Die „Gefahr von Öffentlichkeit“ III

Vom Zustand fehlender Korruptionsprävention
und moderner Personalentwicklung

von Joachim Sombetzki

Korruption ist in Gelsenkirchen ein wichtiges Thema. Der traditionell gewachsene Begriff „Roter Filz“ verdeutlicht das. Er ist ähnlich bekannt wie der des „Kölschen Klüngel“. Weniger häufig wird vor Ort in Gelsenkirchen allerdings über Korruptionsprävention und deren Umsetzung in der Praxis gesprochen. Wie im isso.-Artikel „Die Gefahr von Öffentichkeit II“ in der Februar-Ausgabe berichtet, gibt der desolate Zustand im Rechnungsprüfungsamt mit seinen mangelnden Sach- und Personalressourcen, sowie dem mangelhaften Zugriff der Prüfer auf die EDV zur Verhinderung von Korruption, einer interessierten Öffentlichkeit sehr zu denken. Das Thema Korruption und seine Bekämpfung sollen an dieser Stelle mit einem Blick auf die Stelle des Datenschutz- und Compliancebeauftragten vertieft werden. Es wird der Frage nachgegangen, was uns der Hauptverwaltungsbeamte und OB Frank Baranowski nach dem Jugendamtskandal versprochen hat, und was nach diesem „kritischen Ereignis“ in Verwaltung diesbezüglich umgesetzt wurde.

Expertenanhörung
zur Gefahrenlage

Korruptionsprävention braucht unumstritten eine moderne Verwaltung mit einem modernen Personalentwicklungskonzept und Beteiligung von Öffentlichkeit. Dazu werden hier zwei Professoren zu Wort kommen bzw. zitiert, die beide mit der Hochschule für Polizei und Verwaltung (HSPV) in Gelsenkirchen in Verbindung stehen. Der eine, Professor Carsten Stark, als ehemaliger Dozent im Fachbereich Polizei, ist aktuell Professor an der Hochschule Hof und Vorsitzender des Vorstands des Instituts für Korruptionsprävention in Hof, das seit 2008 mit einer ganzheitlichen Perspektive versucht sich dem alten Gewerbe der Korruption entgegenzustellen, um „Compliance in die Köpfe der Beschäftigten zu bringen“, wie er in einem sehr lesenswerten Interview über seine Arbeit recht anschaulich äußert1. Den anderen, Professor Andreas Gourmelon, aktuell Dozent an der HSPV, werden wir mit dem Thema Modernes Personalentwicklungskonzept als Antwort auf Nöte in Zeiten der Verwaltungs- und Personalkrise kennenlernen. Der oben bereits verwendete Begriff „kritisches Ereignis“ entstammt dem Artikel „Personalentwicklungskonzepte in Zeiten der Personalnot“, den er mir freundlicherweise als Arbeitsgrundlage zuschickte.
Die Gefahrenlage lässt sich so skizzieren: Die Notwendigkeit zur tiefergehenden öffentlichen Debatte folgt aus dem beschriebenen Zustand einer Verwaltung mit einem nur eingeschränkt arbeitsfähigem Rechnungsprüfungsamt, der möglicherweise nicht erfolgten Umsetzung der Versprechen, und der bisher nicht vollzogenen Beteiligung von Öffentlichkeit zur Korruptionsprävention.
Dem Ganzen geht ein Blick auf die Kosten von Korruption voraus, um zu verdeutlichen, wie zwingend notwendig ein darauf bezogenes konsequentes Verwaltungshandeln ist, das sich vom bisherigen Herumlavieren der Verwaltung verabschiedet. Aktive Korruptionsbekämpfung statt passivem Ermöglichen. Es geht mithin um nichts anderes als einen Paradigmenwechsel im Verwaltungshandeln, was dem kritischen Ereignis des Jugendamtskandals folgend Versprechungen der Verwaltung und des damaligen Hauptverwaltungsbeamten OB Frank Baranowski konsequent verfolgt und die Öffentlichkeit in eine moderne Korruptionsbekämpfung einbindet.

