Zu Besuch im Atelier von Renate Brändlein
Farben, Formen, Pflanzen und Tiere, Alltagsgegenstände in hintersinniger Verwandlung, überraschende Kombinationen, die oft humorvolle Assoziationen wecken – ein Besuch im Atelier von Künstlerin Renate Brändlein ist wie ein Ausflug in eine leichtere Welt. Gelegen an der Bergmannstraße in Ückendorf ist ihr Atelier „Artdepot“ genannter Arbeits- und Ausstellungsraum Teil der legendären Galeriemeile, jener Straße mit der „höchsten Galeriedichte im Ruhrgebiet“.
Geht man mit Brändlein durch den Raum, weiß sie zu jedem Objekt eine Geschichte zu erzählen, seine Entstehung und Zusammensetzung zu erläutern. Vieles hier besteht aus Zufallsfunden oder auch Gegenständen, die Freunde und Bekannte ihr geschenkt haben. Etwa das verholzte, gewundene Stück einer Liane. Für Brändlein hat solch ein Objekt einen immanenten Aufforderungscharakter. Was daraus machen? Zwei Metallstücke bilden nun die Enden einer „Schlange“, wobei eines der beiden wie ein Gesicht wirkt. Die Liane selbst war erst naturbelassen grau, wurde später aber blau angemalt, wobei ihre ritzenartigen Vertiefungen wiederum schwarz hervorgehoben sind.
Ein Stück Wurzelholz wollte sein Geheimnis dagegen lange nicht preisgeben – bis die Künstlerin es mit einem Metallbügel kombinierte und es unversehens zum Handtäschchen wurde. Die Struktur des Wurzelholzes: „Sieht aus wie Kroko!“
Ebenfalls ein Geschenk war das alte, metallene Nudelsieb. In ihrem von unterschiedlichsten Dingen und allerlei Krimskrams überquellenden Fundus fand Brändlein schnell das entsprechende Pendant: Unter dem Titel „Kabelsalat“ ist das Sieb, mit bunten Kabeln gefüllt, nun augenzwinkernder Kunstkommentar.
Manches sei wirklich nur Spaß und „keine große Angelegenheit“ gibt Brändlein zu.
Eine Schnecke aus bemalten Ästen und einem runden Holzstück trägt zwei klassische Bürostempel als Augen. Und als der Künstlerin einmal ein kleines, asiatisch wirkendes Porzellanschüsselchen herunterfiel und in drei Teile zerbrach wurden aus diesen Scherben Schnauze und Ohren eines kecken Hundekopfes, der einen roten Flaschenöffner überzeugend als Zunge hervorstreckt. „Hasso“ steht am Sockel.
Auch mit Titeln treibt Brändlein bisweilen gern ein hintersinniges Spiel. Ein zierliches Beistelltischchen wird in Kombination mit einer alten Blechschaufel zu „Schüppendale“, eine Mistgabel dank Goldfarbe und einem Metallschnörkel zur „Gelsenkirchener Barockmistgabel“.
Manchmal aber ist die Natur bereits so ausdrucksstark, dass die Aufgabe der Künstlerin nur mehr ist, die Form zu „sehen“, so im Falle jener merkwürdigen Wurzel, die, richtig herum gedreht, in Brändleins Augen nichts anderes sein kann, als eine Flugente. – „Die Natur ist wahnsinnig gut. Es gibt nichts Besseres!“
Wenn sie in ihren Objekten etwas ausdrücken will, dann ist es oft ein Spiel mit Leichtigkeit und Schwere, oder: das Schwere leicht zu machen. Das gelingt der Künstlerin beispielweise, indem sie einen kantigen Schraubstock aus Eisen auf einem Wippen-ähnlichen Objekt ausbalanciert. Erst auf den zweiten Blick versteht man, was diese „Wippe“ eigentlich ist: eine Wandhalterung für Gartenschläuche, die sich, schlicht auf den Kopf gestellt, in etwas gänzlich anderes verwandelt hat. Verfremdung sei für sie ein wichtiges Mittel, erzählt Brändlein, die Dinge bekämen unerwartet einen anderen Sinn. Ein auf die Seite gelegter, gusseiserner Fleischwolf wird unversehens zur „Nähmaschine“, zwei hölzerne Kleiderbügel zu einer „Sichel“.
Und bisweilen stellt sich beim freien Spiel mit den Objekten auch tiefergehender Sinn ein. Auf einer Schwedischen Laterne (einem Holzstück, das als Vorglüher für ein Feuer dienen kann) ist ein alter Schlittschuh montiert, eine mit Draht umnetzte Gartenkralle wird zum Segel, eine weiße Gestalt scheint auf dem „Totenschiff“ zu liegen, bewegungslos, kein Fortkommen mehr, bis von unten her Flammen empor schlagen.
Ein Objekt, das an einen maroden, löchrigen Korb erinnert, wird bei Brändlein zum Sinnbild dafür, dass man im Leben nicht alles mit sich nehmen kann, Verluste gehörten zum Leben, das müssten gerade die vor Krieg Flüchtenden dieser Tage wieder erleben.
