Der Kulturentwicklungsplan
ist ein Scheinriese

von Michael Voregger

Seit mehr als einem Jahr arbeitet die Agentur „startklar“ an dem Kulturentwicklungsplan – von den Macher*innen kurz KEP genannt. Vorläufiger Höhepunkt sollte die KEP-Konferenz in Schloss Horst am 18. November sein. Bei Michael Ende ist der Scheinriese Tur Tur ein freundlicher Herr, der nichts für seine bedrohliche Erscheinung kann. In der politischen Debatte ist damit eine Erscheinung gemeint, die fälschlich oder unberechtigt das Bild von Größe, Stärke oder Macht zeigt. In Gelsenkirchen ist das aktuell der KEP.

Schon die Wortwahl ist dabei sehr verräterisch. Im Sprachgebrauch von Werbeagenturen, Beratern und PR-Profis ist hier vom „wording” die Rede. Der Begriff Entwicklung erinnert an staatliche Entwicklungshilfe in Ländern, wo Armut dominiert, Arbeitslosigkeit vorherrscht, verschiedene Bevölkerungsgruppen aufeinander einschlagen, es an gesellschaftlicher Dynamik fehlt, Bildung nicht für alle Menschen verfügbar ist und die politische Führung versagt. Vergleiche mit der Lage in Gelsenkirchen bieten sich also an. Der Blick von außen hilft manchmal, aber nicht immer. Eine Agentur aus Schwerte muss sich vor Ort erst orientieren, und die Moderatoren fahren am Abend nach den Veranstaltungen wieder zurück nach Hause. Das trifft auch auf viele Menschen in der kommunalen Verwaltung zu. So verklärt sich der Blick auf die Realität, und man erfährt nicht, was auf den Straßen der Stadt los ist.

Schon 1997 sang Frank Spilker von den Sternen aus Hamburg: „Denn von allen Gedanken, schätze ich doch am meisten die interessanten”. Leider war beim KEP im Schloss kein interessanter Gedanke zu erkennen. Und das nach einem Jahr der Aktivität der Agentur Startklar in Gelsenkirchen. Die Moderatoren von „startklar“ gaben sich begeistert von einer Bürgerbeteiligung von über 200 Menschen. Wer sich als Agentur sonst in Waltrop, Schalksmühle, Harsewinkel und Borken um Kulturförderung kümmert, ist durch ein Engagement von ein paar Hundert Bürger*innen leicht zu begeistern. Allerdings ist Gelsenkirchen immer noch eine Großstadt mit rund 260.000 Einwohnern. Besonders preiswert ist die Entwicklung eines Plans für die Kultur nicht. Stolze 120.000 Euro lässt die Stadt sich das Spektakel kosten. Viel Geld für wenig Inhalt.

Der Abend begann mit einem Grußwort von Oberbürgermeisterin Karin Welge. Dann kam Julian Rybarski auf die Bühne, der regelmäßig bei kommunalen Veranstaltungen zum Instrument greift. Etwas mehr Abwechslung ist das Gebot der Stunde, aber vielleicht ist da draußen auch niemand mehr. Die Kulturplaner waren jedenfalls nicht fündig. So dauerte es über eine Stunde, bis die anwesenden Bürger, Akteure und kommunalen Funktionäre aktiv wurden.

In einer Art „world cafe“ sollten an zehn Tischen nicht weniger als die kulturellen Leitlinien der Zukunft dieser Stadt besprochen werden. Allerdings hätte ich nach einem Jahr mehr Antworten als viele Fragen erwartet. Beim Tisch Kulturförderung, von den Macher*innen auch „Maßnahmencluster“ genannt, standen elf mehr oder weniger kryptische Punkte auf dem Zettel: „Entwicklung von Kriterien für die Abgrenzung der Projekt- von der institutionellen Förderung, Revision und Neuauflage der Förderrichtlinien für die freie Kulturarbeit”. Da bleibt kein Auge trocken. Im Laufe des Abends durften noch die Kulturdezernentin Anne Heselhaus und Andrea Lamest vom Referat Kultur zum anwesenden Stadtvolk sprechen. Offene Diskussionen oder Beiträge aus der freien Kulturszene gab es nicht.

Immerhin ist das bunte Layout der diversen Faltblätter auffällig, die in Umlauf gebracht wurden. Es erinnert an die Lavalampen der 70er Jahre. Leider ist der Ansatz der Agentur ebenso in die Jahre gekommen. Bunte Klebezettel, Barcamps und ein „world cafe” – alles altbekannte und in die Jahre gekommene Methoden aus dem Moderatorenkoffer inklusive beigelegter Anleitung. Wenn man auf solche Methoden setzt, sollten sie am Anfang des Diskussionsprozesses stehen und nicht am Ende.

