Schalker Betrachtungen: Wülfing trifft Pfarrer Assmann
Ich treffe den berüchtigten Pfarrer vor der Arena an der zugigen 1000-Freunde-Mauer, denn die Kapelle im Inneren ist virusbedingt geschlossen.
André Wülfing: Herr Pfarrer, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, hier mit uns zu sprechen. Das isso.-Magazin führt ja an dieser Stelle bekanntlich Gespräche mit Menschen, die vor allem auch namentlich einen Bezug zum FC Schalke 04 haben. Wessen aktellen oder ehemaligen Spieler der Königsblauen sind Sie denn der Patenonkel, wenn ich das so fragen darf?
Pfarrer Assmann: Keines Spielers, keineswegs. Wie Sie mir selbst vor diesem Interview gesteckt haben, haben Sie doch gar keinen Spieler Assmann bei Schalke gefunden! Lediglich …
Ja? Was habe ich gefunden?
… dass es im Beckumer Schalke-Fanclub „Wir Auf Schalke“ jede Menge Assmänner unterschiedlicher Generationen gibt, Frauen und Männer, die da das Clubleben wesentlich mitbestimmen. Und mit denen bin ich nachweislich verwandt, wir haben gemeinsame Urgroßeltern, die am 4. Mai 1904 geheiratet haben. Ich danke Ihnen, der isso, denn das hatte ich vorher noch gar nicht gewusst.
Seh’n Se.
Ja.
Herr Pfarrer, nun sind Sie ja berüchtigt,
wie Sie wissen werden …
Mein Name! Mein Name ist berüchtigt!
Ja, sei’s drum, ihr Name, also, es heißt ja immer, „mach’s doch wie Pfarrer Assmann“, oder?
Wenn Sie wüssten, wie oft ich das schon gehört habe … Oder „wie ich’s denn eigentlich mache“, und so weiter … Das nervt, glauben Sie mir.
Das glaube ich gerne. – Wie oft haben Sie das denn schon gehört?
Tausend Mal. – Ich sag‘ Ihnen jetzt einfach so eine Zahl, wissen Sie. Wir stehen ja hier gerade vor der 1000-Freunde-Mauer. Deshalb, einfach so.
Ja, gut, Herr … äh, Pfarrer, was mich interessiert, jetzt Sie so als Mann der Kirche … Ist Schalke eine Religion, oder nicht?
Nicht, dass ich diese Frage nicht schon 999 Mal gehört hätte, aber das macht nichts. Die Antwort ist leicht: Nein.
Keine Religion?
Nein. Schalke und Fußball und irgendein anderer Verein sind definitiv keine Religion. Aber ein Religionsersatz, darüber können wir reden, ein Religionsersatz, das schon.
Woran machen Sie das fest?
Verehrte Flankengötter. Inbrünstiger Chorgesang. Immer gleiche Wochenendrituale. Mit Bier getaufte Fußballtempel. Identitätsvorgaukelnde Kostüme … Brauchen Sie noch mehr Stichworte?
Danke, im Moment nicht, sagen Sie, ist das denn der Kirche nicht ein Dorn im Auge?
Ach wo. Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen. So spricht der Meister der Herzen, wenn wir Matthäus glauben dürfen.
Kann denn Ihr Meister der Herzen gleichzeitig in allen Tempeln aller Nachbarstädte zu Hause sein? Wie weit darf Ihrer Meinung nach die ersatzreligiöse Rivalität gehen?
Das ist mal eine interessante Frage. Danke sehr, dass Sie jetzt mal mit so etwas kommen. Nun, ich weiß nicht. Stünden wir gerade vor diesem schwarz-gelben Versicherungsgebäude in Lüdenscheid, würde ich Ihnen vielleicht etwas anderes antworten. Jedenfalls, was will ich sagen. Ich will sagen, die eigenen Farben über die Maßen positiv zu feiern, anzufeuern, zu bejubeln und auch in schwierigen Zeiten tapfer mit Zuspruch bedenken, da sehe ich keine Grenzen außer denen der Gefährdung von Leib und Gesundheit. Den Genuss des Messweins aus der Sauerländischen Spezialbrauerei müssen wir bei dieser Argumentation wohl außen vor lassen.
