Wenn eine Stadt nicht mehr funktioniert
Mein Pass läuft ab. Ich schiebe es schon eine Weile vor mir her, denn vom letzten Mal weiß ich: Es wird anstrengend. Aber heute, so denke ich, lebend in einer digitalen Modellstadt, wird das Ganze doch einfacher und schneller vonstattengehen.
Leider sind auf der Homepage seit Wochen alle Termine, die für die nächsten drei Monate eingestellt sind, schon vergeben. Ich könne morgens versuchen, anzurufen und einen freigewordenen Termin ergattern. Schwierig, wenn man berufstätig ist und seine Zeit nicht auf dem Bürgeramt verbummeln kann. Gerne würde ich auch die Reisepässe der Kinder beantragen, aber die müssen tatsächlich mitkommen. Wie soll das gehen? Schule und so. Ohne festen Termin ist das nicht planbar, doch das scheint keine Rolle zu spielen.
Wenn eine Stadt es nicht schafft, ihre grundlegendsten Bürgeraufgaben zu bedienen, dann fragt man sich, was in der Verwaltung schiefläuft?
Von einem Bekannten hörte ich, dass er ein Gewerbe anmelden wollte. Der Garten- und Landschaftsbaumeister wollte sich eben in dieser Branche hier selbständig machen. Immer wieder versuchte er, telefonisch nachzufragen, er spricht von 30- bis 40-mal. Nichts, tot, keiner ging dran. Sein Trick, sich über das im selben Gebäude ansässige Ordnungsamt einfach intern verbinden zu lassen, klappte sofort. Endlich, nach 13 Wochen Warterei, hatte er einen wahrhaftigen Menschen am Telefon, der ihm Auskunft über den Stand der Dinge erteilen würde. Mein Bekannter ist ein sehr direkter Mensch. Auf seine Frage, was denn da in der Gewerbemeldestelle bloß los sei, wurde ihm erklärt: es sei ja schließlich Corona. Das war im Mai 2022. Dass er im Laufe der Wartezeit viele Aufträge verloren hätte und kurz vor der Insolvenz stünde, interessierte nicht. Schließlich würden alle anderen auch so lange warten müssen. Dass mein Bekannter in seiner Not ein bisschen Vitamin B einsetzte und jemand „von oben“ beim Gewerbeamt zum Fall anfragte, goutierte der entsprechende Sachbearbeiter mit einem Antwortschreiben, das drei Tage später im Briefkasten lag. – „Zuerst dachte ich, super, klappt doch. Aber das Schreiben war eine unfassbare Unverschämtheit, das war reine Schikane“, erzählt er mir.
Die Anmeldung des Gewerbes wurde abgelehnt. Tatsächlich verlangte das Amt einen Nachweis über seine abgeschlossene Straßenbauerausbildung, die man haben müsse, wolle man Natur- und Betonsteinarbeiten anbieten. Ferner solle er nachreichen, Metallbauer zu sein, da er vorhabe, Zäune und Tore aufzustellen. Zu guter Letzt wollte man den Nachweis über einen Zimmerermeister, da der Holzterrassenbau nur von einem solchen durchführbar sei. Seine Antwort an die Behörde:
„Ich bitte hier dringend darum, die von der HWK mehrfach thematisierte Gewerkeabgrenzung zu studieren, da diese die besagte Thematik in aller Deutlichkeit definiert hat. Persönlich kann ich mich auch nicht daran erinnern, je einen Metallbauer gesehen zu haben, wie dieser einen Zaun aufstellt. Der Zimmerer macht z.B. Dachstühle, jedoch hat dieser nichts mit einer Holzterrasse zu tun. Der Zimmerer fertigt dafür nicht einmal die Dielen an, dies tut das Sägewerk. Das Verlegen von Natursteinarbeiten beispielswiese stellt eine der grundlegendsten Berufsfelder des Garten- und Landschaftsbaus dar und ist selbst im Ausbildungsrahmenplan des entsprechenden Gewerkes ein fester Bestandteil. Ich frage mich, ob hier von Vorsatz auszugehen ist. Da sich meine Anmeldung derweilen erledigt hat, bitte nun ich darum, von weiterer Kontaktaufnahme abzusehen.“
Die Anmeldung in einer anderen Stadt dauerte sage und schreibe eine halbe Stunde, inklusive Fahrzeit, dann hatte er anstandslos sein Gewerbe. Man durfte sogar persönlich rein, trotz Corona. Gekostet hat den zweifachen Familienvater die Wartezeit durch die Gelsenkirchener Behörde rund 12.000 Euro an nicht durchführbaren Aufträgen. Dysfunktional ist hier ein sehr mildes Wort, um das Gebaren der Gewerbemeldestelle zu beschreiben.
