Mehdi Salimpour

Für meine Familie werde ich weiter kämpfen!

Mehdi Salimpour bangt um seine Zukunft in Deutschland

Ein Interview von Alexander Welp


Tagtäglich ärgern wir uns über die unterschiedlichsten Kleinigkeiten, die uns im Alltag das Leben schwer erscheinen lassen: Wir sind ungeduldig, wenn wir im Supermarkt in einer Schlange stehen müssen, wir echauffieren uns über Arbeitskollegen und sind genervt, weil wir im Moment nicht in Bars oder Kinos gehen können. Dabei vergessen wir aber häufig, wie gut es uns in Westeuropa eigentlich geht, und halten unser friedvolles Leben nur zu oft für selbstverständlich. Meinungs- und Religionsfreiheit gehören zu den höchsten Gütern unserer Zivilisation, und dass das nicht überall auf der Welt zum Standard gehört – darüber machen wir uns oftmals kaum Gedanken.

Seit mittlerweile über zweieinhalb Jahren lebt Mehdi Salimpour in einer kleinen, liebevoll eingerichteten Wohnung in Gelsenkirchen-Bismarck. In seinem Wohnzimmer stehen viele Bilder, auf denen seine Frau und seine junge Tochter zu sehen sind. An der Wand hängt ein Kruzifix. Seine Familie hat er nicht mehr gesehen, seit er in Deutschland lebt, denn seit 2008 steht im Iran der Übertritt vom Islam zum Christentum unter Todesstrafe. Um einer unbarmherzigen Verfolgung zu entkommen, gab es für Mehdi, der als Erwachsener zum Christentum konvertierte, nur eine Möglichkeit: die Flucht ins Ungewisse. In einem emotionalen Gespräch berichtet Mehdi Salimpour über die angespannte Situation im Iran, seine turbulente Flucht nach Deutschland und warum ihm das politische Theaterspielen so wichtig ist.

Herr Salimpour, Sie sind im Iran geboren und aufgewachsen. Welchen Bezug zur Religion bekamen Sie als Kind?

Mehdi Salimpour: Meine Eltern sind beide gläubige Muslime. Schon als kleiner Junge bin ich mit meinem Vater stets in die Moschee gegangen und wurde dementsprechend auch erzogen. Das war vollkommen normal und gehörte einfach zum Leben dazu. Allerdings war es dann so, dass ich als Jugendlicher sehr neugierig wurde und viele Dinge hinterfragt habe. Das führte zu vielen Streitgesprächen mit meinem Religionslehrer in der Schule. Ich stellte viele Fragen zu Themen, die im Koran behandelt werden. Dazu muss man wissen: im Iran spricht man Fārsī, beziehungsweise Persisch. Den Koran, der ja auf Arabisch geschrieben ist, konnte ich also nicht wirklich lesen. Meine Fragen konnte mir mein Lehrer nie beantworten, was dazu führte, dass ich häufiger aus Kursen entlassen wurde. Man wollte einfach keinen Jungen dabei haben, der Sachen infrage stellt und zweifelt. Solche Situationen zogen sich durch meine ganze Jugend, und auch an der Universität spielte der Islam eine große Rolle. Irgendwann begriff ich, dass ich damit aber einfach leben müsse. Also betete ich weiterhin und fastete auch dreißig Tage im Jahr. Als Kind wurde mir beigebracht, dass man das machen muss, denn ansonsten würde man in die Hölle kommen – für mich immer eine grausame Vorstellung.

Einige Regeln konnten Sie also nicht nachvollziehen?

