Kaue: „Alles kann, nichts muss“

Kaue-Workshop nach fast einem Jahr

Als im April 2021 bekannt wurde, dass die Kaue als Kultur- und Veranstaltungsort abgestoßen werden sollte, sprich: der Mietvertrag zwischen Stadtwerken (emschertainment GmbH) und der Vermieterin VEWO Wohnungsverwaltung GmbH nicht verlängert werden sollte, war die Resonanz in Bevölkerung, Politik und der freien Kunst- und Kulturszene groß. Man wolle die Kaue behalten! Das Echo in den sozialen Medien war immens, die Empörung wegen des Versuchs einer geräuschlosen Abwicklung gerecht.

Die Oberbürgermeisterin Karin Welge verkündete daraufhin, dass die Stadt Gelsenkirchen den Vertrag um drei weitere Jahre verlängern würde. Bis dahin müsse man ein tragfähiges Konzept erarbeitet haben, weshalb nun die freie Szene und interessierte Bürgerinnen und Bürger eingeladen waren.

Auffallend wenig Menschen außerhalb der städtischen Verwaltung und Presse fanden den Weg an diesem Nachmittag in die Bühnenhalle der Kaue, was vielleicht auch daran lag, dass viele Interessierte die Einladung durch die Stadt nicht erhalten hatten, über den verlegten Termin schlicht nur über die WAZ informiert worden war. „Alles kann, nichts muss“, war die Aufforderung von Anne Heselhaus, Beigeordnete des Vorstandsbereichs Kultur, Bildung, Jugend, Sport und Integration, an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Moderator und Prozessbegleiter Tobias Bäcker setzte mit seinem Appell nach größtmöglicher Denkfreiheit der Runde den Diskussionsrahmen: „Wir werden heute nicht ans Geld denken, auch nicht an betriebliche Abläufe oder rechtliche Rahmenbedingungen. Die Frage nach Geld und Machbarkeit ist wichtig, aber bei einem Haus mit dieser Geschichte wollen wir erst vom Inhalt her denken.“ Tobias Bäcker hat als Geschäftsführer der startklar-Agentur schon viele Transformationsprozesse wie diesen begleitet.

Doch seitens der Stadt und der Betreiberin der Kaue, der Stadttochter emschertainment GmbH, die bis zum Sommer dieses Jahres gerne ein tragfähiges Konzept festgezurrt hätte, geht es vor allem um die Rahmenbedingungen: „Es ist in der Tat ein ambitioniertes Programm, aber wir gehalten ab dem Jahr 2023 dafür Sorge zu tragen, dass hier eine Vielzahl an Veranstaltungen stattfinden können und müssen. Die Kaue wird angemietet, und es muss sich rechnen, den Betrieb weiterzuführen,“ so Heselhaus. Vieles muss also, wenig darf, zumindest nach Ansicht der städtischen Seite. Auch emschertainment-Chef Helmut Hasenkox verdeutlicht, dass man als Betreiber nicht einfach den Schlüssel an Kulturschaffende abgeben könne: „Wir tragen die rechtliche Verantwortung.“

Diese Zwänge der Stadt blendeten die Gäste aber aus, wie auch Tobias Bäcker angeraten hatte, als sie ihre Kaue-Ideen vorstellten. Lesungen, Konzerte, Ausstellungen, Soziokulturelles Zentrum, Comedy, Dragshows wurden genannt. Formate, die wohl kaum die fehlenden Veranstaltungen der emschertainment finanziell ersetzen werden können.

 

Kommentar:

Eine Art kognitive Dissonanz muss die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Veranstaltung erfasst haben, denn die Botschaften waren nicht übereinzubringen. Was kann die Kaue, um als Haus für die freie Kulturszene und die Zivilgesellschaft Gelsenkirchens entwickelt zu werden? Diese Gedanken unabhängig von dem engen Korsett der „Gebühren- und Entgeltordnung“ (Heselhaus) oder der Haushoheit der emschertainment als Betreibergesellschaft zu entwickeln, war nur durch konsequente Ausblendung derselben möglich. Entwickler Tobias Bäcker vermochte es, seinen Auftrag dennoch klarzustellen und die Beteiligten zu einem freien Gedankenspiel anzuregen. Doch als reines Planspiel und Beteiligungsscharade sollte das Ganze nicht enden. Die Stadt Gelsenkirchen muss sich klar werden, was sie zu geben bereit ist. Dass junge Bands oder Kunstausstellungen nicht die Miete reinbringen, sollte jedem klar sein. Die emschertainment als Betreiberin ist in dieser Konstellation aufgrund ihres Konstrukts eher Verhinderin als Unterstützerin. Techniker, die zu bezahlen sind, Miete, die zu entrichten ist, wenig Raum, der zu bespielen ist – all das sind von vornherein unerfüllbare und unattraktive Rahmenbedingungen, die kaum die fast immer prekär arbeitenden Kulturmenschen dieser Stadt dazu animieren, sich mit Verve und unternehmerischen Risiko auf die Kaue zu stürzen. Kultur ist ein Zuschussgeschäft, selbst die emschertainment ist seit Jahren im Millionenbereich defizitär. Die Vorstellung, dass nun die freie Szene die rund 200.000 Euro an jährlicher Miete oder einen Teil der Personalkosten eintrommeln soll, ist absurd. Kann die Stadt Gelsenkirchen den Betrieb der Kaue nicht tragen, so muss dies klar kommuniziert werden. Als die Oberbürgermeisterin Karin Welge den Bürgerinnen und Bürgern versicherte, dass die Kaue unter städtischer Flagge weitererhalten bleiben würde, war dies sicher ein Schnellschuss unter dem öffentlichen Feuer. Doch weder Populismus noch Verzögerung helfen der Kaue weiter. Dass der Mietvertrag vorerst für drei Jahre geschlossen wurde, sich die Stadt aber fast ein Jahr Zeit lässt, um einen ersten Findungsworkshop zu veranstalten, lässt nicht darauf schließen, dass man hier gewillt ist, die Kaue perspektivisch zu finanzieren. Sollten freie Künstler und kleinere Formate die Kaue bespielen sollen, muss das quasi kostenlos passieren. Und dass die emschertainment mit rund zehn Veranstaltungen im Jahr als Betreiberin der Kaue unumgänglich ist, ist diskutabel. Bekenntnis bitte ohne Wenn und Aber, Nebelkerzen braucht diese Gesellschaft keine mehr.