 

Intensiver präventiv arbeiten. Wenn dem nicht so sein sollte, wäre das aus meiner Perspektive heraus eine durchaus auffällige und erklärungswürdige Position.“

Prof. Carsten Stark

Expertenanhörung
zur Gefahrenlage

Professor Stark bezeichnet Korruption als „altes Gewerbe“. Korruption im Bereich der Kommunen ist von alters her eine missliche Angelegenheit. Sie kostet den Steuer- und Gebührenzahler und somit die Bürgerinnen und Bürger einer Stadt viel Geld und Ressourcen. Ein öffentlicher Haushalt ist begrenzt. Und das Geld kann schließlich nur einmal ausgegeben werden. Korruptionskosten verschlingen einen wesentlichen Teil öffentlicher Gelder. Im Gegenzug bringt Korruption der Öffentlichen Hand jedoch keinen Gewinn. Öffentliche Korruption verursacht nur Schaden, wie Sachverständige ermittelt haben.
Es entstehen aufgrund des Vertrauensverlustes der Bürgerinnen und Bürger auch enorme immaterielle Schäden für die Gesellschaft.An der kommunalen Basis rächt sich die traurige Realität von Kommunaler Korruption zuerst durch die Zerrüttung von Städten und Gemeinden und dann an den Bürgern.
Dass die Korruption im Öffentlichen Sektor in NRW erstmals vor Jahren die Korruption unter privaten Unternehmen, um an Aufträge zu kommen, überholt hat, ist kaum bekannt. Aus dieser Zeit im Jahr 2015 stammt die Meldung in einem Nachrichtenportal für den Westen:

„Galt einst die Wirtschaft als Tatort Nummer 1, sind heute ‚Amtsträger’ genauso anfällig.“


Die zu Buche stehenden und zu erwartenden Ausfälle durch die Mängel im Bereich der Korruptionsprävention, Compliance und Beratung wiegen um so schwerer, als das Strafrecht für unterlassene Verhinderung der Straftat mittels aktiv vorbeugender Verwaltungsabläufe und Personalauswahl eigentlich eine hohe Strafe vorsieht. Wer „eine solche rechtswidrige Tat seiner Untergebenen geschehen läßt“, macht sich genauso strafbar wie die Täter (§ 357 StGB).
Dass die Justiz ihrerseits durchaus Mängel in der Verfolgung von Korruption hat, ist nicht neu. Eine juristische Strafverfolgung der Verantwortlichen im Jugendamtskandal bis hinauf zum Hauptverwaltungsbeamten ist nicht bekannt. Obwohl eine höchstrichterliche Rechtsprechung aus dem Berliner Verkehrsbetriebe-Fall im Jahr 2009 dazu alle strafrechtlichen Möglichkeiten gegeben hätte. Denn wo Vertrauen in die Mitarbeiter die alleinige Richtschnur ist und es offensichtlich an Kontrolle der Mitarbeiter in der Verwaltung ermangelt, obwohl das Wissen vorhanden ist, dass etwas schief läuft, darf im Nachgang nicht der Schlendrian herrschen. Und natürlich darf fehlende strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen nach kritischen Ereignissen nicht andererseits zur Folge haben, dass Verwaltung das Strafrecht nicht ernst nimmt, und damit Haushaltslöcher produziert, die irgendwann zu einer Lage führen, wo die Standardversorgung der Stadtgesellschaft nicht mehr gewährleistet ist. Wenn man sich vergegenwärtigt wie Ex-Kämmerin Henriette Reker die folgende Lagefeststellung ab den Jahren 2010 für Gelsenkirchen traf, wurde vor einer schlechten Lebensqualität, die der letzte Platz im Städtranking 401 ausdrückt, bereits früh gewarnt:

„Es ist zu konstatieren, dass die Standards der Aufgabenerfüllung in Gelsenkirchen z.T. weit unter den Vergleichstädten lagen.“ Und: „Es ist daher festzustellen, dass das Angebot kommunaler Leistungen für die Bürger gegenüber dem Landesdurchschnitt, aber auch im Vergleich mit Kommunen ähnlicher Finanzsituation deutlich geringer ausfällt.”
(Entwurf des Haushaltssicherungskonzeptes 2010-2013, Drs. 09-14/516, Pkt. 4.1, H. Reker, S. 9/10)


