Heidelbürger zeigen sich von Stadt enttäuscht
Gelsenkirchen ist nicht unbedingt der Anziehungspunkt von Visionären, die Geld mitbringen, Ideen umsetzen und Nachbarschaften stärken wollen. Dennoch entschlossen sich ein paar Menschen, das ehemalige Gemeindehaus der Heiligkreuzkirche in der Heidelberger Straße zu kaufen und zu einem alternativen Wohn-, Arbeits- und Nachbarschaftsprojekt mit kultureller Ausrichtung umzubauen. Die Heidelbürger oder Wohnkumpane, wie sie sich nennen, haben seit dieser Zeit das Gemeindehaus umgebaut, Wohnungen sind entstanden, doch das Projekt ist noch längst nicht abgeschlossen. Der angrenzende Kindergarten, der ebenfalls mitgekauft wurde, wartet seit nunmehr vier Jahren darauf, in das Heidelbürger-Projekt integriert zu werden. Die Stadt wollte nach einem Neubau die Kita freiziehen.
Zum Hintergrund: Die Stadt Gelsenkirchen sicherte der Trägergenossenschaft Ko-operativ eG zu, dass der Neubau des Kindergartens innerhalb eines Jahres realisiert werden würde. 45 Kinder warteten nun auf den Umzug in den Neubau in der Bochumer Straße. Auf Basis dieser Zeitplanung wurde das Wohnprojekt geplant und mit weiteren Genossen entsprechende Wohn- und Arbeitsperspektiven entwickelt. Mit der Stadt Gelsenkirchen wurde ein einjähriger Mietvertrag bis zum 31.7.2019 geschlossen. „Uns war es in dem Zusammenhang wichtig, den betroffenen Kindern, Mitarbeitenden und Eltern sowie der Stadt ein „Containerdorf“ zu ersparen“, so der Künstler Christoph Lammert von den Heidelbürgern.
Dass die Stadt diesen Termin nicht halten würde, erfuhren die Wohnkumpane allerdings aus der Zeitung. Doch anscheinend fühlte sich seitens der Verwaltung niemand berufen, mit den Eigentümern des Kindergartens in Verhandlungen zu gehen, vielmehr kam eine Verlängerung des Mietverhältnisses bis zum Juli 2020 erst durch die Initiative der Vermieter zustande. Die bilateralen Gespräche verliefen in der Zwischenzeit seitens der Stadt eher schmallippig, von einer informativen Bringschuld ganz zu schweigen.
„Wenn Gespräche auf den Weg gebracht wurden, dann immer durch uns. Und reagiert wurde nur, wenn wir uns an höhere Stellen wandten“, so Lammert über das Kommunikationsdesaster.
Nun mag die Hoffnung der Stadt gewesen sein, das Thema so lange wie möglich zu ignorieren. Doch die Wut auf Seiten der Wohngemeinschaft wuchs. Telefonate mit den verschiedenen Dezernenten, Gespräche mit der Oberbürgermeisterin, Briefwechsel mit dem Bauamt; statt Verbindlichkeit bekamen die Heidelbürger eher Floskeln serviert. Doch seit Juli 2020 sind schon fast zwei Jahre vergangen, und – man mag es erahnen – der alte Kindergarten ist immer noch in Betrieb, der Neubau noch nicht fertig.
Auf Pressenachfrage, warum das Bauprojekt im April 2022 nicht abgeschlossen sei, sagte Stadtsprecher Martin Schulmann, das Bauunternehmen habe zunächst den Baustart stark verzögert und anschließend sehr schlecht gearbeitet, so die WAZ. Nachdem der geplante Auszugstermin im Juli 2020 seitens der Stadt wieder nicht gehalten werden konnte, vereinbarte man eine monatliche Verlängerung, „Sicher nicht wesentlich länger als drei Monate“, zitiert Christoph Lammert das damalige Versprechen der Stadt. Diese Interimslösung dauert nun 21 Monate.
„Alle Beteiligten waren sich in diesen Verhandlungen also darüber im Klaren, dass weitere Verlängerungsoptionen nicht unendlich in Anspruch genommen werden können. Um die steigenden Baukosten der Genossenschaft wenigstens teilweise zu kompensieren und das Wohnprojekt und die Genossenschaft vor einer finanziellen Schieflage oder Gefährdung zu bewahren, wurde eine monatliche Zuzahlung vereinbart, falls es zu einer Bauverzögerung von mehr als sechs Monaten kommen sollte“, so Lammert.
Für die Wohnkumpane bedeutet dieses Hinhalten eine Kostensteigerung von rund 1,2 Mio. Euro. Die Familien, die den Kindergarten als Wohnraum nutzen wollen, sehen ihre eigenen Kinder in der Zwischenzeit groß werden.
Aufgeschreckt durch einen Bericht in der WAZ vom 19. April versicherte die Stadt nun einen Auszugstermin zum 15. Mai. Die Heidelbürger sind gespannt.