GEmischte Gefühle – Gedanken über Gelsenkirchen von Stefan Lojewski

Ein Gastbeitrag von Stefan Lojewski/ Illustrationen: Jesse Krauß

Der gebürtige GElsenkirchener Stefan Lojewski ist diplomierter Psychologe. Er lebt und arbeitet in Bielefeld. Seiner Heimatstadt bleibt er stark verbunden, nicht zuletzt weil  sein Großvater der Gelsenkirchener Künstler Werner Thiel war.

Gefragt hat er mich nicht, der Herrgott, ob es mir recht wäre, in einer Stadt wie Gelsenkirchen geboren zu werden. Ich wurde übergangen, ignoriert, bereits im Mutterleibe übervorteilt und somit vorsätzlich pränatal für den Rest meines Lebens Gebrandmarkt. Hätte ich ein Wörtchen mitzureden gehabt, so wäre mir eine Ortschaft mit etwas weniger Fremdschämpotenzial deutlich lieber gewesen.

Aber so erblickte ich das Licht der Welt in der Stadt der tausend Zwistigkeiten, in tiefster Ruhrgebietsprovinz und mir blieb nichts anderes übrig, als mich irgendwie mit dieser intellektuell verrußten Situation zu arrangieren. Ich brauchte eine ganze Weile, um schmerzlich zu begreifen, warum Leute von anderswo tendenziell mitleidig und mehr oder weniger überheblich grinsend auf die Erwähnung meiner Geburtsstadt reagierten. Zechenkulis und Schalkeproleten haben eben außerhalb der Stadtgrenzen keine Lobby. Überhaupt war mir diese blauweiße Ersatzreligion, dieses armselige Substitut für Lebenssinn, das Menschen zu grölenden Pavianen regrediert, schon immer suspekt.

Ähnliches empfand ich gegenüber der verbalen Gelsenkirchener Gangart: Rau, aber herzlich soll sie sein, direkt, schnörkellos und damit uneingeschränkt liebenswert, seit Kurzem auch offiziell sprachwissenschaftlich als eigenständiger regionaler Dialekt aufgewertet. Ich selbst konnte nie etwas anderes, als diesen lautstarken Malocherduktus als grobschlächtig, unhöflich und unkultiviert zu empfinden. Ein peinlicher Soziolekt, der schonungslos offenbart, in was für einem verkümmerten Umfeld man aufzuwachsen gezwungen war. Akustisches Brandzeichen des Ruhrpottprekariats. FluchtGEdanken.

 

 

Nur raus hier, alles zurücklassen, den geistigen Schmutz, die verkommene Sprache, die biergeschwängerte Hoffnungslosigkeit. Neu beginnen, da wo es lebenswerter scheint. Geistige Entgiftung betreiben, Gelsenkirchener Gedanken auslöschen, vehement verdrängen, wiederholt mit Nachdruck versucht, immer wieder kläglich gescheitert, das Einsickern von ErinnerunGEn zu verhindern: Lieblicher Duft von Popcorn und gebrannten Mandeln, Kirmes auf dem Wildenbruchplatz, mit Papa auf der Krake, am Elefantenhaus im Ruhrzoo würzige Luft atmen, stets fasziniert von der alten Prägemaschine und den Erdmännchen, mit Mama an der Hand im Zentralbad Runden drehen und das vollgepinkelte Kleinkindbecken genießen, den majestätischen Steinlöwen der Apotheke in Bismarck bewundern, dann noch schnell bei Otto anne Bude im Trinenkamp paar Klümpchen holen, in Ückendorf „Captain Future“ gucken und hinterher mit Handpuppen Songs von Dschinghis Khan synchronisieren, Spätsommerplanschen mit der ganzen Bagage im Revierpark Nienhausen, ab und zu lecker frühstücken bei Sinn oder im Alpha-Grill fettige Bolognese verspachteln, erste Kino-Erlebnisse in der alten Schauburg an der Bahnhofstraße…

Hömma, watt war datt doch schön! 

 

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