Natürlich sind die Haushaltslöcher nicht allein auf die Korruptionskosten zurückzuführen. Aber sie tragen halt ihren nicht unerheblichen Anteil daran. Wie hoch der sein mag, darauf wollte sich Prof. Stark auf meine Anfrage hin nicht pauschal festlegen:

„Eine ‚Formel’ gibt es meines Wissens nach nicht. Sie wäre auch definitiv nicht valide, da es hier viel zu viele intervenierende Variablen gibt.“ Es gibt andererseits jedoch Darstellungen in der kriminalistischen Fachliteratur, die einen Betrag von 10 bis 40 Prozent des Haushalt eines Jahres veranschlagen. Gegebenenfalls nur des investiven Teils des Haushaltes. Das bedarf sicher einer differenzierten Betrachtung. An dieser Stelle sei nur noch kurz die Ansicht der Weltbank erwähnt, die sich auf eine pauschale Betrachtung aus der Sicht der Geschädigten einlässt, was Korruption sie in etwa grob geschätzt kostet:

„Generell führt Korruption dazu, dass die Leistungen von Organisationen in ihrem Umfang abnehmen oder qualitativ schlechter werden, die dafür zu entrichtenden Geldbeträge aber steigen. Nach Angaben der Weltbank muss durchschnittlich jeder Mensch rund sieben Prozent seiner Arbeitsleistung für Korruptionsschäden aufbringen. In aktuellen Wirtschaftswachstumsmodellen gilt Korruption wie auch Geldwäsche als einer der langfristigen und nachhaltigen Wachstumsverhinderer.“
Quelle: de.wikipedia.org/wiki/Korruption


Nimmt man zum Beispiel den Umbau des Hans-Sachs-Hauses, so streiten sich hier die Menschen, die glauben zu wissen, wie viel das neue Rathaus am Ende gekostet hat. Die enormen Schwankungen, je nachdem wen man fragt, sind kein Zufall. Sie sind Teil einer intransparenten Verwaltung, die in der Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit eine Gefahr erkennt. Eine Öffentlichkeit, die nicht erfahren soll, was sich in der genannten tatsächlichen Summe für enorme Korruptionskosten verstecken könnten. Keine Information hat einen Zweck: Im Nachhinein soll eine hohe Summe nicht zu Spekulationen Anlass geben können. Korruption wird auch als Dunkelfeld-Delikt bezeichnet. Fehlende fortlaufende Information der Öffentlichkeit nach einem kritischen Ereignis (hier: HSH-Umbau) fördert – nach Berkemann – eben nicht das Vertrauen in die Verwaltung und deren konkrete Verwendung öffentlicher Mittel. Als Folge bleibt ein Misstrauen gegen weitere Verschwendung durch „Roten Filz“ oder „Strukturelle Korruption“: Zumal beim Bauen:

Geschmiert wird von A wie Ausländerbehörde bis Z wie Zulassungsstelle. Und es wird leider immer wieder der Baubereich als besonders korruptionsbelastet identifiziert. (…) Die Struktur der Korruption und einer Bauabwicklung weisen große Schnittmengen auf. Die Bauabwicklung zeigt aber auch systematische Mängel oder Merkmale auf, welche Korruption fördern. (…) Der betriebswirtschaftliche Erfolg, also der Gewinn der Korruption abzüglich der gezahlten Schmiergelder, ist hoch. Die indirekte Finanzierung der Schmiergelder durch die öffentliche Hand selbst mittels Abrechnungsbetrug ist das Ende einer langen korrupten Handlungskette.
Christopher Schlinkert, HSPV,
2016 in einer Seminarankündigung


Die Kosten für die Allgemeinheit beim Jugendamtskandal wurde ebenfalls nicht öffentlich mitgeteilt. Zunächst hat das Rechnungsprüfungsamt auf Nachfrage im Aufklärungsausschuss (AFJH) die Frage verneint, ob durch das Handeln der beiden Jugendamtsleiter ein Schaden und in welcher Höhe entstanden sei.2 Später hat es dem AFJH eine Summe in nichtöffentlicher Sitzung mitgeteilt. Diese ist bis heute nicht veröffentlicht. Mir persönlich liegt die Schadenssumme über eine Informationsfreiheitsanfrage vor.


