welp

Wer die Filme Brügge sehen… und sterben? sowie 7 Psychos aus der Feder von Martin McDonagh kennt und liebt, der weiß so ungefähr, wohin die Reise bei Eine Enthandung gehen wird: Knackige Dialoge, Humor so schwarz wie die Nacht und der Bruch mit der Political Correctness als Stilmittel prägen die Schreibe des britischen Dramatikers. Die Premiere mit Christopher Walken in der Hauptrolle war bereits 2010 ein großer Erfolg in New York, und die Absurdität der Geschichte ist wie gemacht für das kleine Theater unter den Bahngleisen, welches für seine ausgefallenen Inszenierungen bekannt ist. „Sie haben mir gewunken – mit meiner eigenen Hand! Wisst ihr, wie sich das anfühlt?“ Carmichaels Vergangenheit ist tragisch und geprägt von Enttäuschungen: Als er noch klein war, schnitten Jugendliche seine linke Hand ab und nahmen sie mit. Seitdem ist es seine Lebensaufgabe, seine Hand wiederzufinden und endlich mit diesem Kapitel abzuschließen – es ist immerhin seine Hand! Doch immer, wenn er glaubt, seinem Ziel näherzukommen, erwartet ihn eine Ernüchterung nach der anderen.

„Hallo? Ist da die Polizei?” – Das Gangsterpärchen Marilyn und Toby klammern sich an jeden Strohhalm. (v.l.: Deryl Kenfack, Sophia Schiller) Fotos: Philipp Niggemeier und Meike Willner
Dieses Mal aber hat er ein gutes Gefühl, denn das Gangsterpärchen Marilyn und Toby haben die Extremität gefunden – so scheint es zumindest. In Wahrheit sind die beiden lediglich an der Belohnung interessiert, die Carmichael für seine verlorene Hand bietet. Als er erkennt, dass ihm das Möchtegern Bonny und Clyde-Duo eine geklaute Museums-Hand präsentiert, eskaliert die Situation: Gefesselt und mit einer improvisierten Zeitbombe bedroht, harren Marilyn und Toby im Hotelzimmer aus. Hilfe versprechen sie sich nur vom exzentrischen Rezeptionisten Mervyn, der jedoch seine ganz eigenen Interessen verfolgt…
„Das ist nicht meine Hand!” – Carmichael durchschaut das falsche Spiel. (v.l.: Alexander Gier, Deryl Kenfack)

Temporeiches Kammerspiel mit Idealbesetzung

Regisseur Oliver Paolo Thomas holt das Maximum aus der McDonagh-Vorlage. Die skurrile Geschichte, die nur in einem Hotelzimmer erzählt wird, nimmt bereits in der ersten Sekunde volle Fahrt auf – ein lauter Pistolenschuss rüttelt jeden Zuschauer im kleinen Theater wach. Nachdem Carmichael Exposé-artig von seiner bitteren Vergangenheit berichtet, schwanken die Gefühle zwischen Mitleid und purer Abscheu. Oder ist seine Geschichte nur frei erfunden? An sich völlig egal, denn unterhaltsam ist es allemal, wenn Hauptdarsteller Alexander Gier zum schwungvollen Spiel ansetzt. Charismatisch, rau und stürmisch hetzt er von Situation zu Situation, und man bekommt es wirklich mit der Angst zu tun, wenn er stimmgewaltig seine Gegenspieler anbrüllt. Von der Tonlage könnte man übrigens meinen, dass mit Gier der Synchronsprecher von Bruce Willis auf dem Parkett steht: Vor dem geistigen Auge zeichnet sich stets das Bild von John McClane aus Stirb Langsam. Was Spielfreude und punktgenaues Tempo betrifft, steht das restliche Ensemble Gier in nichts nach. Da gibt es Deryl Kenfack in der Rolle des Drogendealers Toby, der stets betont, dass er ja „nur“ Gras unter die Leute bringt, was ja vollkommen OK sei.

Eine bedrohliche Lage – Wird Rezeptionist Mervyn doch noch zum Helden? (v.l.: Alexander Gier, Benjamin Werner)

Sophia Schiller glänzt als Marilyn, die nur zu oft an ihrem eigenen impulsiven Auftreten scheitert und kontinuierlich darum bemüht ist, politisch korrekt zu sein. Abgerundet wird das Quartett vom großartig aufgelegten Benjamin Werner als Hotelrezeptionist Mervyn mit seiner Vorliebe für die monogamen Gibbons, der eigentlich gerne ein Held sein mag, jedoch durch seine Naivität ins Straucheln gerät. Als Werner bei einem seiner rasant vorgetragenen Monologe textlich ein wenig den Faden verliert, löst er die Situation ohne aus der Rolle zu fallen mit einem flotten Spruch – Chapeau! Insgesamt bietet die Inszenierung anderthalb Stunden köstliches Entertainment, hält dem Zuschauer nur allzu oft den Spiegel vor – angesichts des oft drastischen Witz-Niveaus muss man als Zuschauer*in bisweilen schlucken – und zeigt, wie wichtig auch die kleineren Theater für unser aktuelles Kulturbedürfnis sind. Einen Scherz zum Abschluss lässt sich Regisseur Thomas nicht nehmen: Nachdem der Vorhang fällt, läuft der Beatles-Song I want to hold your hand – nicht schlecht, Herr Thomas, nicht schlecht!

Weitere Termine:

  1. November 2020 – 19:30 Uhr
  2. Dezember 2020 – 19:30 Uhr
    Karten: 0163 / 761 50 71
    14 € / 7 € (inkl. 1 Freigetränk)
    Rottstr5-Theater
    Rottstraße 5, 44793 Bochum
    www.rottstr5-theater.de
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