Wo aber ist eine Grenze überschritten?
Was ist mit Andersgläubigen?
Ich persönlich mag keine Schmähgesänge. Mich erhöht das nicht, andere einzeln oder kollektiv zu schmähen als Menschen, die angeblich abwechselnd aufgrund unverschuldeter Armut nicht in eigenen, warmen Wohnungen, sondern unter Brücken schlafen, oder auch als Nachkommen von Sex-Arbeiterinnen. Mich ekelt das, solche Gesänge, und ich betrachte deren Inhalte auch nicht als Teil eines Mythos vom Schalker Markt oder so. – Vielleicht aber reden wir hier immer noch von einer Geschmacksfrage und nicht von einem Tabu.
Das wäre?
Rassismus. Mord, Totschlag, Gewalt, Waffengebrauch, und zwar nicht erst in Wirklichkeit, sondern zuvor schon längst in Wort und Bild auf Kutten und Stickern und natürlich im Netz … Schauen Sie mal die Seiten „Anti Schalke“ und „Anti Dortmund“ an.
Wieso? Ist das Schönste an Dortmund nicht die Autobahn nach Gelsenkirchen??
Sie wissen selbst, dass es diese Art Autobahnen in der ganzen Republik verteilt gibt, zwischen Hamburg und Bremen, Köln und Mönchengladbach, Frankfurt und Offenbach usw., jeweils in beide Richtungen. Ich halte das für die niedrigste Stufe der möglichen Schmähungen. Ich gebe Ihnen ein anderes Beispiel, die Aussage auf Stickern: „Warum die Zeit totschlagen? Es gibt doch Schalker!“ – Die „Schalker“ sind hier natürlich austauschbar. Aber Sie sehen in den dazugehörigen Cartoons Messer in Leibern, stilisiertes Blut auf Trikots der anderen Farben … Das möchte ich in meiner Kirche nicht und nicht in meinem Verein. „Wir kriegen euch alle“, steht da, gesprochen von einer Kapuzengestalt mit Sense, und vorne flüchtet entsetzt ein Fan wie du und ich in seinem Trikot. Das erinnert mich an Inquisitionen, egal ob im Christlichen oder Islamischen. Das hat mit Religion, auch mit Religionsersatz rein gar nichts zu tun, nicht mit Spiel und Sport, nicht mit Geschäft und Event, und nur sehr vermeintlich etwas mit Schalke oder dem BvB. Weg damit!
Herr Pfarrer, dürfen wir das alles drucken?
Das sollen Sie sogar drucken. Wollen Sie noch mehr hören? Sie können auch gerne drucken, dass diese Wand hier längst mal 1000-Freund*innen-Mauer heißen könnte. Oder Sie könnten mit Herrn Asamoah mal ein Gespräch über das abhängige, politische System in Ghana führen. Oder Sie könnten mich fragen, welche Nachricht mich zuletzt sehr positiv berührt hat.
O.K., viel Zeit haben wir nicht mehr wirklich, das Ganze muss ja noch gelayoutet werden, der Druck, die Verteilung, wissen Sie, die isso. soll ja immer am Monatsersten …
Ja, danke, dass Sie fragen. Zuletzt sehr positiv berührt hat mich der von allen Beteiligten vor Ort mitgetragene Spielabbruch in Duisburg, nachdem ein Typ von der Tribüne einen gegnerischen Spieler in Bezug auf dessen Hautfarbe übel beleidigt hatte. MSV Duisburg gegen VfL Osnabrück: Bitte merken. Man kann auch mit Haltung Profi sein, einzeln und im Kollektiv.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Pfarrer. Zum Schluss noch eine kleine Aufklärung: Wenn mir wieder mal gesagt wird, ich solle das doch einfach machen wie der Pfarrer Assmann, und ich nachfrage, wie der es denn gemacht habe, was bekomme ich dann zu hören?
Dass der Pfarrer Assmann es gemacht hat wie der Pfarrer Nolte.
Und der?
Der machte es, wie er wollte.
Endlich. Danke. – Und grüßen Sie uns die fernen Verwandten im Fanclub in Beckum!