Aktuell wurde zum Umbau des Wertstoffhofes in Buer, der überraschend sehr viel teurer werden soll, in der Stadtgesellschaft bereits im Vorfeld Unmut geäußert. Statt 5 Mio. soll der Umbau 17 Mio. Euro kosten. Schauen wir uns die mediale Berichterstattung einmal näher an. Vielleicht sagt sie uns etwas über die strukturelle Korruption, die beim Bauen grundsätzlich eine Gefahr bedeutet, wie man im ARD-Film „Der König von Köln“ sehr anschaulich nachvollziehen kann.


„Strukturelle Korruption ist geplant und führt oft zu langfristig angelegten, so genannten korruptiven Beziehungen.”

LKA NRW

Korruption im Fall des
Umbaus des Wertstoffhofes am Werke?


Die WAZ spöttelt Anfang Februar zum Umbau des Wertstoffhofes: „Es fallen Vergleiche zum Berliner Flughafen.“ Was am Berliner Flughafen geschehen ist, hat sehr viel mit Korruption zu tun. Das belegt die langjährige Mitarbeit der Organisation zur Bekämpfung von Korruption „Transparency Deutschland“, die eine Aufsichtsrolle beim BER erhielt, aber 2015 wegen weiterer korruptiver Vorgänge ihre Arbeit einstellte, da sie darüber nicht informiert worden waren. Wer den Umbau des Wertstoffhofes mit dem BER vergleicht, rückt ihn in den Bereich von Korruption.


Dass Bauen grundsätzlich – und im vorliegenden Fall des Wertstoffhofes geht es um Umbauen – eine besondere Nähe zum Korruptionsgeschehen aufweist, bekräftigt den Eindruck eines veralteten Konzepts von Verwaltung mit unzureichenden Sach- und Personalressourcen, sowie Mängeln in der Fortbildung der Prüfer. Es scheint weiterhin an Bindung, Integrität und Normentreue zu fehlen, obwohl im Zuge des Jugendamtskandals im Jahr 2016 Abhilfe versprochen worden war.


War der Gelsenkirchener Jugendamtskandal gekennzeichnet von zu wenig Kontrolle des Verwaltungsvorstands gegenüber der Führungsetage im Jugendamt, so hat der Hauptverwaltungsbeamte und OB Frank Baranowski Besserung versprochen. Wenn er noch, wie er im Aufklärungsausschuss sagte, seinen Mitarbeitern grundsätzlich vertraut hat, die ihn mit einem System aus „Tricksen, Täuschen, Tarnen“ enttäuscht haben, so sollte sich das danach ändern. Woraus sich erklärtermaßen schließen lässt, dass seit 2016 auch in Gelsenkirchen gelten sollte: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.”

Wenn ein Teil der örtlichen Medien den Umbau des Wertstoffshofes in die Nähe von Korruption rücken, erinnert das hinsichtlich der versprochenen Verwaltungsumorientierung von OB Baranowski hin zu mehr Kontrolle in der Verwaltung an die Weisheit des Rechtssoziologen Professor Klaus F. Röhl aus Bochum, der feststellt:

„Zumal wenn die Modernisierung im Zeitraffer erfolgt, so dass die politischen Institutionen nicht Schritt halten, ist massive Korruption anscheinend unvermeidbar.”