Die Pflicht, dass Frauen ein Kopftuch tragen müssen, empfand ich immer als komisch. Das konnte ich nie verstehen. Mir wurde erklärt, wenn die Frauen das nicht täten, dann würden sie nach dem Tod in der Hölle an ihren Haaren aufgehangen. Aber gleichzeitig sagte man mir: „Unser Gott liebt uns alle und tut nur Gutes“. Und trotzdem gibt es diese Regeln mit solch grausamen Folgen? Das ist doch paradox. Meine Mutter war aus diesen Gründen häufig traurig und hielt sich selbst für keinen guten Menschen. Aber das ist ja vollkommener Quatsch, denn meine Mutter ist so eine liebe und gutmütige Person.
Ein anderes großes Thema ist die Fastenzeit. Vor vielen Jahren gab es im Iran einen sehr heißen Sommer. In meiner Fastenzeit habe ich viel gearbeitet und wurde sehr krank. Weil ich bis spät in den Abend kein Wasser trinken durfte, bekam ich große Probleme mit meinen Nieren und mussteeinen Monat lang ins Krankenhaus. Und obwohl ich noch länger im Krankenhaus hätte bleiben sollen, entließ ich mich selbst, denn zu dieser Zeit arbeitete ich als Elektriker und war Leiter einer Firma. Viele Kollegen waren auf mich angewiesen, denn niemand sonst konnte meinen Job machen. Als mir mein Arzt dann sagte, dass ich nie wieder fasten dürfte, weil das für mich zu gefährlich sei, bekam ich große Angst. Wenn ich nicht faste, brenne ich in der Hölle! Im nächsten Jahr passierte aber nichts – ich wurde nicht bestraft. Da hat es in meinem Kopf geklickt: Wieso brauche ich all diese Regeln, wenn es mir doch so viel besser geht? Nach und nach stellte ich auch meine Gebete ein und fühlte mich viel freier.

Wie haben Sie denn danach den Bezug zum Christentum bekommen?

Meine erste Berührung mit dieser Religion hatte ich durch den Roman „Die letzte Versuchung” von Nikos Kazantzakis. Das darf man im Iran auch einfach so lesen. Durch den Koran wusste ich bereits, dass es Jesus Christus gegeben hat, denn dort taucht er ja auch als Prophet auf. Über diesen Charakter wollte ich mehr erfahren, denn Geschichte hat mich schon immer interessiert. Und weil ich keinen Zugang zu einer Bibel hatte, konnte ich durch den Roman zumindest schon ein wenig mehr über Jesus in Erfahrung bringen. Später lernte ich über Bekannte einen Freund kennen, mit dem ich mich viel über Gott und Religion austauschen konnte. Ihm erzählte ich von meinen Bedenken über den islamischen Gott und die teils grausamen Strafen, die einen in der Hölle erwarten würden. Nach vielen und langen Gesprächen, schenkte er mir eine Bibel – zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass er ein Christ ist. Er gab mir also dieses Buch und sagte: „Lies es als eine Geschichte.“ Das war faszinierend für mich, denn nach wie vor wollte ich neue Sachen erfahren und lernen. Und vor allem der Zusatz, dass ich es als eine Art „Geschichte“ lesen soll, und nicht alles für bare Münze halten muss, war für mich eine ganz neue Situation.

Wie hat Ihre Familie das aufgenommen?

Für meine Frau war das vollkommen in Ordnung, aber für meine Eltern war das sehr schwierig und problematisch. Für sie war ich immer der Vorzeige-Sohn, der alles ordentlich und richtig macht. Es brauchte eine lange Zeit, bis meine Eltern verstehen konnten, warum ich nicht mehr faste oder bete. Zunächst wollten meine Eltern auch nicht zu meiner Hochzeit kommen, weil sie eine andere Frau für mich vorgesehen hatten. Drei Jahre habe ich darum gekämpft, dass meine Eltern meine Frau akzeptierten – letztendlich habe ich mich aber durchgesetzt! (lacht)

Geheiratet wurde dann aber islamisch, nicht wahr?

Natürlich! Alles andere ist nicht erlaubt. Es hat sich aber seltsam angefühlt, weil meine Frau und ich privat nicht mehr viel mit dem Islam anfangen konnten. Wir wurden in einem Büro getraut,und weil der Mullah nur Arabisch sprach, konnten wir kein Wort verstehen. Die Prozedur war trotzdem eine Pflicht, denn im Iran darf man nur mit einer Frau zusammen leben, wenn man die entsprechenden Papiere dafür vorweisen kann. Den Glauben an den Islam hatte ich zu diesem Zeitpunkt aber schon längst verloren.

Und das wurde für Sie dann gefährlich?

Im Familien- und Freundeskreis war ich sehr offen, was meine Situation betraf. Bei Unbekannten war ich aber immer vorsichtig und musste sehr darauf achten, was ich von mir gab. Freie Meinungsäußerung ist im Iran nicht möglich. Nachdem ich mich länger mit der geschenkten Bibel beschäftigte, lernte ich auch andere Menschen kennen, die ähnlich dachten und glaubten. Im Iran gibt es natürlich keine Kirchen, also trafen wir uns in privaten Haushalten im kleinen Kreis zum Beten. Ich wollte Christ sein, und mich durch nichts davon abbringen lassen.

