Außergewöhnliche Zeiten

Im Gesprach mit Thorsten Pfeil (AfD), Vorsitzender des Ausschusses für Kultur, Tourismus und urbane Szene

Von Denise Klein

Anfang Dezember wählte der neue Stadtrat die Ausschussvorsitzenden. Nach einer ausgeklügelten Taktik hatten sich die Fraktionen untereinan der verständigt und die attraktivsten Ausschüsse untereinander aufgeteilt.

Soweit so üblich. Je nach Wahlverhalten hatte außerdem die AfD zwei Auschuss­vorsitzende stellen können , was durch parteiübergreifende Absprachen verhindert wurde. Dass die AfD bei dem ihr sicher zustehenden Ausschusszugriff gerade den Kulturausschuss wählte, mag manches Ratsmitglied schmerzhaft getroffen haben. Die im Nachgang lautgewordene Empörung seitens der SPD ist aber eine wohlfeile.

Man habe die Gelsenkirchener Kulturszene ,,der AfD zum Fraß hingeworfen“, weil man sich scheinbar prestigevollere Ausschüsse sichern wollte, so sehen es einige Künstler*innen und Kulturschaffende.

Wir haben den neuen Vorsitzenden des Kulturausschusses Thorsten Pfeil gefragt , wie er die hiesige Szene sieht und wie er sich seine politische Arbeit im Ausschuss vorstellt. Der 47-Jährige ist Beamter der Bundesfinanzverwaltung und lebt in Buer.

 

Herr Pfeil, Sie sind nun Vorsitzender des Gelsenkirchener Kulturausschusses. Samit leitet die AfD einen Ausschuss, der salopp gesagt wohl nicht zu den erklarten politischen Kernaufgaben der Partei zahlt. Warum die Kultur?

 

Thorsten Pfeil: Weil Kultur eine wichtige Rolle im gesellschaftlichen Zusammenleben spielt. Bei allen positiven und auch negativen Einflussen, die Kultur mit sich bringen kann, steht doch auch immer der Mensch im Vor­ dergrund, im Mittelpunkt.Auf der einen Seite der ,,Kultursc haffende “ und als Gegenpol der Rezipient, der aufmerksame ,,Betrachter“. Kultur setzt also Gegebenheiten und Dinge in ein Verhältnis zueinander und gibt uns die Möglichkeit , Zielgruppen anzusprechen. Denn Gemeinsamkeiten geben immer auch Anlass, miteinander ins Gespräch zu kommen. Zum Beispiel ,,Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen? Welcher Song hat Sie zu­letzt begeistert?“ etc. Und das ist doch genau das, was wir wollen, miteinander reden! Ein weiterer nicht zu vernachlässigender Aspekt für die Entscheidung zugunsten des Vorsitzes im Kulturausschuss ist sicher auch die Überlegung gewesen, dass uns Kultur die Möglichkeit gibt, z. B. privatwirtschaftliche Unternehmungen in eine Beziehung zum Gemeinwohl zu setzen. Hier sehe ich für Gelsenkirchen, auch vor dem Hintergrund leerer Kassen und des momentanen Corona-Lockdowns, perspektivisch machba­re Konzepte um über Sponsoring, Paten­schaften oder auch Stipendien den Weg hin zu neuen kulturellen Angeboten zu schaffen. Kurz gesagt: ,,Außergewöhnliche Zeiten verlangen außergewöhnliche Maßnahmen!“

 

Wo sehen Sie allgemein Handlungsbedarf, der reell auf kommunaler Ebene gelöst werden kann und der hiesigen Kultur zugute käme?

Ganz klar dominiert das Thema Corona gegenwartig sämtliche Diskussionen und Überlegungen. Für den Bereich Kultur, Tourismus und urbane Szene stehen die Zeichen hier absolut auf Sturm. Von jetzt auf gleich hat das normale Leben eine Vollbremsung vollzogen und so etliche Kollateralschaden verursacht. An dieser Stel­le sei die (Zwangs-)Schließung sämtlicher Gastronomien und Kneipen, der öffentlichen und privaten Spielstätten und des Großteils des Einzelhandels beispielhaft genannt. Die auferlegten Reisebeschränkungen und weitergehenden Einschränkung der persön­lichen Kontakte möchte ich hier ebenfalls zumindest nennen. Wir müssen jetzt so schnell wie möglich dafür Sorge tragen, dass der bis jetzt ent­standene Schaden eingedämmt wird und es schnellstmöglich konkrete Hilfen (nicht nur finanzieller Art) für die gibt, die durch die Corona-Beschränkungen unschuldig in existenzielle Not geraten sind. lch befürchte allerdings, da sich ein schnelles Ende dieser ,,Pandemie“ nicht abzeichnet, dass sich dieses Vorhaben zusehends mehr und mehr als Herkules-Aufgabe für alle Beteiligten gestalten wird.

 

Wie groB ist lhre persönliche Kenntnis der Spielstätten und auch der freien Szene?

Da ich durch und durch Gelsenkirchener bin, sind mir sehr viele unserer kulturellen Einrichtungen gut bekannt.  Natürlich  bin ich mir aber auch der Tatsache bewusst, dass Gelsenkirchen neben den Kulturinsti­tuten, dem Musiktheater im Revier, der Neu­en Philharmonie Westfalen, den zahlreichen Museen und der Arena auf Schalke -ja … auch Fußball ist Teil des kulturellen Lebens – eine Vielzahl weiterer und hochwerti­ger kultureller Angebote bietet. lch habe mir für die kommenden fünf Jahre, in denen ich dem Ausschuss fur Kul­tur, Tourismus und urbane Szene vorstehe, das Ziel gesetzt, einen weitreichenden Überblick über dieses vielfaltige Angebot zu erlangen  und stets  Ansprechpartner nicht nur ,,vor Ort“ zu sein.

