Flucht ins Ungewisse

Iranische Flüchtlinge kämpfen um ihre Zukunft

Bereits im Januar 2021 berichteten wir über das Schicksal von Mehdi Salimpour. Der gebürtige Iraner musste aufgrund seines christlichen Glaubens aus seiner streng islamisch regierten Heimat nach Deutschland fliehen, seine Familie zurücklassen und in Gelsenkirchen lange Zeit mit der Angst vor einer ungewissen Zukunft leben. Mittlerweile hat Salimpour sein Recht auf Asyl erhalten, und auch seine Frau und Tochter konnten im Dezember 2021 nach Deutschland ziehen – ein glückliches Ende nach einer langen Periode des Hoffens und Bangens.

Doch die dramatische Geschichte Salimpours ist leider kein Einzelfall. Der 44-jährige Hamidreza Torabi sowie der 36-jährige Mehdi Ehsani, die an der Seite Salimpours erst kürzlich beim Theaterstück „Omiedvar“ auf der Bühne im Hans-Sachs-Haus standen, erlebten eine ähnliche Odysse – mit dem Unterschied, dass die sichere Zukunft der beiden Iraner noch längst nicht geklärt ist. Im Interview erzählen die Männer von ihrer Flucht, den beängstigenden Zuständen im Iran sowie einer herzlichen Aufnahme in der christlichen Gemeinde.

Herr Torabi, seit wann sind Sie mittlerweile
in Deutschland?

Hamidreza Torabi: Ich lebe inzwischen seit mehr als dreieinhalb Jahren in Deutschland. Genau genommen seit September 2018.

Warum sind Sie nach Deutschland gekommen?

HT: Ich hatte ein großes Problem in meiner Heimatstadt Ghom. Nachdem ich an einer Demonstration gegen das Mullah-Regime im Iran teilgenommen hatte, wurde ich festgenommen und für anderthalb Monate ins Gefängnis gesperrt. Ghom gilt als religiöse Hauptstadt des Irans, deshalb finden dort auch viele Demonstrationen statt. Allerdings sind es keine Demonstrationen direkt gegen die Religion, das ist dort auch strengstens verboten. Es sind viel mehr Proteste gegen die fragwürdige Politik des Irans. Seit vielen Jahren ist mein Bruder ein politischer Aktivist, der an vielen Demonstrationen teilnahm. Auch deshalb war es mir sehr wichtig, selbst aktiv zu sein und gegen die schlimmen Zustände im Iran zu protestieren. Bei dieser einen bestimmten Demonstration wurden außerdem noch zwei andere Männer festgenommen, darunter auch ein guter Freund aus meiner Kindheit.

Welchen religiösen Hintergrund haben Sie?

HT: Im Iran sind wir als Moslems geboren. Aber das haben wir uns nicht ausgewählt. Der Iran ist eine Art Religionsstaat mit vielen Verboten und Vorschriften. Als Grund dafür wird häufig der Islam vorgeschoben. Aber das ist natürlich Quatsch. Es ist der Wille der Politiker und Mullahs, den Islam als Vorwand für ihre eigenen Vorstellungen anzugeben und somit der Bevölkerung verschiedene Vorschriften aufzudrängen. Die Religion wird also von einigen wenigen ausgenutzt – und ein Großteil der Bevölkerung leidet darunter. Und damit habe ich ein großes Problem. Aber natürlich nicht nur ich, sondern viele Menschen im Iran sind damit nicht mehr einverstanden – vor allem die jüngere Generation.

Gab es einen bestimmten Moment in Ihrem Leben, wo Sie gemerkt haben, dass in Ihrer Heimat etwas grundlegend schiefläuft?

HT: Als ich noch klein war, hat mir mein Vater immer gesagt: „Du musst beten! Du musst daran glauben!“ Er hat mir die Religion vorgelebt. Aber ich habe als Kind schon gemerkt, dass das eigentlich nicht richtig ist. Es war einfach nicht mein Glauben, nicht meine Überzeugung. Mit 15 Jahren habe ich daraufhin immer stärker gespürt, dass man etwas dagegen tun muss.