Eine ganze andere Welt tieferer Auseinandersetzung betritt man jedoch, wenn es um Brändleins Malerei geht. „Wenn ich eine weiße Leinwand habe und ein Bild im Kopf, dann passiert da nichts, dann kann ich nicht malen. Ich kann höchsten Farbflächen setzen, wie eine Brachlandschaft, und dann kann ich anfangen, da etwas herauszuholen, dann kommen die Ideen. Und das hat auch den Vorteil, dass ich vom Untergrund noch einiges transparent durchscheinen lassen kann. Ich gebe keine Leinwand auf, auch wenn es zuerst einmal nichts geworden ist.“
Die 79-Jährige ist seit Jahren aktiv an verschiedenen Ausstellungsprojekten mit Künstlerkollegen*innen beteiligt, sowohl in Deutschland als auch in Spanien – für Brändlein längst zweite Heimat. So entstanden Serien abstrakter Gemälde, etwa zum Thema „Hitze“. Eine Ausstellung zum Thema „Wasser“ musste in Spanien aufgrund des dortigen strengen Lockdowns verschoben werden, soll aber noch stattfinden. Hierfür thematisierte Brändlein malend die Umweltverschmutzung, die beispielsweise an den Stränden Mallorcas kaum noch zu übersehen ist. Ein aus zerstückeltem Plastik zusammengesetzter Fisch ist ebenfalls ein Kommentar hierzu. An der Costa del Azahar in der Nähe von Valencia erlebte Brändlein 2021 schwere Überschwemmungen, ähnlich überraschend wie im deutschen Ahrtal. Seinen Niederschlag fand dieses Ereignis in ihrer Malerei: Braunes Geröll schichtet sich übereinander, hier und da unversehens an menschliche Körper erinnernd.
In Spanien begann auch Brändleins Auseinandersetzung mit der Geschichte des Spanischen Bürgerkrieges (1936-1939), der im kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung bis heute eine große Rolle spielt. Ein Besuch in Corbera d’Ebre, Schauplatz der blutigen Ebroschlacht von 1938, führte zu intensiven Werken. So etwa „Rotes Kreuz“: Aus dem originalen Seitenteil eines alten Bettes in einem für Katalonien typischen Zimmermanns-Stil wird bei Brändlein hoch aufgerichtet ein Fanal gegen den Krieg. Ketten und Stacheldraht umfassen das Objekt. Ein rotes Kreuz mahnt an die Opfer. Gezeigt wurde das unter anderem auch in Gelsenkirchen in der St.-Georgs-Kirche, dort unter dem Thema „Barmherzigkeit“.
Aufgewachsen im Rheinland begann Brändlein bereits im Kindesalter, zu malen und zu zeichnen. Mit fünf Jahren gewann sie den Malwettbewerb einer lokalen Zeitung und konnte bereits früh perpektivisch zeichnen. In der Schule jedoch wurde sie von der Lehrerin ermahnt, weil diese der Aufassung war, bei den Bildern müsse doch wohl ein Erwachsener nachgeholfen haben. Schnell wuchsen Brändleins künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten. Lange Jahre malte sie naturalistisch, fein ausgeführte Landschaftsbilder etwa, die oft ihren Weg an die Wohnzimmerwände der Verwandschaft fanden. In den 1980er Jahren erprobte sie sich phasenweise auch an Material-Assemblagen, doch es war schließlich die abstrakte Kunst, welche sie (nach vielen Museums-Besuchen) regelrecht „packte“.
Beruflich schlug Brändlein, da im Elternhaus das Diktum von der „brotlosen Kunst“ galt, jedoch andere Wege ein und wurde Lehrerin. Als klassische Volksschullehrerin unterrichtete sie etwa an einer Grundschule in Essen-West. Gern erinnert sie sich an diese Zeit zurück, in der sie ihre künstlerische Ader zum Beispiel bei der Gestaltung von Arbeitsblättern für die Kinder einbringen konnte. Bis heute bestehen Kontakte zu ehemaligen Schülern*innen fort.
Im Jahre 2000 vorzeitig in den Ruhestand getreten begann Brändlein bald mit der Suche nach einem Atelierraum. Den fand sie schließlich in dem kleinen ehemaligen Ladenlokal an der Bergmannstraße 37. Als Mitglied des Bundes Gelsenkirchener Künstler (BGK) ist die insgesamt eher zurückhaltend auftretende Brändlein regelmäßig an Ausstellungsprojekten beteiligt, wie auch an den Galeriemeile-Aktionen „Tür auf!“ und „Licht an!“. Gerade letztere führten auch zu dem einen oder anderen Verkauf von Werken. Beliebt seien z.B. ihre „Blauschimmelkäse“, farbig bemalte und aufgeständerte Holzscheiben mit Käse-Löchern darin. Blauschimmelig waren dabei nur die ersten Exemplare, inzwischen gibt es sie in allen Farben. Insgesamt sei sie aber weit davon entfernt, von ihrer Kunst leben zu können.
Und auch Probleme kann der Standort im Szene-Kiez von Ückendorf mit sich bringen. So brachen nächtliche „Besucher“ ins Atelier ein sowie den Art-surpris-Kunstautomaten auf, der ursprünglich hier stand, wohl in dem Glauben, es seien Zigaretten darin. Der Automat war anschließend unbrauchbar.
Dann zerstörte ein Wasserschaden den Boden des Ateliers nachhaltig. Über ein Jahr konnte Brändlein den Raum nicht nutzen und musste zum Malen in einen Keller ausweichen.
„Das ist ein Kellerbild, das auch…“ sagt sie, wenn sie heute im wiederhergestellten Atelier durch die an der Wand lehnenden Leinwände „blättert“. Doch letztlich habe der Keller als Malort nicht auf ihre Kunst abgefärbt. Und diese, ob nun die Malerei oder die verspielten Objekte, ist für Renate Brändlein ein Muss:
„Die Arbeit hier im Atelier ist mein Lebenselixier, das brauche ich. Wenn eine Idee in der Umsetzung gelungen ist, bin ich der glücklichste Mensch der Welt!“
Atelier „Artdepot“ – Renate Brändlein
Bergmannstr. 37, 45886 GE-Ückendorf
Geöffnet nach Vereinbarung:
E-Mail: r.braendlein@t-online.de