 

Im Koalitionspapier der SPD und CDU wird von einem Kulturentwicklungsplan gesprochen, der schon zuvor lange von den Griinen eingefordert warden ist. Es gibt also fraktionsiibergreifenden Konsens in dieser Frage. Gehen Sie da mit?

Ich möchte Sie jetzt nicht enttäuschen, aber ich werde mich an dieser Stelle nicht festlegen. Grundsätzlich gefällt mir z. B. die Idee, den Bergbau und die Kumpel in Zukunft mit einem festen Tag im Jahr zu ehren und in Erinnerung zu halten, sehr gut. Es handelt sich hierbei immerhin um die gelebte Geschichte unserer Stadt und ein Thema, das uns alle in  irgendeiner Weise betrifft. Bezüglich der Umsetzung eines solchen Vorhabens bin ich allerdings skeptisch. Die Mehrheitsverhältnisse im Rat der Stadt Gelsenkirchen stellen uns vor die Situation, dass die GroKo, bestehend aus SPD
und CDU, quasi über sämtliche Inhalte, die solch ein Vorhaben mit Leben füllen, allein entscheiden kann. Unter einem fraktionsübergreifenden Konsens und der damit verbundenen Absicht, das bestmögliche Ergebnis für alle Beteiligten herauszuarbeiten, verstehe ich in diesem Themenbereich allerdings die Zusammenarbeit aller Fraktionen und Gruppen des Gelsenkirchener Rates. Es bleibt zu hoffen, dass die GroKo sich ihrer Verantwortung bewusst ist.

 

Dass die AfD nun dem Kulturausschuss vorsitzt, hat unter Künstlern*innen und Kulturschaffenden hier in der Stadt für Erstaunen gesorgt. Viele sehen das äußerst kritisch, da die Ziele der AfD sich nicht mit dem Selbstverständnis der Kreativen deckten. Nach der Aussage ihres kulturpolitischen Sprechers, Matthias Pasdziorek, will ihre Partei keine „verdeckte Finanzierung von Antifa-Cafés“ dulden. Signalisieren solche Aussagen nicht, dass Künstler sich künftig Denkverboten unterwerfen müssen, wollen sie eine städtische Finanzierung ihrer Vorhaben erhalten?

 

Hier von Denkverboten zu sprechen, sehe ich als absolut falsche Interpretation des Ganzen. So sind es doch gerade wir, die AfD, die gegen Denkverbote, gegen Cancel-Culture und für Freiheitlichkeit jenseits von z.B. überbordender Political Correctness stehen. Viel eher signalisiert solch eine Aussage, dass man sich zukünftig genau anschauen wird, wer da, für welches Vorhaben, öffentliche Gelder beanspruchen will. In einer von Schulden geplagten Stadt wie Gelsenkirchen ein meines Erachtens absolut nachvollziehbares Ansinnen. Allerdings muss uns bewusst sein, dass auch im kulturellen Bereich durchaus Personen und Organisationen an den extremen Rändern der staatlichen Ordnung agieren. Und gerade hier müssen wir genau hinsehen. Egal ob wir über Rechts-/ Linksextremismus oder religiös geprägten Extremismus sprechen.

 

In ihrem Kommunalwahlprogramm kommt die Kultur etwas kurz. Sie sprechen sich da vor allem dafür aus, dass Musikschulen günstiger werden und für die „Bewahrung und Förderung der heimatlichen Kultur, der Brauchtumspflege und der lokalen Tradition“. Was verstehen Sie genau darunter?

Das regionale Brauchtum hat über Jahrhunderte unsere Region geprägt und ist somit wesentlicher Bestandteil des Heimatgefühls. Angefangen bei in unserer christlichen Wertegemeinschaft fest verankerten Feiertagen wie z.B. dem Osterfest mit seinen Osterfeuern, den St. Martins-Umzügen mit seinen Laternen und dem Weihnachtsfest mit Tannenbaum und Sternsingern, bis hin zu den närrischen Festivitäten im Rahmen des Straßen- und Sitzungskarneval, die in den alljährlichen Rosenmontagszug entlang der Cranger Straße münden. Daneben sind die zahlreichen Gelsen- kirchener Vereine wie z.B. die Schützenvereine, der Heimatbund oder auch die Kulturvereine zu nennen, die ebenfalls die Brauchtumspflege ganz oben auf ihrer Agenda stehen haben. Sie sehen, Gelsenkirchen ist hier durchaus breit aufgestellt. Mir ist natürlich bewusst, dass dieses Thema oft und sehr kontrovers diskutiert wird. Ich persönlich halte allerdings wenig von den gegenwärtigen Bemühungen, durch z.B. Umbenennung  der  St.  Martins-Umzüge in Lichterfest, Laternenfest etc., eine für alle Beteiligten vermeintlich adäquate Lösung zu finden. Die althergebrachten Bezeichnungen sind halt auch immer ein Bestandteil der eigenen Kultur, des eigenen Wertesystems und fördern somit die Gemeinschaft. Uns ist wichtig, dass diese Werte gepflegt und gefördert werden, damit wir sie an künftige  Generationen weitergeben können.

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