Der Vorwurf, die Versprechen möglicherweise nicht entsprechend umgesetzt zu haben, richtet sich neben dem OB auch an das politische Gremium des Rates. Denn der Rat ist als Teil der Verwaltung mitverantwortlich dafür, dass die Versprechen in Verwaltungswirklichkeit umgesetzt werden. Dass eine moderne Verwaltung entsteht, die Korruption verhindert, und damit Haushaltslöcher schließt, durch die Geld, dass für die Stadtgesellschaft bestimmt ist, dem Rat tatsächlich für seine Arbeit zur Verfügung steht und nicht in unbefugte private Hände abfließt, darf als Konsens vorausgesetzt werden. Schauen wir uns daher an, was der Stadtgesellschaft versprochen wurde, und was in einer modernen Verwaltung als Standard gilt. Wie andere Städte im Vergleich der Besten (benchmark) mit dem Thema einer modernen Verwaltung umgehen, die sie in die Lage versetzt auf ein Korruptionsgeschehen angemessen zu reagieren.


Verwaltung und Korruption im Benchmark

Schaut man in andere NRW-Städte, wie dort die Lage und Haltung zur Korruptionsbekämpfung ist, so findet sich laut unserem Experten Professor Carsten Stark ein gewisser Standard bei der Installierung einer angemessenen modernen Verwaltungsstelle zur Bekämpfung von Korruption:

„Fast alle größeren Städte in Deutschland verfügen über eine derartige Stelle. Inwieweit derartige Stellen auch in der Realität wirksam sind, oder nur pro forma eingeführt werden, ist eine empirische Frage. Hier kann man zwei extreme Ausprägungen empirisch beobachten. Zum einen die Mehrfachbeauftragung an einer Stelle, um auf dem Papier aktiv geworden zu sein, ohne dass dahinter irgendeine reale Tätigkeit oder reale Kompetenzen stehen würden (sog. „Fahrradbeauftrage“) und auf der anderen Seite weisungsunabhängige gut ausgestattete Stellen mit weitreichenden Befugnissen. Ich kann nicht beurteilen, wo genau auf dieser Dimension die Stadt Gelsenkirchen zu finden ist.”



Neben dieser nachvollziehbaren Expertenansicht findet sich von vermeintlich allzu gut meinenden Zeitgenossen aus dem Bereich der Verwaltung vereinzelt durchaus schon mal die ein oder andere merkwürdige Äußerung.


Aus Meerbusch (Neuss) stammt folgende grundsätzliche, sehr bedenkliche Positionierung:
„Gegen den vorsätzlich kriminell agierenden Mitarbeiter kann präventiv nichts gemacht werden.“ – „Verantwortliche sollten bei Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung nicht davon ausgehen, dass ihre Mitarbeiter vom 1. Tag ihres Beschäftigungsverhältnisses an mit festem kriminellen Vorsatz arbeiten. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der typische Täter per Zufall kriminell wird.“
(Quelle: Helmut Fiebig,Leiter des Rechnungsprüfungsamtes Meerbusch)


Auf die hiermit verbundenen Fragestellungen antwortet Prof. Carsten Stark wie folgt:

„Dass gegen kriminell agierende Mitarbeiter präventiv nichts gemacht werden kann, ist allerdings absoluter Unsinn. Es gibt sehr wohl präventive Maßnahmen. Sollte sich eine Verwaltung auf diese unsinnige Behauptung beziehen, würde sie grob fahrlässig handeln. Zu prüfen wäre auch, ob hier nicht ein Verleitungs-Straftatbestand von Seiten der Vorgesetzten vorliegen würde.“

Mit diesem letzten Hinweis auf die allgemein bestehende strafrechtliche Dimension möchte ich an dieser Stelle zunächst den ersten groben Blick auf den Standard und den Vergleich mit anderen Städten beenden, um mit dem Zustand der tatsächlichen Einrichtungsorganisation nach den Versprechungen durch OB Frank Baranowski den Blick auf die Rahmenbedingungen, insbesondere des Datenschutz- und Compliancebeauftragten, vor Ort zu schärfen.

