Auf den Spuren des Ruhrgebiets-Künstlers Many Szejstecki
von Horst Wnuck
In der U-Bahn-Station Trinenkamp der Linie 301 bin ich gestartet, und gelandet bin ich am Ende irgendwo im Niemandsland zwischen Hassel und Westerholt. Wie ich mit der U-Bahn nach Westerholt gekommen bin? Gar nicht, denn ich bin nicht U-Bahn gefahren, sondern dem Wirken von Many Szejstecki gefolgt – über den ich in der U-Bahn gestolpert bin.
Die U-Bahn-Station am Bismarcker Trinenkamp zieren vier Werke von Many Szejstecki, aus denen ich auf den ersten Blick nicht so richtig schlau wurde. Doch wer war denn überhaupt dieser Künstler?
Manfred „Many“ Szejstecki starb im Januar 2016 im Alter von 84 Jahren. Als er mit 52 in den Ruhestand ging, hatte er eine Bergbau-Karriere hinter sich, die er als jugendlicher Bergmann begonnen, als Reviersteiger fortgeführt und 1984 als Bergbauingenieur beendet hatte. Bereits in den 1960er Jahren fing er parallel dazu an, künstlerisch zu zeichnen. 1976 begründete er die bis heute bestehende Künstlergruppe „werkstatt“ in Buer.
Im Ruhestand ging er dann voll in seiner Kunst auf und erregte durch seine gigantischen, perspektivischen Bergbaupanoramen einige Aufmerksamkeit.
Er war Teil einer besonders im Ruhrgebiet verbreiteten Bewegung, die sich mit der nahen Arbeitswelt künstlerisch auseinandersetzte. So stellte er gemeinsam mit Tisa von der Schulenburg aus und war mit Helmut Bettenhausen, dem Gründer der ersten Künstlerzeche der Welt in Wanne-Eickel, vernetzt. Seine Werke wurden ausgestellt im Deutschen Museum in München, im Gropiusbau in Berlin oder auch in Nottingham. Sie sind heute in der Ruhr-Uni genauso zu finden wie im Bergbaumuseum oder auf Zollverein.
Manche seiner großen Panoramen wirken wie aufgerissene Sardinendosen, in denen die Landschaft über- und untertage perspektivisch ausgeleuchtet wird. Mal ist der Blickwinkel dabei von oben nach unten gerichtet, mal wird das Gelände von tief unter der Erde aus der Maulwurfperspektive der Bergleute gezeigt. Die akribisch erstellten Panoramen haben etwas von dreidimensionalen Landkarten, die zeigen, wie es unter der Erde an bestimmten Orten des Reviers aussieht.
Bei seinen Kunstwerken konnte Szejstecki seine Erfahrungen aus dem Bergbau quasi weiter nutzen.
Er entwickelte ein Gitternetzwerk, das seine Panoramen wie frühe 3-D-Simulationen am Computer erscheinen ließen. Und tatsächlich erarbeitete er seine Collagen später auch an einem Commodore 64 PC. Den ziemlich verrückten Plan, ein multimediales Gesamtpanorama des Ruhrgebiets zu erstellen, konnte er am Ende nicht mehr verwirklichen.
Vor diesem Hintergrund erschließen sich nun auch die Werke in der U-Bahn Trinenkamp. Es ist der Blick von unten aus dem U-Bahn-Schacht hinauf zur Stadt. Auch ein geniales Bilderrätsel für Ortskundige.
Die letzte Station der Bergbau-Karriere Many Szejsteckis war die Zeche Westerholt. Hier auf Schacht 3 wurde die letzte Kohle unter den Städten Gelsenkirchen, Herten und Dorsten gefördert. Der Zechenverbund auf der Stadtgrenze zwischen Gelsenkirchen und Herten nannte sich zuletzt Bergwerk Lippe. Hier ging die Bergbaugeschichte schon 2008 zu Ende, also zehn Jahre vor Schließung der letzten Ruhrgebietszeche in Bottrop-Kirchhellen, aber deutlich später als auf Hugo oder Ewald, die schon im Jahr 2000 geschlossen wurden. Durch Zufall erfuhr ich davon, dass Many Szejstecki auch hier ein Kunstwerk hinterlassen hat. Das wollte ich mir mit eigenen Augen ansehen. Also machte ich mich auf zur Zeche Westerholt.
