Zur Geschichte eines
besonderen deutschen Kuchens
Von Jesse Krauß
Jaaa, wer mag ihn nicht, den Bienenstich-Kuchen? Unten ein Boden aus Hefeteig, darüber eine dicke Schicht süßer Sahnecreme, und oben drauf ein „Deckel“ aus karamellisiertem Zucker und Mandelsplittern. Das ist sooo lecker! Aber wusstet Ihr auch, dass der Bienenstich in Deutschland erfunden wurde und in anderen Ländern oft gar nicht bekannt ist? Und wenn doch, dann gilt er als ein „typisch deutscher Kuchen“.
Doch wann und von wem genau wurde der Bienenstich eigentlich erfunden? Und warum hat er diesen komischen Namen, denn man wird ja nicht von Bienen gestochen, wenn man ihn isst, oder? – Um es gleich zu sagen: Eine echte Antwort auf diese Fragen gibt es leider nicht, denn der Erfinder des Bienenstichs ist unbekannt. Aber zumindest gibt es eine schöne Geschichte dazu, um nicht zu sagen: eine Sage!
Die Bienenstich-Sage spielt im Mittelalter, genauer; im Jahre 1474 (also noch bevor Kolumbus Amerika erreichte!). Damals waren die Einwohner des kleinen Städtchen Linz am Rhein ziemlich sauer, denn der Kaiser hatte ihnen das Recht entzogen, den Rheinzoll zu erheben, das heißt von den Schiffern auf dem Rhein Geld zu kassieren, wenn diese vorbeifahren wollten. Das durften jetzt stattdessen die Einwohner der Stadt Andernach weiter südlich am Rhein.
Weil es hier natürlich um eine Menge Geld ging, beschlossen die Linzer, sich an den Andernachern zu rächen. Bei Nacht und Nebel zogen sie los, um Andernach anzugreifen. Dort schliefen alle friedlich in ihren Betten, und niemand ahnte etwas von dem drohenden Unheil. Zufälligerweise waren aber zwei Bäckerjungen auf der Stadtmauer unterwegs, weil es dort Bienenkörbe gab, aus denen sie ein bisschen Honig naschen wollten. Auf einmal sahen sie im Mondschein die herankommenden Linzer. Kurzentschlossen packten sie ein paar Bienenkörbe und warfen sie auf die Angreifer hinunter. Die Bienen rasten heraus und – tja, man kann es sich denken, das gab eine Menge Bienenstiche!
Währenddessen läuteten die Bäckerjungen eine Turmglocke, um alle zu wecken. Die Andernacher strömten herbei. Von den Linzern war da aber schon nicht mehr viel zu sehen, denn die hatten vor den Bienen die Flucht ergriffen.
Am nächsten Tag feierte man in Andernach den Bäckerjungen zu Ehren ein großes Fest. Dabei wurde auch ein extra neu erfundener Kuchen serviert – und den nannte man: Bienenstich.
Soweit die Sage. Ob sie wahr ist? Sagen wir mal so: Beweise für ihre Richtigkeit gibt es keine, auch wenn man das in der Stadt Andernach natürlich bis heute etwas anders sieht. Dort kann man nämlich nicht nur einen in jüngerer Zeit aufgestellten Bäckerjungen-Brunnen besichtigen, sondern auch etwas richtig Altes: zwei verwitterte Steinfiguren als Schmuck an einem alten Stadttor. Für die Andernacher sind es zweifelsfrei die mutigen Bäckerjungen „Fränzje“ und „Döres“ („Fränzchen“ und „Theodor“). Da alle anderen Andernacher in der Nacht des Angriffs schliefen, werden sie auch „Andernacher Siebenschläfer“ genannt (im örtlichen Dialekt: „Annenache Siwweschlööwe“).
Naja, trotzdem gibt es berechtigte Zweifel an der sogenannten „Bäckerjungensage“, das fängt schon damit an, dass die älteste Niederschrift erst aus dem 19. Jahrhundert stammt. Natürlich gab es in alter Zeit immer mal wieder Streitigkeiten um Zollfragen oder auch Fehden zwischen Städten, aber in Bezug auf Linz und Andernach gibt es für so etwas keine Belege.
Auch in Sachen Bienenstich-Kuchen gilt es eines zu bedenken. Eine Sahnefüllung, wie sie zum Rezept gehört, kann schnell verderben, weshalb man Bienenstich im Kühlschrank lagern sollte. Aber den gab es im Mittelalter ja noch gar nicht. Tatsächlich wurden die meisten heute üblichen Sahnetorten erst im 19. Jahrhundert erfunden, als es in vielen Haushalten zumindest schon Eisschränke gab, also Schränke, in denen ein dicker Eisblock für Kälte sorgte. Zudem könnte das Wort „stich“ in Bienenstich auch einfach bedeuten, dass eine flüssige Masse fest geworden ist, ähnlich wie bei Eierstich, hier aber gemünzt auf den Karamelldeckel.
Wer also auch immer wann und wo den Bienenstich erfunden hat – eines steht fest: das war eine verdammt gute und leckere Idee!