Das stelle ich mir sehr schwierig vor – gerade in diesem Alter. Wo findet man dann Freunde und Verbündete?

HT: Es war sehr schwer für mich. Man muss in manchen Situationen natürlich aufpassen und vorsichtig sein, was man sagt und welche Ansichten man vertritt. Aber trotzdem fand ich nach einiger Zeit Leute, welche die ganze Sache ähnlich sahen. Seit dieser Zeit war ich auch bei vielen Demonstrationen und Veranstaltungen. Aber nur bei der letzten wurde ich festgenommen.

Lief bei dieser Demonstration etwas anders als zuvor?

HT: Es sind mittlerweile einfach mehr Menschen kritischer eingestellt, und die Anzahl der Protestaktionen ist gestiegen. Deshalb greift das Regime seit ein paar Jahren härter durch, und es wird gefährlicher. Mittlerweile sind die Zustände so schlimm, dass die Polizei oder das Militär sofort das Feuer eröffnen. Manchen Menschen wird einfach in den Kopf geschossen – ohne Vorwarnung. Bei dieser bestimmten Demonstration vor fünf Jahren waren zudem viel mehr Teilnehmer auf der Straße. Zum Glück wurde ich „nur“ festgenommen. Es hätte auch viel schlimmer kommen können.

Wie ging es nach Ihrer Verhaftung weiter?

HT: Ich war anderthalb Monate in einem Gefängnis im Iran. Aber über diese Zeit kann und will ich nicht sprechen. Durch meinen Schwager, der einen guten Kontakt zu einflussreichen Leuten hatte, wurde ich nach diesen sechs Wochen wieder freigelassen. Meine Angst war allerdings so groß, dass ich danach sofort in eine andere Stadt im Iran gezogen bin. Allerdings alleine. Ich musste meine 13-jährige Tochter zurücklassen. Sie lebt auch heute noch im Iran.

Wie sind Sie nach dem Umzug nach Deutschland gekommen?

HT: Nach dieser ganzen Geschichte riet mir mein Schwager dazu, das Land zu verlassen. Es sei nun einfach zu gefährlich für mich. Mit seiner Hilfe konnte ich bei der Botschaft ein Visum beantragen. Wir sind vorher gemeinsam alle möglichen Fragen und Antworten durchgegangen, denn man muss eine ziemliche Prozedur überstehen, um überhaupt ein Visum zu erhalten. Zum Glück verlief diese Aktion ohne Probleme, und ich konnte den Iran in Richtung Deutschland verlassen. Die Angst, dass doch etwas passiert, hatte ich natürlich trotzdem ständig. Nachdem ich in Düsseldorf ankam, lebte ich eine Zeit lang in einem Flüchtlingsheim in Bochum, danach ging es über Bielefeld und Herford nach Gelsenkirchen.

Wie wurden Sie in Deutschland aufgenommen?

HT: In den ersten Wochen war ich sehr gestresst. Ich konnte zunächst gar nicht begreifen, warum das alles überhaupt passiert ist. Erst in Bielefeld wurde es langsam besser, weil ich dort auf viele Menschen mit einem ähnlichen Schicksal traf. Das Problem war nur, dass mir das Arbeitsamt in Bielefeld mitteilte, dass ich in Deutschland nicht arbeiten dürfte. Im Iran war ich Elektriker. Hier darf ich diesen Beruf leider nicht ausüben, da ich nur eine Duldung und kein Recht auf Asyl habe. Den letzten Termin deswegen hatte ich erst vor zwei Wochen.

Was wurde Ihnen bei diesem Termin gesagt?

HT: Ich wollte eine Weiterbildung zum LKW-Fahrer machen. Solche Arbeitskräfte werden in Deutschland ja auch eigentlich gesucht. Bei der Agentur für Arbeit wurde mir allerdings gesagt, dass ich diese Weiterbildung wegen meiner Duldung nicht machen darf. Ich müsste zunächst eine Arbeitserlaubnis bei der Migrationsbehörde bekommen – es ist ein Teufelskreis. Aber ich habe auch positive Erfahrungen gemacht. Vor allem mit den Menschen in Deutschland.

Inwiefern?