Sie können jetzt sagen, das seien alles anekdotische Erfahrungen, nicht repräsentativ. Das stimmt nur so halb. Schaut man sich die Google-Bewertungen an, tut sich ein wahrer Abgrund auf. Und wie so immer, gibt es auch hier solche und solche. Mitarbeiter, die ihren Job nett und höflich machen, Kollegen, die innerlich gekündigt haben und jeden Bürgerkontakt als Zumutung empfinden. Die immer wiederkehrenden Artikel in der WAZ zu den Zuständen im Straßenverkehrsamt sind sicher auch den isso.-Lesern bestens bekannt, wir wollen hoffen, nicht aus eigener Erfahrung. Es will an Klagen über unhaltbare Zustände nicht enden, seit Jahren.
Ein weiteres kleines Beispiel für die missverstandene Bürgernähe der Verwaltung gefällig? Meine Freundin hat sich ein Haus gekauft und musste nun sich, ihren Mann und ihre vier Kinder ummelden. Innerhalb dieser Stadtgrenzen. Wie schon gesagt, keine Termine frei. Leider hat man nur eine sehr enge Frist, in der man sich straffrei ummelden kann. Deshalb probierten sie die Telefonlotterie und, welch´ Freude, man durfte sich im Bürgercenter Horst einfinden. In einem Vorraum versammelten sich all die Glücklichen, deren Anliegen heute behandelt werden würde. Ein Securitymann, sehr jung, sehr – sagen wir – sozial eher unerfahren, schritt die Wartenden ab, um für alle anderen hörbar nach dem Begehren zu fragen. Datenschutz oder Privatsphäre spielen hier keine Rolle.
„Jeder konnte hören, wer was wollte. Name, Adresse, alles vor allen Ohren abgeklärt“, sagt mir meine Freundin, bevor sie mir erzählt, dass der junge Sheriff sie eigentlich fast wieder nach Hause geschickt hätte. Denn als Familie hätte man nicht nur einen Termin buchen müssen, nein, ganze sechs, denn schließlich seien es sechs Personen, die sich ummelden müssten.
Uff, da kann man fast nichts mehr sagen. Geklappt hat es doch noch, auf nettes und beharrliches Drängen des Familienvaters, Sozialarbeiter, der weiß, wie man mit schwierigen Fällen umgehen muss.
Nun will man all den netten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadtverwaltung nicht Unrecht tun, gerade jenen, die geduldig und freundlich versuchen, Dinge möglich zu machen, Lösungen zu suchen und mit Menschlichkeit zu glänzen. Doch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese eher die Minderheit ist. Dass Corona immer noch als eine Ausrede für geschlossene Türen, lange Wartezeiten oder nicht besetzte Telefonanlagen herhält, ist frech.
Vielleicht sollte die Stadt Gelsenkirchen ihre Mitarbeiter in Sachen Servicefreude besser schulen. So etwas gibt es. Da wird eine höfliche Ansprache geübt, Mundwinkeltraining gibt es auch, und für besonders nervöse Mitarbeiter haben sich Kurse der transzendentalen Meditation bewährt. Ein gut funktionierender Bürgerservice, der einmal eine Selbstverständlichkeit war, hat einen unmittelbaren und messbaren Effekt auf die Stimmung, die Identifikation mit der eigenen Heimatstadt und ist sicherlich wirksamer als teure Imagekampagnen. Frau Oberbürgermeisterin Welge, Ihr bunter Haufen braucht dringend Unterstützung!
Welche Erfahrungen haben Sie mit der Gelsenkirchener Verwaltung gemacht? Online-Termine auf Monate ausgebucht, lange Bearbeitungszeiten, willkürlich wirkende Behandlung. Die Probleme in der Gelsenkirchener Verwaltung werden immer offensichtlicher. Wir wollen die Probleme besser verstehen. Deshalb möchten wir von Ihnen wissen, welche Erfahrungen Sie in letzter Zeit mit der Gelsenkirchener Verwaltung, zum Beispiel den Bürgercentern oder dem Straßenverkehrsamt, gemacht haben. – Beantworten Sie dafür einfach unsere kurze Online-Umfrage! community.isso-online.de/callouts/verwaltung
Mein Hund ist verstorben, ich habe einen anderen Hund. Seit 2018 versuche ich, eine Hundemarke zu erhalten. Weder das Amt für Hundesteuern noch das Bürgercenter sind zuständig – in unregelmäßigen Abständen versuche ich, das Hundesteueramt anzurufen. Anfangs habe ich drei Tage am Stück zigmal versucht, niemand nimmt ab. Da ich vollberufstätig bin probiere ich es mal zwischendurch. Termin für meinen ablaufenden Personalausweis habe ich Anfang Juli 2022 beantragt, im Oktober war einer frei. Immerhin mit so viel Vorlauf, daß ich rechtzeitig Urlaub beantragen konnte. Die Mitarbeiter in Horst im Bürgercenter sind jedoch sehr freundlich, ich war tatsächlich überrascht. Und das sagt auch einiges aus, meine ich. Wenn man eine unfreundliche Behandlung erwartet und dann auf wirklich sehr nette Mitarbeiter trifft.