 

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3 Gedanken zu “Kaue: „Alles kann, nichts muss“

  1. Im entsprechenden WAZ-Artikel mit der Überschrift „So spannend soll die Zukunft der Kaue werden“ habe ich dann doch ausführlichster Suche weder spannendes noch zukünftliches gefunden. So bleibt es wohl (zunächst) dabei, dass es ein lippenbekennendes Wollen eben kein wirkliches Machen ist. Schade. Inhalte, die da sind und womöglich auch kurzfristig spielfähig wären, scheitern an hausgemachten Bedingungen, denen sich eine freie Szene im Grunde auch verweigern muss. Neu zu denken braucht allerdings auch den Mut, willigen Macher:innen ein Stück des Feldes zu überlassen. Im Moment erkenne ich aber keine Perspektive (noch Zukunft) für die Kaue …

  2. Zum Kommentar, der von „kognitiver Dissonanz“ und dem „dem engen Korsett der „Gebühren- und Entgeltordnung“ (Heselhaus)“ spricht, möchte ich einige Dinge anmerken, die der Kuriosität der Kommentare entsprechen:

    1. Paul Baumann hat diese (un-)kulturelle Entwicklung unter dem Regime einer ehemaligen Polizeipräsidentin Anne Heselhaus als Kultur-Dezernentin in seinem Leserbrief in der isso (Sommer 2020, S. 39) kommen sehen. Tenor: „Kulturförderung im Rahmen von „Law & Order“? Kultur, als ein politischer Raum für Widerspruch seit Jahren im Förderaus, soll zukünftig noch gezielter verunmöglicht werden durch gezielte Wirtschaftsförderung? Ziel: Kultur als Ware, entpolitisiert zum Massen-Konsum erleichtert?“

    2. Aus rechtlicher Sicht ist der genannte Ansatz eines „engen Korsett der „Gebühren- und Entgeltordnung“ (Heselhaus)“ seitens der Kultur-Dezernentin eine „anfänglich objektiv-rechtliche, praktische, tatsächliche und moralische Unmöglichkeit“. Der angestrebte Erfolg kann nicht eintreten! Das ist unmöglich! (vgl. § 275 BGB)

    3. a) Einer „kognitiven Dissonanz“ lässt sich aus Sicht der Wirtschaft mit dem Instrument der „Dissonanzreduktion“ begegnen. Das geht mittels Interpretation dissonanzreduzierender Informationen, die in Form des Nichtkaufs oder Rücktritts vom Kauf münden. Wenn wie hier der Zweck unmöglich erreicht werden kann, weil als „Leistungspflicht der Einsatz übernatürlicher, „magischer“ oder parapsychologischer Kräfte“ verlangt wird, deren Unmöglichkeit dann anzunehmen ist, wenn es den Parteien gerade auf den tatsächlichen Einsatz solcher Kräfte ankommt und nicht in Wahrheit Beratungsdienstleistungen oder Unterhaltung im Vordergrund stehen, ist der Uminterpretation des Kommunalabgabengesetzes durch die (Un-)Kultur-Dezernentin Anne Heselhaus – von „können“ in „sollen“ Gebühren erhoben werden – im Sinne der Gelsenkirchener Kultur-#401 Genüge getan. (vgl. §§ 11 KAG)

    b) Der Heselhaus-Kommentar zur Entgeltordnung der Stadt Gelsenkirchen führt zu Paragraf 2 nicht den Originaltext der Entgeltordnung, sondern streicht die Worte:
    „(2) Ein Entgelt wird nicht erhoben bei
    1. Öffentlichen Einrichtungen,
    2. Einrichtungen, die nach ihrer Satzung gemeinnützigen (§ 52 Abgabenordnung) oder mildtätigen (§ 53 Abgabenordnung) Zwecken dienen“.

    4. Das Kommunalabgabenrecht wird nach dem Gelsenkirchener Heselhaus-Kommentar in Paragraf 6 – Einschränkung von Grundrechten – dahingehend ergänzt, dass „Durch Maßnahmen auf Grund dieses Gesetzes“ die Kulturfreiheit eingeschränkt wird.

    5. Oder wie es Paul Baumann in seinem Leserbrief ausdrückte: „Endlich Kulturfrieden in Gelsenkirchen „Es herrscht Ruhe im Land…“

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