HT: Als ich noch in Bielefeld war, besuchte ich zum ersten Mal eine Kirche. Eigentlich hatte ich durch die Erfahrungen in meiner Vergangenheit keinen wirklichen Bezug zu Religionen. Aber bei diesem Besuch der Kirche habe ich eine Wärme gespürt, die ich vorher noch gar nicht kannte. Ich wurde von Leuten umarmt und habe sehr viel Mitgefühl erfahren. Das war wirklich schön. Ich habe viel über das Christentum gelernt und wollte jeden Sonntag zum Gottesdienst gehen – dafür bin ich sehr dankbar. Nachdem ich nach fünf weiteren Monaten nach Gelsenkirchen kam, lernte ich hier, ebenfalls über die kirchliche Gemeinde, Mehdi Salimpour kennen, mit dem ich auch bei „Omiedvar“ Theater spielen durfte. Und durch seine Geschichte habe ich auch weiterhin die Hoffnung, dass auch ich hierbleiben darf.

Haben Sie noch Kontakt zu Ihrer Tochter?

HT: Sehr wenig. Nach jedem Gespräch mit ihr bin ich furchtbar traurig und kaputt. Aber durch sie habe ich einen wichtigen Grund weiterzuleben. Außerdem engagiere ich mich bei der Tafel und versuche, vielen Menschen zu helfen. Auch das hängt natürlich mit meinem Glauben zusammen. Nach Deutschland kam ich wegen meiner Probleme im Iran, aber hier habe ich, nicht zuletzt durch das Christentum, ein neues Leben bekommen.

Herr Ehsani, auch Sie sind aus dem Iran geflohen. Wie war die Situation bei Ihnen?

Mehdi Ehsani: Ich bin mittlerweile auch seit mehr als dreineinhalb Jahren in Deutschland. Im Iran habe ich beim Militär in einer Kaserne als Krankenpfleger gearbeitet. Auch ich bin dort als Moslem geboren, das ist eine absolute Pflicht. Und wenn man in diesem Land für die Armee arbeitet, ist das nochmal besonders schwierig.

Inwiefern?

ME: Man muss dem Regime absolut treu gehorchen. Davon hängt ja auch das Einkommen ab. Und wenn man etwas, was mit dem Islam zusammenhängt, nicht machen möchte, bekommt man automatisch größere Probleme. Da ich, genau wie Hamidreza, nicht mit der Politik des Irans einverstanden bin, war auch ich auf mehreren Demonstrationen. Allerdings immer geheim, denn als Mitglied des Militärs gilt man sonst als Verräter. Tatsächlich sind die meisten Menschen dort gegen das Regime, aber die Angst, etwas zu tun und auf die Straße zu gehen, ist bei vielen Leuten einfach zu groß. Im Iran gibt es einige Organisationen, welche die Menschen kontrollieren – vor allem, was den Glauben angeht. Wenn diesen Organisationen etwas auffällt, kommt es häufig zu Befragungen, ob man sich beispielsweise zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Nähe einer Demonstration aufgehalten hat, oder ob man regelmäßig die Moschee besucht.

Auch Sie sind in eine problematische Situation geraten, nicht wahr?

ME: Dadurch, dass ich bereits 2009 auffällig wurde, musste ich ein Dokument unterschreiben, in dem ich versicherte, mich von Protestaktionen fernzuhalten. 2017 habe ich in Teheran an einer ähnlichen Demo teilgenommen, wie Hamidreza. Leider wurde ich dabei erkannt und nach einigen Tagen zu einem Gespräch beim Militär eingeladen. Als Grund für meine Teilnahme an der Aktion gab ich die wirtschaftlichen Probleme im Land an. Ich war zu dem Zeitpunkt bereits verheiratet und hatte schon zwei kleine Kinder, deren Versorgung immer schwieriger wurde, weil Lebensmittel und andere Güter immer teurer wurden.