2018 wurden in Buschehr, meiner Heimatstadt, acht Menschen einer anderen christlichen Gruppierung deshalb ins Gefängnis gesteckt. Der Leiter unserer Gruppe riet uns daraufhin sofort zu Flucht. Durch einen Bekannten erhielt ich ein Visum, mit dem ich aus dem Iran ausreisen konnte. Natürlich wollte ich auch meine Frau und Tochter bei mir haben, aber das wäre für meinen Bekannten zu gefährlichgeworden, da er dann auch Unterlagen für meine Familie hätte besorgen müssen.

Zwei Wochen später musste ich dann in die Stadt Isfahan reisen. Diese Stadt hat auch einen internationalen Flughafen, der aber nicht so streng überwacht wird wie der in Teheran. Außer meiner Frau wusste niemand, dass ich das Land verlassen werde. In der letzten Nacht vor meiner Flucht konnte ich kaum schlafen, weil ich Panik hatte, dass etwas schiefläuft.
Am Flughafen angekommen, war ich furchtbar traurig und enttäuscht, da ich mich von meiner Frau und meiner Tochter nicht so verabschieden konnte, wie ich es gerne getan hätte – das wäre sonst zu auffällig gewesen. Als mein Pass abgestempelt wurde, musste ich in einem Aufenthaltsraum warten. Irgendwann hörte ich einen Mann, der scheinbar nach mir suchte. „Sind Sie Mehdi Salimpour?“, fragte er einen anderen Mann. Mich hat er aber nicht gefragt, und ich konnte das Flugzeug betreten. Bis heute weiß ich nicht, warum er mich gesucht hat.

Der Flug endete in Wien. Dort bekam ich erneut Angst, weil ich dachte, dass man mich vielleicht hier erwischen und sofort zurückschicken würde. Ich reiste ja mit einem gefälschten Visum. Aber auch in Wien verlief alles reibungslos und ich konnte weiter Richtung Frankfurt fliegen. Mit einem Reisebus ging es dann weiter nach Dortmund, wo ich zunächst zwei Wochen bei einem Freund aus Kindertagen lebte und mich von den Anstrengungen erholen konnte. Hier konnte ich zum ersten Mal in eine richtige Kirche gehen und einen Gottesdienst besuchen – das war für mich ein wirklich großes Erlebnis! Mit meinem Freund ging ich danach zum Ausländerbüro in Bochum, und über Umwege kam ich in ein Flüchtlingslager nach Viersen, wo ich die nächsten zwei Monate anfing, Deutsch zu lernen und mich in einer nahegelegenen Kirche sogar taufen lassen konnte.

Was war das für ein Gefühl?

Es war unbeschreiblich schön. Der ganze Gottesdienst hat für mich gebetet. Mittlerweile kannten viele Menschen dort meine Situation und wussten, dass ich meine Familie zurücklassen musste. In der Kirchengemeinde erfuhr ich viel Mitgefühl – das hat mir in dieser Zeit sehr geholfen.

Nun leben Sie aber in Gelsenkirchen. Wie kamen Sie in unsere Stadt?

Ich wollte unbedingt in eine richtige Schule, um die deutsche Sprache zu lernen. Im Flüchtlingsheim konnte ich das nur mit Wörterbüchern. Ich bat also darum, umziehen zu dürfen, damit ich mich mehr integrieren könnte. Gelsenkirchen habe ich mir dabei nicht selbst ausgesucht, das wurde für mich entschieden. Ich bin aber sehr glücklich, hier gelandet zu sein, denn viele meiner Bekannten aus dem Heim hat es in kleinere Dörfer verschlagen. Nach zwei Monaten bekam ich die Bescheinigung, einen Deutsch-Test absolvieren zu dürfen, den ich prompt mit dem B1-Niveau abschloss. Aber ich wollte natürlich auch arbeiten, und da wurde es problematisch.

Inwiefern?