Versprochene und bestehende Kontrolle der Verwaltung

Mit dem Jugendamtskandal 2015/16 blicken wir auf ein einschneidendes Ereignis der Gelsenkirchener Geschichte zurück. Der vorzeitigen Schließung des Aufklärungsausschusses (AFJH) durch die Mehrheitsfraktion der SPD widersprach der Sprecher der CDU Sascha Kurth6 sehr deutlich, weil er weiteren Aufklärungsbedarf sah. Mit Versprechungen des Oberbürgermeisters Frank Baranowski ließen sich alle Beteiligen dahingehend beruhigen, dass dergleichen nie wieder geschehen wird. Obwohl während der gesamten Arbeit im Aufklärungsausschuss das Wort „Korruption“ in der Berichterstattung keine Rolle spielte, versprach Baranowski abschließend Besserung in dieser Hinsicht. Was der verantwortliche Hauptverwaltungsbeamte Frank Baranowski im Anschluss an den Jugendamtskandal an Korruptionspräventionsarbeit in Verwaltung zukünftig versprochen hat, stellt sich so dar:

„Ebenfalls ist vorgesehen, einen
Beauftragten/eine Beauftragte zur
Korruptionsprävention zu ernennen.“
Abschlussbericht AFJH, S. 24, Pkt. 3. Compliance-Regeln

„Korruptionsprävention ist eine Daueraufgabe, die für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine Dienstpflicht ist, damit das positive Ansehen der Stadtverwaltung Gelsenkirchen in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit nicht beschädigt wird und nach wie vor erhalten bleibt. Die Stadtverwaltung Gelsenkirchen bekennt sich zu einer aktiven und offensiven Korruptionsbekämpfung.“
Oberbürgermeister Frank Baranowski.
PM der Stadt Gelsenkirchen vom 14. April 2016


Nun, einen Beauftragten für Korruptionsprävention gibt es bis heute in Gelsenkirchen nicht. Es gibt einen Zwitterbeauftragten aus Datenschutz und Compliance, was erklärtermaßen erhebliche Sorgen bereiten muss, da die Hauptaufgabe der Korruptionsbekämpfung möglicherweise bei dieser Form der Einrichtungsorganisation zu kurz kommt. Zwar hat der Beauftragte eine Whistleblower-Hotline mit einem bemerkenswerten Spruch eingerichtet, um sich offenbar die Anfangsziffer der Rufnummer gut merken zu können:
„Gemäß dem Grundsatz ‚Korruption geht uns alle an – gibt ACHT!’ ist beim Geschäftsbereich Datenschutz und Compliance als Beauftragter für Integritätssicherung unter der Durchwahl +49 (209) 169-8000 eine Antikorruptionshotline eingerichtet.“


Aber die Erwartungshaltung, die aus der Empfehlung der Compliance-Arbeitsgruppe im Anschluss an den Jugendamtskandal resultierte, wird leider enttäuscht: „Ergänzend schlägt die Arbeitsgruppe vor, ein ‚Anti-Korruptionskonzept’ im Sinne eines Maßnahmenkataloges für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung Gelsenkirchen einschließlich der eigenbetriebsähnlichen Einrichtungen zu installieren.“
Kein Anti-Korruptionsbeauftragter, kein Anti-Korruptionskonzept. Zwei Enttäuschungen, die von der dritten Enttäuschung des Zwitter-Compliance-Beauftragten noch erweitert wird. Wir sehen gleich aus welch gutem Grund.

Die Problematik der Doppelfunktion des Datenschutz- und Compliance-Beauftragten

Die Doppelfunktion des örtlichen Beauftragten sieht unser Experte durchaus als problematisch an. Prof. Stark antwortete auf Nachfrage hinsichtlich der Doppelfunktion wie folgt:

„Die Einführung einer wirksamen und auch mit entsprechenden Kompetenzen ausgestatteten Anti-Korruptions- oder auch Compliancestelle auf kommunaler Ebene lässt sich allgemein aus dem Stand der Forschung zum Thema Korruptionsprävention herleiten. Fast alle größeren Städte in Deutschland verfügen über eine derartige Stelle.“


