Von Macht
Und Freiheit

Musiktheater im Revier zeigt Büchners „Leonce und Lena” als satirisches Puppenspiel


„Ich muss für meine Untertanen denken – das ist so unangenehm!“ – König Peter von Popo hat keine Lust mehr, zu regieren. Doch bevor er sich zur Ruhe setzen kann, muss er seinen Sohn Leonce standesgemäß verheiraten. Als der schwermütige Prinz von den Plänen seines Vaters erfährt, ergreift er zusammen mit seinem Vertrauten Valerio die Flucht. Auch im Reich Pipi hat die zukünftige Braut Lena kein Interesse an einer Hochzeit. Zusammen mit ihrer Gouvernante nimmt die melancholische Adelige ebenfalls Reißaus. Beide Parteien wollen auf eigene Faust ihre große Liebe finden. Getrieben von Erlebnishunger und Eskapismus treffen Prinz und Prinzessin auf ihrer Reise zufällig aufeinander und verlieben sich – ohne zu wissen, wen sie da eigentlich vor sich haben.

Georg Büchners einziges Lustspiel zählt zu den bedeutendsten klassischen Komödien der deutschen Literatur. Nach seiner Uraufführung 1895 wurde das Werk unzählige Male auf den kleinen und großen Bühnen Deutschlands gespielt und gilt im Allgemeinen als ausgereizter Stoff für das Regietheater. Frischen Wind brachte die Adaption von Robert Wilson ins Geschehen. Der Altmeister inszenierte das Stück 2003 im Berliner Ensemble in musikalischer Kooperation mit Herbert Grönemeyer. Büchners wortspielreiche Ironie und bissige Satire gepaart mit Grönemeyers typischem Sound, ergaben ein schwungvolles Musical, das dem Original völlig neue Facetten hinzufügte.
Das Musiktheater im Revier geht nun noch einen Schritt weiter und ergänzt Wilsons Version durch die Einbindung der Puppenspiel-Sparte des Hauses, unter Regie von Astrid Griesbach – ein Konzept, das vollkommen aufgeht!

Die Musik kommt aus der Konserve, genauer gesagt aus Dosen im Stile von Campbell’s Tomato Soup mit der Aufschrift „Herbert’s“ – Andy Warhol lässt grüßen! Jedes Mal, wenn eine Dose geöffnet wird, ist es Zeit für ein neues Musikstück aus der Feder Grönemeyers. Ein netter, spielerischer Kniff, um den Zuschauer*innen den Kontrast zwischen Musical und Puppentheater näher zu bringen.

Friede den Hütten!
Krieg den Palästen!

„Puppentheater“ klingt in diesem Zusammenhang im ersten Moment natürlich stets nach einer Inszenierung für Kinder, doch was die eigenständige Abteilung des Musiktheaters hier auf die Beine stellt, ist außergewöhnlich: Die vier Darsteller*innen agieren als Sänger*, Schauspieler*, und Puppenspieler*innen, und das teils in körperlich beeindruckender Manier. Gekleidet in bunten Kostümen, welche durch ihre Muster an die abstrakte Kunst von Piet Mondrian erinnern, verschmelzen Mensch und Puppe häufig zu einem gemeinsamen Wesen. Den blassen und auf den ersten Blick grotesk wirkenden Puppen, welche größtenteils aus Rumpf, Armen sowie Kopf bestehen, wird liebevoll Leben eingehaucht.
Veronika Thieme nimmt in ihrer Rolle als König Peter ihre Puppe kurzerhand auf den Schoß, wobei ihre eigenen Beine die der Puppe ersetzen. Es entsteht ein köstlicher Monolog über den Sinn und Unsinn von Herrschaft, welcher im Publikum für einige Lacher sowie Szenenapplaus sorgt.

Auch Merten Schroedter, Daniel Jeroma und Gloria Iberl-Thieme führen ihre Alter Egos elegant über das Parkett: Schnelle Dialogwechsel, zielsichere Bewegungen der Puppen sowie stimmliche Glanzleistungen während der Musikeinlagen ziehen sich wie ein roter Faden durch den rund 90-minütigen Abend. Nach einer Weile mag man als Zuschauer*in gar vergessen, dass die Figuren gesteuert werden, so dynamisch und schwungvoll ist das Treiben auf der Bühne.

„Fremdgesteuert“ ist hier das Wort der Stunde: So bekommt Büchners Kritik an der Fremdsteuerung und Entmündigung der Menschen seiner Zeit durch diese Inszenierung auf einer Metaebene einen ganz neuen Wert.
Abgerundet wird das Lustspiel durch ein spartanisches, zugleich passendes Bühnenbild von Sarah Wolters, bei dem zum Schluss ein Banner mit der Aufschrift „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ natürlich nicht fehlen darf.

 

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