Auf dem ehemaligen 37.000 Quadratmeter großen Zechengelände sind große Dinge geplant. Die Städte Gelsenkirchen und Herten sowie die RAG haben sich zu einer Kooperation zusammengetan und die Entwicklungsgesellschaft „Neue Zeche Westerholt“ gegründet. Unterstützt werden sie dabei von EU, Bund und Land.
Es wurde von vielen Expertenteams und mit Beteiligung der Menschen in den Quartieren ein Masterplan erstellt, der die Zukunftsperspektive des Areals aufzeigen soll. Durch die künftige diverse Nutzung sollen neue Atmosphären entstehen, und die Menschen sollen die Chance erhalten, sich das alte Zechengelände zu erobern.
Die ehemaligen Torhäuser der Zeche
zeigen sich nach ihrer denkmalgerechten Modernisierung bereits als kleine Schmuckstücke. Neben der Entwicklungsgesellschaft hat in ihnen auch das Stadtteilbüro Hassel Westerholt Bertlich ein Zuhause gefunden.
Das alte Zechengelände soll zukunftsfähig gemacht werden und dabei positiv auf die Stadtteile ausstrahlen. Der Rückbau der früheren industriellen Anlagen hat bereits begonnen, aber noch liegt ein weiter Weg vor den Akteuren.
Hier auf „seiner“ letzten Zeche verewigte sich Many Szejstecki abseits von seinem Hauptwerk mit einem Kaskadenwasserspiel. Aus den Resten einer alten Anlage zur Kohlenwäsche, die nach der Errichtung einer neuen Anlage überflüssig wurde, bastelte der Künstler und Ingenieur ein Wasserspiel. Es war kein Wasserspiel, wie es vor mondänen Burgen oder Schlössern zu sehen ist, sondern eines vor einem Zechengebäude, und es erstand aus typischen Materialien des Bergbaus.
Einen „Wanderer zwischen den Welten“ sieht Lukas Schepers in Many Szejstecki. Der aus Buer stammende und in Hamburg lebende Kunsthistoriker sagt: „Für die Bergleute war er ein Künstler, in der Kunstszene war er der Bergmann.“
In seiner Autobiografie drückte Szejsteckis selbst die Verbindung von Arbeit und Kunst in seinem Leben so aus: „Ich glaube, bei mir bedingen sich Beruf und Berufung. Das eine befruchtet das andere.“
Schepers hat sich intensiv mit dem Wirken Szejsteckis beschäftigt und auch den umfangreichen Wikipedia-Eintrag sowie kunsthistorische Texte zu dem Künstler verfasst. Gemeinsam mit Szejsteckis Sohn Roland arbeitet er – auch auf dessen Initiative hin – das Wirken des Künstlers auf. Er denkt nun über eine Ausstellung des Gesamtschaffens Szejsteckis nach.
Lukas Schepers ist fasziniert von den Panoramen mit ihrer anschaulichen Verbindung von über- und untertage:
„Szejsteckis Werk veranschaulicht sehr plastisch, welcher riesige Ameisenhaufen da unter der Erde tatsächlich am Werk war, und holt diese Szenerie anschaulich ans Tageslicht. Auch, wenn heute kein Bergbau mehr stattfindet, so wäre das Ruhrgebiet ohne dieses Geschehen unter der Oberfläche nie so entstanden, wie wir es heute kennen.“
Das Wasserspiel ist derzeit nicht mehr in Betrieb. Das Gelände, auf dem es steht, unterliegt noch dem Bergrecht und ist nicht öffentlich zugänglich. Das Wasserspiel, das 1990 errichtet wurde, zu einer Zeit als manche noch an eine Zukunft des Bergbaus im Ruhrgebiet glaubten, ist heute zugewachsen von wild wuchernden Pflanzen und in einen Dornröschenschlaf gefallen.
Derzeit stehen die Chancen aber wohl nicht schlecht, dass es im Rahmen einer neuen Nutzung des Geländes in Zukunft mehr Aufmerksamkeit erhalten wird, zumal Wasserspiele derzeit ziemlich angesagt sind. Jedenfalls sind die Chancen darauf besser, als einmal mit der U-Bahn nach Westerholt zu fahren.
Wunderbar Denise.
Egon Kopatz