Selbstzerstörerisches Familiendrama

Eine Rezension von Alexander Welp

 

Couragierte Inszenierung von Henrik Ibsens Gespenstern

 

Lügen, Verrat und menschliche Abgründe – mit seinem Werk hält Ibsen einer verrohten Gesellschaft den Spiegel vor und kritisiert längst überholte Konventionen. Brutal und schonungslos ehrlich beschreibt das Stück den tragischen Zerfall einer Familie. Unter der Leitung von Simone Thoma inszeniert das Theater an der Ruhr in Mülheim eine Adaption des Stoffes, die dem Zuschauer eine Gänsehaut einflößt und mit brillanten Darstellern glänzt.

Der verstoßene Sohn (Roberto Ciulli als Osvald; Foto: Franziska Götzen)

Witwe Helene Alving steht vor einem Trümmerhaufen. Zu lange wurden die Verbrechen ihres verstorbenen Mannes von ihr vertuscht. Ein Scheusal war er, der alte Kammerherr Alving. Erkrankt an Syphilis und dem Alkohol verfallen, vergewaltigte er einst ein Dienstmädchen, zeugte mit ihr eine Tochter und für 300 Taler zwang er die schwangere Frau zu einer Ehe mit dem einfältigen Tischler Engstrand. Osvald, ihren eigenen Sohn, gab Helene Alving früh fort, um zu verhindern, dass der Junge in solch niederträchtigen Verhältnissen aufwachsen muss. Nun ist Osvald zurück, selbst schwer erkrankt und sucht nach Zuflucht und Liebe bei seiner Mutter. Als Opfer und Mittäterin zugleich, wird Helene Alving von ihrer eigenen schmutzigen Vergangenheit heimgesucht. Der Zuschauer erlebt im Folgenden einen Theaterabend, welcher mit einer schaurigen Geschichte entsetzt und die Protagonisten als gepeinigte Existenzen präsentiert.

 

Der Wahnsinn nimmt überhand (Petra von der Beek als Helene Alving, Roberto Ciulli als Osvald; Foto Franziska Götzen)

 

Thoma inszeniert gleichermaßen spannend, düster und anstrengend. Längere, statisch wirkende Szenenbilder sorgen für Unbehagen, unterstützen aber die verabscheuungswürdige Erzählung. Die musikalische Untermalung von Matthias Flake sorgt für eine melancholische, fast schon depressive Grundstimmung und unterstreicht die triste Atmosphäre perfekt. Abgerundet wird das traurige Gesamtbild von einer Kulisse, welche der gebrochenen Natur der Handlung in nichts nachsteht: Ein beschädigtes Klavier, uralte Kerzenständer und Kronleuchter sowie ein lieblos arrangiertes Mobiliar verdeutlichen die Sterblichkeit vom Glanz längst vergangener Tage. Auch darstellerisch bewegt sich die Inszenierung auf gewohnt hohem Niveau. Trügerisch, ausgebrannt und doch voller Liebe – Petra von der Beek überzeugt als Helene Alving in vollem Maße. Die gewagte Entscheidung, den mittlerweile 84-jährigen Theaterveteranen Roberto Ciulli in der Rolle des jungen Osvalds zu besetzen, entpuppt sich als Geniestreich. Gekonnt und facettenreich präsentiert Ciulli den Wahnsinn der Figur. Bei der ausverkauften Premiere wird dem Publikum im Theater an der Ruhr ein gespenstisches Theatererlebnis geboten – Ibsen selbst wäre begeistert!

 

 

Termine:

17.03. – 18:00 Uhr

24.03. – 18:00 Uhr

29.03. – 19:30 Uhr

06.04. – 19:30 Uhr

12.04. – 19:30 Uhr

 

http://www.theater-an-der-ruhr.de/

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