Inwieweit derartige Stellen auch in der Realität wirksam sind, oder nur pro forma eingeführt werden, ist eine empirische Frage. Hier kann man zwei extreme Ausprägungen empirisch beobachten. Zum einen die Mehrfachbeauftragung an einer Stelle, um auf dem Papier aktiv geworden zu sein, ohne dass dahinter irgendeine reale Tätigkeit oder reale Kompetenzen stehen würden (sog. „Fahrradbeauftrage“) und auf der anderen Seite weisungsunabhängige gut ausgestattete Stellen mit weitreichenden Befugnissen. Ich kann nicht beurteilen, wo genau auf dieser Dimension die Stadt Gelsenkirchen zu finden ist. Zumindest kann man deutlich sagen, dass eine Kombination mit dem Datenschutz mehr als ungewöhnlich ist. Zumal, weil der Datenschutz ja ohnehin ein wichtiger Teil von Compliance ist und befürchtet werden muss, dass andere Bereiche der Compliance dann nicht auch zusätzlich abgebildet werden. Gemeint ist hier natürlich insbesondere der Bereich der Korruptionsprävention. Stand der Forschung ist, dass man, um hier präventiv wirksam sein zu können, die Beschäftigten schulen muss, eine Risikoanalyse der Stellen und eine Schwachstellenanalyse der Verwaltungsprozesse durchführt. Das sind typischerweise Tätigkeiten, die bei einem Organisations- oder Personalamt oder bei der Rechnungsprüfung angesiedelt sind. Daher sind die meisten Anti-Korruptionsstellen bei deutschen Kommunen auch in diesen Ämtern verortet.

Eine Compliance Stelle unterscheidet sich insofern davon, dass sie all diese Bereiche integriert und die Arbeit der betroffenen Ämter koordiniert. Diese Stelle ist dann häufig in einem Rechtsamt angesiedelt. Auch derartige unabhängige Compliance Stellen gibt es natürlich in deutschen Kommunen.“
Das Versprechen von Frank Baranowski, eine „aktive und offensive Korruptionsbekämpfung“ zu installieren, hat eine rechtliche Bedeutung. Das Rechtsverständnis von aktiver Korruptionsbekämpfung bedeutet – seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofes von 2009 und der Änderung des Strafgesetzbuches im Jahr 2015 – die persönliche Rechtspflicht eines Compliance Officers ernst zu nehmen, wonach die Begehung von Straftaten durch Mitarbeiter des Unternehmens aktiv zu verhindern ist. Was in der Verwaltungswirklichkeit im Ansatz tatsächlich erkennbar ist, dürfte mit der Meinung des Experten als Mehrfachbeauftragung, mithin einer Beauftragung auf dem Papier, vergleichbar bewertet werden. Das reicht politisch nicht, um das Versprechen einzulösen.


Ob es im demokratischen Sinne reicht, was Rat und Verwaltung mit dem Datenschutz- und Compliancebeauftragten an Mehrfachbeauftragung eingerichtet haben, lässt sich mit einem zweiten Blick in die Website und das Ratsinformationssystem der Stadt Gelsenkirchen verifizieren. Dort findet sich keinerlei nähere Auskunft im Sinne einer Information der Öffentlichkeit nach Bekemann, die ein Recht auf Informationen über Maßnahmen der Prävention, Repression und Kontrolle hat, die auch mit einer fortlaufenden Information der Öffentlichkeit über die getroffenen Anti-Korruptionsmaßnahmen über die Korruptionsprävention hinaus auch die Förderung des Vertrauens der Bürger in die Verwaltung und die konkrete Verwendung öffentlicher Mittel stärkt.


Zu dem Anspruch der Öffentlichkeit, den der Rechnungsprüfer und Anti-Korruptionsbeauftragte der Stadt Bielefeld Uwe Bekemann in seinem Handbuch erklärtermaßen postuliert, schreibt Professor Carsten Stark auf die Frage, ob er diesen Anspruch der Öffentlichkeit gegenüber der Verwaltung gerechtfertigt findet:
„Dass diese Stelle dann auch die Aufgabe hat, durch Information und durch Ansprechbarkeit eine Verbindung zur kommunalen Öffentlichkeit herzustellen ist absolut zutreffend. Hier kann ich Herrn Bekemann nur zustimmen.“

