Über die Juden von Buer

Neues Buch von Stadthistoriker Lutz Heidemann erzählt eine fast vergessene Geschichte

üdische Menschen sind im deutschsprachigen Raum seit dem Mittelalter präsent und leisteten, wenngleich stets eine Minderheit, ihren unverzichtbaren Beitrag zum Werden der Städte und ihrer Kultur. Ins Ruhrgebiet, und damit auch nach Buer, kamen jüdische Familien erst im Zusammenhang mit der Industrialisierung. Wie stark sie hier jedoch über die Jahrzehnte das Wirtschaftsleben mitprägten, ist heute nur noch wenigen bewusst. Die radikale Vernichtung während des Holocaust hat viele Spuren restlos beseitigt.

Das gilt auch für die Stadt Buer in Westfalen. Eine Gedenkstelle am Bueraner Hallenbad erinnert heute noch daran, dass die jüdische Gemeinde im Jahre 1922 genau hier eine Synagoge, ihr Gotteshaus, gebaut hatte. Neu entdeckte Fotos dieses Baus, von dem buchstäblich kein Stein mehr geblieben ist, weckten 2018 das Interesse des Gelsenkirchener Stadthistorikers Lutz Heidemann. Das Institut für Stadtgeschichte (ISG) hatte den Heimatforschern Karlheinz Weichelt und Thomas Such ein bisher unbekanntes, übergroßes Glasplatten-Foto vom Innenraum eines offensichtlich jüdischen Gebäudes zur Digitalisierung zur Verfügung gestellt. Heidemann erkannte schnell, dass es sich um die 1938 zerstörte Synagoge handeln musste und machte sich auf einen längeren Recherche-Weg. An dessen Ende kann er nun mit dem Band „Die jüdische Gemeinde von Buer und ihr Bethaus an der Maelostraße – Eine Spurensuche“ ein umfangreiches Werk zur fast vergessenen Geschichte der jüdischen Familien, Kaufleute und Unternehmer in Buer vorlegen, das nicht nur die neu entdeckten Innenansichten der Synagoge sowie zeitgenössische Berichte zu ihrer feierlichen Einweihung enthält, sondern den Leser auch mit zahlreichen historischen Abbildungen auf eine Reise durch die Straßen von Buer, Erle und Resse in der Vorkriegszeit mitnimmt und aufzeigt, wo jüdische Kaufleute ihre Lebens- und Wirkungsstätten hatten.
Genauso lernen wir eine Reihe von Persönlichkeiten der damaligen jüdischen Gemeinschaft kennen, etwa den Unternehmer Carl Hochheimer, der für seine Familie an der Cranger Straße eine heute noch bestehende Villa gebaut hatte, deren ursprüngliches Art Deco-Interieur in historischen Aufnahmen sichtbar wird. Oder den Namensgeber des Platzes am heutigen Hallenbad: den jüdischen Lehrer und Prediger Gustav Bär – Heidemann zeichnet seinen Lebensweg, der ihn von Gemen über Dorsten nach Buer und später ins amerikanische Exil führte, detailliert nach. Für Heimat-Interessierte eine echte Entdeckung ist der Erler Fotograf Oskar Ahron, der seine Stadt und ihre Entwicklung mit der Kamera festhielt, etwa den Bau der heutigen Kurt-Schumacher-Straße, die erste Straßenbahn, die auf ihr fuhr, oder auch die Fachwerkhäuser des längst verschwunden „Endhuk“ im alten Buer.
Die Listen der Mitglieder der jüdischen Gemeinde zeigen deren Entwicklung über die Jahre hinweg. Welche Berufe hatten die Menschen, wie viele Kinder, wo wohnten sie, und was befindet sich heute an diesen Orten? Hinter den Daten scheinen Lebensgeschichten auf.
Exkurse zur Geschichte der großen Kaufhäuser Alsberg, Weiser und Althoff runden den Band ab. Wussten Sie beispielsweise, dass es in den 1920ern am Goldbergplatz an der Stelle der heutigen Volksbank mit dem Kaufhaus der „Einheitspreis AG“ (EPA) den ersten richtigen „Discounter“ gab?

Auch wenn der Fokus des frisch erschienen Buches in der Hauptsache auf den Jahrzehnten jüdischen Lebens von der Kaiserzeit an liegt, so spielen ab dem Zeitpunkt der Machtergreifung der Nationalsozialisten natürlich auch die Vertreibungs- und Vernichtungsschicksale der Menschen eine Rolle.
Zudem zeigt Heidemann in einem abschließenden Kapitel, in welcher Weise man das Erbe und auch die konkreten Namen jüdischer Kaufleute in der Nachkriegszeit unter den Tisch fallen ließ und einen „Mantel des Schweigens“ über die jüngere Vergangenheit legte. Diesem Vergessen will Heidemanns Buch, das mit Unterstützung der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Gelsenkirchen e.V. entstand, deutlich entgegenwirken. Namen wie Kaufmann, Rennberg, Hochheimer, Eichengrün, Loewenstein, Lieber, Leyser, Katzenstein und viele andere haben ihren festen Platz in der Geschichte von Buer.


Lutz Heidemann

Die jüdische Gemeinde von Buer und ihr Bethaus an der Maelostraße – Eine Spurensuche

Reihe „Heimat Gelsenkirchen“, 330 Seiten
ISBN: 978-3-00-074030-5
30 €, erhältlich bei der Buchhandlung Kottmann, Nienhofstraße 1, 45894 GE-Buer

Das Kaufhaus Alsberg am Buerschen Stern (Goldbergplatz). Wir kennen heute den bald darauf an dieser Stelle errichteten Nachfolgerbau.
Das alte Buer im „Endhuk“ bei St. Urbanus – gesehen durch die Linse des jüdischen Fotografen Oskar Ahron aus Erle.
Das Modegeschäft der Geschwister Rennberg, Hochstraße 4, ca. 1910. Rennberg hatte auch eine Filiale in Ückendorf.
Der Innenraum der 1922 eingeweihten Synagoge an der Maelostraße war aufwendig und dem Zeitgeschmack entsprechend gestaltet.
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