Ein vernünftiger Grund, zu demonstrieren…

ME: Natürlich. Wenn ich allerdings gesagt hätte, dass ich gegen ein diktatorisches Regime protestiere, wäre es sofort vorbei gewesen. Trotzdem bekam ich einen Termin vor dem Gericht und wurde zu fünf Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Dieses Urteil war ein Schock. Der kleinste Fehler, und man kommt sofort ins Gefängnis. Ich wusste nach diesem Urteil zunächst nichts mit mir anzufangen. Nachdem in meinem Büro zudem verbotene, dem Staat gegenüber kritische Bücher gefunden wurden, wurde es immer ungemütlicher. Mein damaliger Chef legte mir zu dem Zeitpunkt telefonisch nahe, dass ich am besten gar nicht mehr auf der Arbeit erscheinen solle. Zusammen mit meiner Frau traf ich also die unheimlich schwere Entscheidung, das Land und meine Familie zu verlassen.

Was für eine grausame Situation. Wie haben Sie es geschafft, zu fliehen? Gerade als Angehöriger des Militärs ist das nicht gerade einfach, oder?

ME: Wenn man im Iran für das Militär arbeitet, darf man keinen Pass besitzen. Also habe ich mir den Pass eines anderen Mannes besorgt und bin über die Grenze der Türkei geflohen. Teilweise war ich mit 18 anderen Menschen im Laderaum eines Vans unterwegs, der sogar einmal vor der Polizei flüchten musste. Während der Reise, die auch über Griechenland führte, musste ich mehrere Nächte unter Brücken übernachten – immer mit der Angst, doch noch erwischt zu werden und wieder zurück in den Iran zu müssen. Letztendlich habe ich es mit viel Glück doch noch geschafft, sicher in Deutschland anzukommen. Das war am 26. September 2018 in Frankfurt. Über Olpe und Bochum bin auch ich nach Gelsenkirchen gekommen.

Stand Deutschland denn von Anfang an als Ziel fest?

ME: Nein. Das war mir zunächst egal. Ich wollte einfach nur weg. Raus aus dem Iran und dieser schrecklichen Situation. Aber ich bin froh, dass ich hier gelandet bin. Denn genau wie bei Hamidreza habe ich schöne Erfahrungen in der christlichen Gemeinde und im Theater machen können. Man kann es nicht oft genug sagen: Die Herzlichkeit dieser Menschen ist für Leute wie uns etwas ganz Besonderes. Auch deshalb bin ich zum Christentum konvertiert. Leider bin aber auch ich in der Situation, dass ich in Deutschland nicht arbeiten darf. Zunächst habe ich natürlich erst einmal die Sprache lernen müssen und habe mittlerweile das B2 Niveau erreicht – das war mir sehr wichtig. Auch ich arbeite für die Tafel und möchte vielen Menschen helfen. Es ist mein Traum, in Deutschland leben zu dürfen, und dass in absoluter Freiheit. Das Schlimmste ist: Mir wird in Deutschland vor dem Asylgericht nicht geglaubt. Mir wird vorgeworfen, dass ich mir meine Geschichte ausgedacht hätte, und dass ich lügen würde. Ich habe meine Kinder verlassen, meine Frau und mein Heimatland. Das alles habe ich ja nicht freiwillig gemacht. Es macht mich furchtbar traurig, dass mir so etwas unterstellt wird.

Man merkt deutlich, wie schwer es Ihnen fällt, über diese Dinge zu sprechen. Ich bedanke mich herzlich für dieses Gespräch und wünsche Ihnen beiden alles Gute für die Zukunft!

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Ein Gedanke zu “Flucht ins Ungewisse

  1. Leider haben seit den ersten Tagen der Macht der Mullahs im Iran Diskriminierung und Grausamkeit von Tag zu Tag zugenommen, selbst jetzt, wo 90 % der iranischen Bevölkerung gegen die Politik der Islamischen Republik sind und immer wieder unterdrückt und getötet werden. Heutzutage werden viele unserer Jugendlichen im Iran für unsere Ideale getötet. Freiheit ist das Recht aller Menschen, aber sie wird im Iran in keiner Weise respektiert. Ein Mädchen namens Mehsa Amini wurde verhaftet und getötet, weil ihr Haar außerhalb des Kopftuchs war.Jetzt hat die ganze Welt die schmutzige Natur der Islamischen Republik erkannt. Bitte seien Sie die Stimme des iranischen Volkes.
    #mahsaamini

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