Ausblick und Kommentar
An dieser Stelle lässt sich auf einen weiteren Artikel aus dieser Reihe blicken, wo es im vierten Teil darum gehen wird, zu zeigen, warum das Aufgabenfeld eines Compliance-Beauftragten umfangreicher geworden ist, da mit der Verschärfung des Korruptionsstrafrechts und der Einführung des Geschäftsherrenmodells der Strafrahmen erweitert wurde. Wobei es auf der anderen Seite durchaus Versuche gibt, die Rolle eines Compliance-Beauftragten mit seiner skizzierten rechtlichen Verantwortung, wie hier mittels der Mehrfachbeauftragung und der Folge einer „Funktion auf dem Papier“, durch verschiedene weitere Tricks zu verwässern. Ein solches Unterfangen erinnert aber letztlich nur an den Ursprung des von OB Frank Baranowski abgegebenen Versprechens, der als Ausgangspunkt ein aktives Gegensteuern gegen ein Handeln auf Verwaltungsebene ausmacht, das auf „Tricksen, Täuschen, Tarnen“ beruht.


Für hier und jetzt möchte ich mit folgendem Appell an den Rat und Verwaltungsvorstand schließen, den Zustand bei der Korruptionsbekämpfung durch eine unzureichende Mehrfachbeauftragung des Datenschutz- und Compliancebeauftragten zu beenden, und ein modernes Personalentwicklungskonzept im Zuge des „kritischen Ereignisses“ nach dem Jugendamtskandal, und vor einem medial erwarteten Wertstoffhof-Skandal, zu installieren. Schließen Sie die Lücken im Bereich der Sach- und Personalressourcen im Rechnungsprüfungsamt. Schaffen Sie eine moderne Rechnungsprüfungsordnung, wobei der unabhängige Zugriff auf die EDV standardisiert wird. Beenden Sie den Zustand, wonach die Ansprechpersonen für Korruptionsbekämpfung zeitlich und fachlich mit ihrer Aufgabe überfordert sind. Schließen Sie die Lücke bei der Fortbildung; verabschieden Sie Fortbildungskonzepte und -veranstaltungen zur Korruptionsprävention. Beenden Sie die Gelegenheitsstrukturen, die letztlich laut BKA-Lagebild zu einem Ansteigen der Zahl der Korruptionsfälle in der öffentlichen Verwaltung führen, wenn wirksame Compliance-Strukturen fehlen.


Nehmen Sie die Warnungen von Experten ernst, die „Verwaltungen des Öffentlichen Dienstes als dem Gemeinwohl verpflichtete und mit den Steuern von Bürgerinnen und Bürgern arbeitende Institutionen“ auf wirklich aktives und offensives Handeln einschwören, weil sie es „sich zukünftig nicht mehr leisten können, Investitionen in den Wirksamkeitsnachweis von Fortbildungsveranstaltungen zu vernachlässigen.“ (Lendner/Scholer)


Nehmen Sie die Anlässe und die Beteiligung der Öffentlichkeit ernst und nutzen die Chance des Scheiterns, wie es Professor Carsten Stark formuliert:


„Aus meiner Erfahrung kann ich berichten, dass viele Kommunen sich des Themas erst annehmen, wenn es zu einem massiven Skandal mit großen finanziellen Auswirkungen gekommen ist. Dann aber umso intensiver präventiv arbeiten. Wenn dem nicht so sein sollte, wäre das aus meiner Perspektive heraus eine durchaus auffällige und erklärungswürdige Position.“


Wirken Sie dem Eindruck entgegen, dass dem Rat, der Mehrheitsfraktion und der Verwaltung der Schaden aus dem Jugendamtskandal nicht groß genug war, um eine effektive Verwaltung zu etablieren, die dem „kritischen Ereignis“ folgend eine moderne Verwaltung mit einem modernen Personalentwicklungskonzept und Anti-Korruptionskonzept unter voller Einbeziehung der Öffentlichkeit aufbaut, und so das verloren gegangene Vertrauen wirklich wieder zurückzugewinnen sucht.

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