Fantastische Welten an der Grillostraße

Ein Besuch in der Materialverwaltung on Tour

 

Mitten im Stadtteil Schalke, in unmittelbarer Nähe zur Berliner Brücke erhebt sich der neuromanische Backsteinbau der St.-Joseph-Kirche. Über die Kurt-Schumacher-Straße rauscht man sicherlich regelmäßig an dieser Basilika vorbei, ohne großartig Notiz von ihr zu nehmen. Dem einen oder anderen ist sie vielleicht als Schalke-Kirche bekannt, als Begegnungsstätte vor den Heimspielen.

Ein Fuchur für Schalke
Ein Blick in die Kirche lässt Interessierte und Neugierige in eine fabelhafte Fantasiewelt eintauchen, ausgeleuchtet in den schillerndsten Farben. Durch die Kirchenfenster fällt zusätzlich buntes Licht auf Theater-Requisiten, die man sich bis dahin nicht einmal vorstellen konnte. Der riesige Hundekopf des „Moon Dogs“ begrüßt Besucher direkt im Eingangsbereich mit rot-leuchtender Nasenspitze – per Mechanik können sogar Augenlider und Ohren bewegt werden. An der nächsten Ecke grüßt ein Plüsch-Eisbär mit Geweih. Der Weg durch das ausladende Kirchenschiff führt durch verschiedene Kulissen und Nischen. Auf der einen Seite aufgetürmte Filmrollen, ausgediente Monitore, eine Armada an Schreibmaschinen, vorbei an einer maritimen Szenerie mit Fischernetz und Schaufensterpuppe. Links unter der Discokugel hindurch gelangt man in die Sportabteilung, flankiert von einem überdimensionalen Golfball, der von einem Plastik-Storch bewacht wird.
Zurück im Mittelgang steht man plötzlich in einem Klassenzimmer mit Holz-Schulbänken. Nebenan nimmt man Platz in einem Wohnzimmer der 50er-Jahre mit stilechten Polstersesseln, Gelsenkirchener Barock-Schrank und Stehlampe. Ein kunterbuntes Sammelsurium – aber warum steht das alles in einer Kirche?

Ein Fundus auf Wanderschaft
Seit August letzten Jahres beherbergt die St.-Joseph-Kirche diesen bunten Mix geretteter Theater-Requisiten. Die Materialverwaltung on Tour (MVOT) hat hier temporär Unterschlupf gefunden und lädt regelmäßig zu Besuchen und Events, soweit es die Pandemie-Beschränkungen momentan zulassen. Dieses war z. B. im Rahmen eines Theater-Workshops möglich, es gab Kurse zu Cyanotopie und Siebdruck und auf dem Winterbasar präsentierten Künstler*innen ihr Handwerk. Sogar ein besonders atmosphärisches DJ-Set wurde live aus der Kirche gestreamt.
Die Initiative selbst ist das westliche Pendant zur Hanseatischen Materialverwaltung im Norden. Die „große Schwester“ existiert seit rund neun Jahren und hat einen festen Sitz in Hamburg. Die mobile Variante mit Carina Hommel als Teammitglied fand ihren Anfang 2019 und machte seitdem bereits Station in Bochum und in Oberhausen. Bis voraussichtlich Juni 2022 wird die Materialverwaltung ihre vorübergehende Unterkunft in St. Joseph behalten.
Als Künstlerin und Theater-Pädagogin ist Carina Hommel schon lange mit dem Thema vertraut, dass eigentlich noch funktionierende und gut erhaltene Requisiten und Kulissen aus Platzgründen einfach weggeschmissen werden. Gerade größere Theater besitzen zwar zusätzliche Außenlager, aber auch diese erreichen irgendwann ihre Kapazitätsgrenze. Glücklicherweise verfügt die Initiative mittlerweile über ein solides Netzwerk und wird frühzeitig zur Rettung vor solchen Entsorgungsaktionen benachrichtigt. Die MVOT sieht sich dabei als Schnittstelle, um diesen Requisiten neues Leben einzuhauchen bzw. es zu verlängern und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Alles für alle
Die Materialverwaltung lebt natürlich u. a. davon, dass die Requisiten gegen einen bestimmten Mietpreis ausgeliehen werden. Die kürzeste Ausleihdauer beträgt eine Woche. Die Preise variieren, je nach Gegenstand, Zeitfaktor und nach dem, wer es ausleiht. Es gibt Preisstaffelungen, die sich nach den Mitteln der Ausleihenden richten – je gemeinnütziger, desto günstiger. Gerade denen, die über wenig Budget verfügen, soll damit die Möglichkeit gegeben werden, von diesem besonderen Fundus profitieren zu können, wie z. B. Amateur- und Kindertheater, freischaffende Künstlerinnen, Studierende, soziale Projekte, aber auch Privatpersonen etc. Die bestehenden Kulissen können nach Absprache z. B. als Filmset genutzt werden, auch für Fotografen und Influencerinnen ist die Location sicherlich nicht
uninteressant. Die Öffnungszeiten sind für März auf donnerstags von 12-18 Uhr beschränkt oder nach Absprache möglich. Auf den Social-Media-Accounts und auf der Website werden die aktuellen Zeiten regelmäßig angepasst.

Ein Zuhause
Für die nahe Zukunft steht der Wunsch nach einer festen Bleibe für die Mitglieder der MVOT im Vordergrund. Auf jeden Fall im Ruhrgebiet, gerne weiterhin in Gelsenkirchen. Idealerweise muss dieses Domizil mindestens 1.500 m2 groß sein, über sechs Meter hohe Decken vorweisen und ÖPNV-Anbindung haben. Gerade in Hinblick auf geplante Tanz- und Musikveranstaltungen sind Standorte, die mitten in Wohngebieten liegen, weniger geeignet. Das lässt die Auswahl an Möglichkeiten natürlich schrumpfen. Trotzdem hofft die Materialverwaltung auf eine langfristige Lösung in der näheren Umgebung.

Fundus-Telefon: 0157 33258340
E-Mail: info@materialverwaltung-ontour.de

www.materialverwaltung-ontour.de

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