Ich habe keine Arbeitserlaubnis. Ich habe eine sogenannte Duldung, mit der ich hier sein darf, aber nicht arbeiten kann. Ich habe so viele Anträge gestellt, die aber jedes Mal abgelehnt wurden. Bei einem Freund aus dem Flüchtlingsheim lief es ganz anders: Er bekam bereits nach drei Monaten seine Arbeitserlaubnis. Ich weiß nicht, was er anders gemacht hat. Es ist wie eine Art Lotterie. Ich habe ein abgeschlossenes Studium als Elektroingenieur und in Deutschland so viele Bewerbungsgespräche geführt, die aber alle daran gescheitert sind, dass ich keine Arbeitserlaubnis bekomme. Im Iran habe ich in einem Verein sehr viel Badminton gespielt. Selbst im Rahmen eines kleinen Nebenjobs darf ich hier nicht als Badminton-Trainer arbeiten. Das Verrückte ist auch, dass ich einen unterschriftsreifen Vertrag von einer großen Elektrofirma hier liegen habe…

Moment, Sie haben einen Arbeitsvertrag?

Ja! Die Leute dort würden mich auch sehr gerne einstellen, dürfen das aber wegen meiner fehlenden Arbeitserlaubnis nicht tun. Der Knackpunkt an der ganzen Geschichte ist der: Wenn ich diese Arbeitserlaubnis haben möchte, muss ich ein Formular ausfüllen, das besagt, dass ich freiwillig in den Iran zurückkehren würde. Aber was würde dann geschehen? Wenn ich in den Iran zurückgehen würde, um meine Familie zu besuchen, könnte es sofort passieren, dass ich verhaftet und weggesperrt werde. Dadurch, dass ich in Deutschland Theater gespielt und öffentlich auf Bühnen stand, ist auch viel über mich im Internet zu lesen. Das würde eine Rückkehr auch nochmal gefährlicher machen.

Das ist eine gute Überleitung. Man konnte Sie in Gelsenkirchen schon auf verschiedenen Theaterbühnen sehen. Zum Beispiel bei der Premiere der Gelsenkirchener Passionsspiele. Sie haben aber auch beim Stück „Der Weg des Mehdi Diebaj“ mitgewirkt. Was hatte es damit auf sich?

Theaterspielen war für mich im Iran bereits ein Hobby. Über Umwege lernte ich hier die Dramaturgin Anna Chernomordik, den Schauspieler Markus Kiefer und die Regisseurin Rodica Lupu kennen, mit denen ich dieses Stück auf die Beine stellte. Darin geht es um Mehdi Diebaj, der seinerzeit im Iran zum Christentum konvertierte und 1983 deshalb verhaftet und zum Tode verurteilt wurde. Nach großen Protesten wurde er zwar 1994 freigelassen, aber kurz danach gekidnappt und ermordet. Es ist also ein sehr politisches Stück, das sich direkt gegen die iranische Regierung richtet. Das alleine ist schon gefährlich für meine Familie, wenn im Iran jemand erfahren würde, dass ich solche Theaterstücke spiele. Ich habe auch lange per Telefon mit meiner Frau darüber gesprochen. Für sie ist es aber in Ordnung, weil sie ebenfalls denkt, dass wir für unseren christlichen Glauben einstehen müssen. Das steht über allem. Trotzdem ist es für uns unheimlich schwer, weil wir uns über zwei Jahre nicht mehr gesehen haben. Ich vermisse meine Frau, ich möchte meine Tochter endlich wieder umarmen. Ich weiß nicht, wie es in Zukunft weitergehen soll.Alle zwei Monate muss ich auch einen neuen Ausweis beantragen, und jedes Mal habe ich Angst, dass mir doch wer sagt, dass ich nicht mehr bleiben darf. Aber was soll ich noch machen? Ich habe mich angestrengt, die Sprache gelernt, unzählige Bewerbungen und Folgeanträge geschrieben und sogar eine berufliche Weiterbildung gemacht. Es wird immer gesagt: Deutschland braucht mehr ausgebildete Fachleute in verschiedenen Berufen. Aber mich lassen sie nicht arbeiten? Das kann ich nicht begreifen. Aber ich werden weiter kämpfen! Für mich und meine Familie!

Herr Salimpour, ich bedanke mich vielmals für dieses Gespräch und im Namen der gesamten Redaktion wünsche ich Ihnen alles Glück der Welt für Ihre Zukunft!

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