In dieser Stadt ist Kultur schon jetzt nicht zum Nulltarif zu bekommen. Die Kulturkirche an der Bochumer Straße hat etwa 18 Millionen Euro gekostet, Emschertainment erhält jedes Jahr bis zu 2 Millionen Verlustausgleich aus dem städtischen Haushalt, und das Musiktheater bekommt jährlich stolze 14 Millionen an Subventionen. Bei der etablierten und fest angestellten Kulturförderung wird sich nichts ändern. Dafür gibt es weder ein politisches Interesse noch entsprechende Mehrheiten. Wobei die Frage erlaubt sein muss, ob sich eine Stadt wie Gelsenkirchen, diese Art der Förderung – und vor allem in dieser Höhe – für eine überschaubare Bevölkerungsgruppe leisten kann. Es muss mehr um die Förderung der freien und alternativen Kultur in der Stadt gehen. Alles andere ist sinnlos. Im Süden der Stadt haben zwei Drittel der jungen Menschen eine Zuwanderungsgeschichte – auf die eine oder die andere Art. Bisher tauchen sie in dem Plan der Kultur nicht auf. Hier stellen sich die Fragen eines „world cafes” auf eine besondere und ziemlich direkte Art.

 

In der ärmsten Großstadt Deutschlands braucht es Angebote, die nicht kommerziell und für alle hier lebenden Menschen offen sind. Ein Soziales Zentrum wäre da eine gute Idee. Also weg vom Clash der Kulturen hin zu neuer Gemeinsamkeit der getrennten und abgeschotteten Communities. Dabei ist Gelsenkirchen die Stadt der Zukunft.

Was hier gerade zusammenbricht und aufeinanderschlägt, ist nur ein Vorgeschmack der Perspektive in anderen Städten. Die Krise als Möglichkeit, Lösungen zu entwickeln, die der Gesellschaft helfen können. Leider hat die herrschende Politik inklusive der dysfunktionalen Verwaltung das bisher nicht begriffen. Hier herrscht weiter „the same procedure as every year”. Das haben wir immer schon so gemacht, nicht die Lösung suchen, sondern das Problem benennen, um sich nicht bewegen zu müssen. Stillstand als Lebenserhaltung.

Vielleicht wäre es eine gute Idee, die Aufgaben jemandem anzuvertrauen, der sich auf den Straßen der Stadt auskennt und nicht aus der Metropole Köln anreist. Das würde Zeit sparen, und eine Einarbeitung entfiele. Auch hier gibt es Menschen, die ein Projekt konzipieren und moderieren können. Vielleicht sogar mit einem Moderationskoffer im Schrank, der das Verfallsdatum nicht überschritten hat. Dann fehlt nur noch etwas wissenschaftliche Expertise, und es kann losgehen.

Ein mehrtägiger Workshop zur Zukunft der Kaue ist eine gute Idee, die Etablierung der Clubkultur auf der Bochumer Straße oder Hilfen zum Aufbau von so etwas wie Nachtleben eine andere. Die Fragen liegen dabei auf der Hand oder besser gesagt auf der Straße: Wer macht Kultur in der Stadt, wo findet sie statt, wie wird sie finanziert, wer besucht die Veranstaltungen, wen wollen wir erreichen und welche Angebote fehlen? Also mal bei den Menschen nachfragen, die hier noch Kultur machen, Kultur wollen und denen Kultur fehlt.

Ansonsten heißt es die Macher*innen – die noch da sind – zu stärken und zu halten. Kulturförderung mit finanziellen Mitteln und einen langen Atem ohne kurze Projektlaufzeiten. Neben dem Wohnzimmer in Heßler sollte die Bochumer Straße in Ückendorf ganz oben auf der Liste stehen. Die Etablierung eines Clubs könnte helfen. Kommunale Gesellschaften wie die SEG dürfen nicht beim Wettbewerb um Fördergelder als Konkurrenten freier Projekte mit geringer finanzieller Ausstattung auftreten. Die Kaue sollte alte Traditionen aufleben lassen und wieder ein Veranstaltungsort für viele Menschen und unterschiedliche Veranstaltungen werden.
Glückauf

 

Michael Voregger
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Der freie Gelsenkirchener Journalist Michael Voregger arbeitet für verschiedene Zeitungen und Rundfunkanstalten. Sein eigenes Projekt ist der Ruhrgebiets-Podcast „Emscherbote“.
www.emscherbote.de

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